Angela Merkel kann Krise? Schaun mer mal, dann sehn mer scho.

Ein Blick auf 16 Jahre einer Kanzlerin.

16 Jahre Kanzlerschaft Merkel sind 16 Jahre fast ununterbrochener Krisen bis dahin fast ungeahnten Ausmaßes. Was hat die Bundeskanzlerin mit den Ursachen der Krisen zu tun und wie hat sie sie für unser Land bewältigt? Ein subjektiver Blick zurück.

Die EU-Krise

Mir wird immer gesagt, wenn sie erst weg wäre würde man bemerken, was für eine gute und vor allem im Ausland angesehene Kanzlerin Angela Merkel sei. In den letzten vier Jahren konnten sich alle Beteiligten damit herausreden, im Weißen Haus säße ein Wüterich, der bekämpft und ignoriert gehöre. Mit Trump sei das transatlantische Bündnis nicht zu retten. So vergingen vier Jahre des Wartens auf den Nachfolger von Donald Trump. Und siehe da, dessen Nachfolger Joe Biden bezeichnet Putin als Killer, setzt den Kampf gegen China unvermindert fort und fordert weiterhin von den Deutschen die Einlösung des Versprechens zur Finanzierung der NATO. Die Reaktion der Bundeskanzlerin: sie ist nicht wahrnehmbar. Reform-Vorschläge für die EU des französischen Präsidenten Macron wurden bis heute nicht von der Kanzlerin beantwortet. An ihrer Stelle las „AKK“ einen gestanzten Formel-Text vom Blatt. Kein Wunder, dass die Briten ihr Heil im Brexit gesucht haben. Von der Krise des EURO und des Banken-Systems nicht zu reden. Nur das Heißlaufen der Gelddruck-Maschinen hat das Offensichtliche verborgen – falsche Voraussetzungen für den Eintritt in eine Gemeinschaft, mangelnde Stringenz beim Einhalten von Kriterien, laufen lassen und aussitzen.

Die identitätspolitische Moralisierung der deutschen Außenpolitik gepaart mit latenter Faulheit des Denkens und Handelns führt Deutschland in die Isolation. Der nicht verhinderte Brexit schränkt außenpolitische Optionen weiter ein und lässt unser Land als taumelnden wirtschaftlichen Koloss mit vermindertem politischem Einfluss in der Europäischen Union zurück. Übrigens: als 1966 der damalige und überaus verdiente Bundeskanzler Ludwig Erhard die Eskapaden des Franzosen Charles de Gaulle nicht länger dulden wollte, stürzte ihn die eigene Partei. Dazu hat die CDU heute nicht mal den Hauch einer Kraft.

Erinnert sei an das unwürdige Posten-Geschacher nach der letzten Europa-Wahl. Der Sieger durfte seinen Platz nicht einnehmen, dafür wurde die Bundesverteidigungsministerin von der Leyen nach Brüssel abgeschoben, bevor ein Untersuchungs-Ausschuss des Deutschen Bundestages ihre Amtsführung beleuchten konnte. Die gleiche Politikerin, deren Schiffe nicht schwammen, deren Flugzeuge nicht fliegen, deren Panzer nicht fahren hat nun zu wenig Impfstoff bestellt. Den aktuellsten Daten der Impfstoff-Lieferungen zufolge sind in der EU bislang rund 70 Millionen Dosen verteilt worden. Etwa 50 Millionen davon wurden verabreicht, 15 Millionen davon als zweite Dosis. Rund 42 weitere Millionen Dosen Impfstoff sind von der EU an Nicht-EU-Länder exportiert worden, allein 10 Millionen davon nach Großbritannien. Frau Merkel war und ist es wichtig, keinen „Impf-Nationalismus“ zu betreiben. Dafür steht Deutschland nun vor einem weiteren Lockdown, sterben täglich hunderte am Coronavirus, erkranken täglich Tausende.

Die Klima-Krise

Angela Merkel war bereits 14 Jahre Bundeskanzlerin, als die vormalige Bundesumweltministerin allen Ernstes sagte, die Fridays-for-Future-Bewegung hätte ihr die Augen für den desolaten Zustand unserer Umwelt geöffnet. In den Ohren der vielen um die Umwelt besorgten und sich täglich um den Erhalt unserer Natur Bemühten müssen diese Worte, gerichtet an minderjährige Schul-Schwänzer, ungewöhnlich anbiedernd-populistisch geklungen haben. Warum die selbsternannte Klimakanzlerin 2011 binnen weniger Wochen eine 180-Grad-Wende in der Atom-Politik durchsetzte, seitdem aber wenig für den ökologischen Umbau des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs getan hat, weiß nur sie.

