Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.
Gedankenmacher: Berlin? Nein danke!
Vielleicht ist es die Geschichte einer enttäuschten Liebe. Vielleicht ist es aber auch einfach nur ein „Augen auf!“. Berlin ist anders aber nicht (mehr) sexy.
Ein paar Stunden Berlin standen in dieser Woche auf meinem Programm. Ein wenig Kultur, eine politische Konferenz, ein Spaziergang und dann zurück in die bayerische Provinz.
Soweit der Plan.
Die Realität sah anders aus. Da war zunächst die 2-Stunden-Mega-Verspätung der Deutschen Bahn. Aus normal 5 Stunden Fahrt wurden so mal eben 7 Stunden. Na gut, kann passieren, selber schuld, wenn man auf die vielen Negativ-Schlagzeilen über den drögen Staatskonzern nicht reagieren will. Jedenfalls waren alle DB-Mitarbeiter, die ich traf, nett und hilfsbereit. Ohne die könnte der Vorstandsvorsitzende Lutz gleich ganz einpacken. Doch: während der einen Bonus in Millionenhöhe erwartet – genau wie seine anderen dauerhaft versagenden Vorstandskollegen – warten die in Schichten schuftenden Bahn-Mitarbeiter noch immer auf eine Tariferhöhung, die ihrer Leistung gerecht wird und den Kaufkraftverlust durch die Inflation ausgleicht. „Kein Geld da““ tönt es aus den mondänen Chef-Etagen am Potsdamer Platz. Klar, siehe Boni…
Endlich doch noch angekommen in der Hauptstadt, machte ich mich sofort auf den Weg zu der Ausstellung meiner Wahl. Entweder hatte ich mich nicht richtig informiert oder meine Erwartungen waren zu hoch – jedenfalls waren die ausgestellten Exponate und ihre Erklärungen zum Teil völlig unverständlich und somit für mich wertlos. Schade, weitere 2 Stunden vergeudete Lebenszeit.
Also hurtig zurück ins Zimmer, frisch gemacht und angemessen gekleidet für die politische Konferenz. Zum Ort des Geschehens konnte ich bequem laufen, was ich tat, und mein Gewissen beruhigte, denn ich hatte mir vorgenommen, am Wittenberg-Platz mit Blick auf das KaDeWe eine Currywurst zu probieren. Die wurde hier mal im „Bericht aus Berlin“ von Dieter Hapel empfohlen. Nun muss man wissen, dass ich ein stures Gewohnheitstier bin. Immer die gleichen Zimmer in einer fremden Stadt, in Berlin nur zwei Anlaufstellen für Curryurst – politisch korrekt ausgewogen am Kurfürstendamm die eine, im Osten in Prenzlauer Berg die andere. Nun, was soll ich sagen? Die Wurst bei „Wittys“ war OK – aber der Preis ein Schock. FÜNF Euro für eine Currywurst, ein Euro für eine aufgebackene Schrippe von gestern. Vielleicht sind das schon KaDeWe-Preise – oder ist es doch nur die Inflations-Abzocke der Nimmersatts? Sechs Euro für ein Fastfood-Gericht im Stehen, das auch noch ungesund ist? Nee, lieber verzichte ich künftig auf solche Extravaganzen.
Ach ja. Die Politische Konferenz. Darüber ließe sich viel schreiben. Nur so viel. Es ging auch um die demografische Gestaltung von Städten für eine alternde Bevölkerung. Eine Referentin verwies auf Paris, wo man jetzt damit beginnt, die „15-Minuten-Stadt“ zu bauen. Das bedeutet, alle wichtigen infrastrukturellen Anlaufpunkte sind für jeden Bürger binnen 15 Minuten erreichbar. In der saudischen Wüste entsteht das Zukunftsprojekt „The Line“ – eine nachhaltige Stadt für 9 Millionen Bürger – ohne Auto. The Line wird sogar eine 5-Minuten-Stadt. Und Deutschland, Berlin? „Wir sollten jetzt beginnen, darüber nachzudenken, ob so ein Modell der 15-Minuten-Stadt für uns Sinn macht und wie es umgesetzt werden kann.“ so die Referentin.
Na, dann fangt mal an zu denken. Andere machen schon.
P.S. Meine Rückfahrt mit der Bahn endete kurz vor Mitternacht im Nirgendwo, weil aufgrund von Verspätungen die von der Bahn versprochenen Anschlüsse nicht funktionierten. Den Rest der Fahrt schaffte ich mit einem freundlichen Taxifahrer und einem Verbrennermotorauto. Die Bahn ist grün, fährt nur leider oft nicht…
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Der Autor
Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.
Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.
Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“