Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Das kalte Land

Armut ist schrecklich – egal ob bei Kindern oder älteren Bürgern. Offensichtlich ist unser Land nicht reich genug, um allen Bürgern ein schönes Leben zu ermöglichen. Oder?

In dieser Woche wartete ich auf einem kleinen ICE-Bahnhof in Baden-Württemberg. Ich stand vor dem Reise-Center und schaute mich um. Tristesse, wohin mein Auge auch blickte. Dunkle Wände, Werbung, die den Namen nicht verdient, „Gaststätten“, die wie Höhlen wirken. Das also ist ein Bahnhof an der Eisenbahn-Magistrale Paris-München. Wer Ulm besuchen will, muss sich – bevor er die schönen Teile der Stadt entdeckt – durch diesen düsteren Schandfleck wühlen. Übrigens sollte der Bahnhof aufgehübscht werden, woraus nun nichts werden wird. Die Bahn hat kein Geld, zu viele Euro flossen in das Projekt S21. Ach ja: der Abschnitt Ulm-Augsburg ist auf bayerischer Seite noch nicht mal projektiert. So viel zum neuen „Deutschland-Tempo“…

Plötzlich begegnete ich einem älteren Herrn. Er grüßte höflich, war gut aber nicht übertrieben gekleidet und bewegte sich mit Hilfe eines Rollators. Als ich ihm nachschaute, traute ich meinen Augen nicht. Der Herr hielt an einem der DB-Müllkästen und fing an, nach Verwertbarem zu suchen. Ein Stich durchzuckte mich. Ich sah: die Armut ist in Deutschland im Mittelstand angekommen.

Solche Erlebnisse haben viele Verantwortliche in der Politik nicht. Sie reisen und leben in einer vom wirklichen Leben abgeschotteten Welt. Und sie lassen sich auch nur ungern die Wahrheit des Lebens der „Menschen da draußen“ (so nennen uns die Blasen-Phrasen-Drescher in Berlin-Mitte) schildern. Wenn sie sich dann doch einmal Wahrheiten anhören müssen, fallen ihnen ganz viele Maßnahmen, Projekte oder Fördermittel ein, die sie (aus unseren Steuergeldern) verteilt haben. Immer schwingt dann ein leiser Vorwurf mit, man sei ja entweder dämlich oder nicht dankbar.

Der Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 sieht Ausgaben in Höhe von 445,7 Milliarden Euro vor. Davon sollen allein 127 Milliarden die Rentenzahlungen garantieren. Dennoch reicht das viele Geld offensichtlich nicht, um allen Bürgern unseres schönen Landes ein angenehmes Leben zu sichern. Irgendetwas läuft schief…

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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