Die Migrations-Krise

Europa steht vor einer großen Migrations-Welle armer, soziale Sicherheit suchender Bürger aus Afrika. Das sagte Anfang der 1970er Jahre der „Club of Rome“. Seine Thesen wurden damals von wenigen Intellektuellen in Deutschland diskutiert und dann wieder – vergessen. Immerhin kümmerte sich die Nord-Süd-Kommission (N.-S.-K., auch Brandt-Kommission) – eine unter dem Vorsitz Willy Brandts 1977 gegründete „Unabhängige Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ – um das Offensichtliche. Die  N.-S.-K. wurde übrigens unter Anregung des damaligen Weltbank-Präsidenten Robert McNamara ins Leben gerufen.

Entwicklungs-Hilfe in Milliarden-Höhe sollte in den späteren Jahren den Migranten-Strom aus Afrika erst gar nicht entstehen lassen. Doch viel Geld der sicher gutgemeinten Hilfen kam bei den von Not geplagten Bürgern nicht an sondern füllte Taschen und Schweizer Bankkonten afrikanischer Oligarchen. Und so kam es, wie es kommen musste. Eine EU, die ihre Außengrenzen nicht kontrolliert oder gar sichert, wurde ab 2014 von Migranten geflutet. Flüchtlinge kamen auch aus dem Nahen und Mittleren Osten, den die US-Regierungen Bush I, Bush II und Obama in Brand gesetzt hatten. Die Ankunftsländer – vor allem Griechenland – wurden von der EU und auch Deutschland allein gelassen, Hilfen materieller Art flossen spärlich, Manpower und Organisations-Hilfen gar nicht. So platzte irgendwann das Ventil und zehntausende von Flüchtlingen machten sich auf den Weg nach Norden. Und die Bundeskanzlerin? Tat immer noch nichts. Erst als die Flüchtlinge Österreich überrollten gab sie Anweisung – zur unkontrollierten Öffnung der Grenzen. Gegen den Rat ihrer Minister und der Polizei-Chefs. So strömten mehr als 1,7 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland, viele von ihnen unkontrolliert, ohne Ausweis, ohne amtliche Registrierung. Damit nahm Angela Merkel den Druck weg von Ungarn und Österreich, gab aber den Druck weiter an die Bürger in unserem Land, die aber nicht alle euphorisch „Refugees are welcome!“ skandierten. Die Folgen für Deutschland sind hinlänglich bekannt.

Hat sich in der EU seitdem irgendetwas geändert? Nein. Es gibt keinen europäischen Konsens zur Asyl-Politik, keinen Verteil-Mechanismus von Migranten. Stattdessen gibt es periodisch wiederkehrende Schreckensbilder aus Migranten-Lagern in Griechenland, in denen die exakt gleichen verheerenden Zustände herrschen, wie 2015. Und dem autokratischen Sultan vom Bosporus fließen immer wieder von ihm dringend benötigte Gelder zu, wenn er damit droht, die Flüchtlinge aus der Ost-Türkei an die griechische Grenze zu chauffieren.

Ein armseliges Schauspiel zu Lasten der wirklich armen Menschen unter den Flüchtlingen.

Die Gesellschafts-Krise

Steht unsere Gesellschaft besser da als zu Beginn der Ära Merkel? Davon kann keine Rede sein. Das politische System der starken Mitte erodiert ungehemmt. Nur der eklatanten Schwäche des Führungs-Personals der Flügel-Parteien ist es geschuldet, dass die Extremisten nicht noch viel stärker sind. Die einstige stolze Arbeiter-Partei kämpft um ihre neue Rolle, den Status der Volks-Partei hat die SPD in der #GroKo längst verloren. Kaum besser geht es der CDU, die von Wahl zu Wahl immer schlechter abschneidet.

Nach 16 Jahren Kanzlerschaft Merkel ist jeder fünfte Deutsche von Armut bedroht. Die Altersarmut hat drastisch zugenommen. Die Lebensverhältnisse in den boomenden Großstädten sind diametral besser als im entvölkerten flachen, demografisch-alternden Land. Zwischen Berlin-Mitte und Kleinblittersdorf klafft eine Lebensqualitäts-Lücke breit und tief wie der Grand Canyon.

Weder Kanzler-Partei noch Kanzlerin haben in 16 Jahren auch nur den Hauch einer Leit-Idee dessen entwickelt, wie Deutschland die Herausforderungen der Demografie und Digitalisierung bewältigen soll. Notwendigste Reformen haben nicht stattgefunden, es wurde nicht einmal über sie diskutiert. Dies überlässt Angela Merkel ihren Nachfolgern, genauso wie die Kosten einer nicht-erfolgten Reformations-Politik unserer Gesellschaft.

Die Parteien-Krise

Die Verzwergung der Willy-Brandt-Volkspartei ist sicher nicht allein Schuld der Angela Merkel. Der Abstieg der Volkspartei CDU zur programmlosen, konturlosen Kanzlerinnenmehrheitsbeschafferin schon. Die Partei von Frau Merkel, die CDU, deren Generalsekretärin und Bundes-Vorsitzende sie viele Jahre war, hat kaum noch ein Profil. Marken-Kerne wurden eingeschmolzen, Kanten abgeschliffen, alternatives Führungs-Personal „rasiert“. Die CDU ist längst eine programm- und ideenlose Machterhaltungs-Maschine, ein Kanzlerinnen-Wahlverein ohne sonstige Existenz-Berechtigung. Merkel hat alle starken Persönlichkeiten in der Partei demontiert oder weggebissen. Sie hat Markenkerne der Union geschliffen, wenn es ihren demoskopischen Werten zugutekam. Geblieben ist eine Union unter 30 % Zustimmung in der Bevölkerung, eine neue Partei rechts der Union und die durchaus offene Frage, ob es nicht doch jenseits der Union eine parlamentarische Mehrheit im Bund geben kann. In den Ländern gibt es diese Mehrheit schon sehr oft, auch auf Landkreis- und Kommunal-Ebene. Spätestens wenn klar wird, welch dringende Reformen – Rente, Demografie, Infrastruktur, Digitalisierung – die Regierungen Merkel seit 2005 entweder verschlafen oder bewusst ignoriert haben, wird es für die Bürger und die CDU ein böses Erwachen geben.

Die Gesundheits-Krise

Keine Vorbereitung auf eine mögliche Krise, schlechtest-mögliche Kommunikation der Krisen-Maßnahmen, Totalversagen im Management der Krise – das ist eigentlich alles, was man zu dem sagen muss, was die Bundesregierung Merkel im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie getan – oder eben nicht getan – hat.

Sinnbildliche Zahl für das Verrücktsein der Handlungs-Maßstäbe ist die Zahl 20. Die will uns Frau Merkel als Erfolg, als Durchbruch verkaufen. 20 (!) Impf-Dosen pro Arzt-Praxis (!!) pro Woche (!!!) – so soll die Impf-Kampagne endlich Fahrt aufnehmen. Das ist nicht mehr lustig.

Geht es Deutschland heute besser als 2015?

Die Zahl der Arbeitslosen hat seit dem Amtsantritt von Angela Merkel abgenommen – statistisch. Allerdings sind viele, die einen Job ausüben könnten, nicht mehr in der offiziellen Statistik geführt. Sie scheinen mit 50 zu alt, sie sind trotz guter Aus- und Weiterbildung ausgemustert; sie haben aufgegeben. Von daher sind die amtlichen Zahlen kein Spiegel-Bild der Wirklichkeit, dass ist vor allem für ältere Beschäftigte und Job-Suchende bitter.

Die Armutsquote in Deutschland ist seit 2005 gestiegen, das Rentenniveau gesunken.

2005 gab es noch kein iPhone, sondern Klapp-Handys. Die Digitalisierung Deutschlands verharrt auf dem Niveau von Klapp-Handys.

Die Energie-Wende ist vor allem teuer, unsicher und landschaftsverschandelnd. Wenn einmal flächendeckend die Versorgung zusammenbricht, weil auch die Atom-Meiler aus Tschechien und Frankreich oder alte Kohledreck-Schleudern aus Polen nicht genügend Strom liefern können, wird es dunkel in Deutschland.

Ein Fazit kann man jetzt schon zur Ära Merkel ziehen: ohne unser Geld und ohne unsere Geduld gäbe es keine Krisenkanzlerin Merkel. Die deutschen Steuerzahler haben all die Trostpflästerchen finanziert, die mal auf diese und mal auf jene Symptom-Wunde geklebt wurden. Für eine Heilung der aufgetretenen Krankheiten haben aber weder Wissen noch Wollen der Regierungs-Chefin gereicht.

Deutschland ist auf dem Weg raus aus den Champions-League-Plätzen. Die Generation der unter 30Jährigen wird damit umgehen lernen müssen, künftig in einem Land zu leben, das nicht gut regiert, nicht gut verwaltet und kaum auf die Herausforderungen und Chancen der Zukunft vorbereitet ist.

Wir Babyboomer sind die erste Generation seit 75 Jahren, die ihren Kindern keine bessere Welt hinterlassen wird.

Das tut weh…

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.