Coronavirus-Pandemie: Wissenschaftler geben Empfehlungen für Lockerungen des Lockdowns

Rechtzeitig vor der Web-Sitzung der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten geben die Präsidenten der außeruniversitären Forschungsorganisationen auf Basis von mathematischen Analysen der Datenlage Empfehlungen für eine Lockerung der Kontaktbeschränkungen.

Angesichts der großen öffentlichen Bedeutung einer objektiven Faktenlage zum Infektionsgeschehen haben sich führende Forschungsorganisationen – Fraunhofer- Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck- Gesellschaft – entschlossen, gemeinsam zur Datenlage Stellung zu nehmen. Wissenschaftler aus den Organisationen, die sich mit der mathematischen Analyse der Ausbreitung der COVID19-Erkrankungen und der Vorhersage der weiteren Entwicklung beschäftigen, haben im Vorfeld der heutigen Web-Sitzung der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin ihre Ergebnisse zusammengetragen, eine gemeinsame Analyse der Situation verfasst und mögliche Bewältigungsstrategien aus Sicht der Modellierung vorgelegt.

Unterschiedliche und voneinander unabhängige Modelle verschiedener Gruppen zur Ausbreitung von SARS-CoV-2 kommen zu konsistenten Ergebnissen. Die Reproduktionszahl R lag seit Ende März leicht unter 1. Der klare Rückgang der Neuinfektionen N ist der gemeinsame Effekt aller im März eingeführten Maßnahmen und der Verhaltensanpassungen der Bevölkerung.

Die Situation ist nicht stabil, selbst eine nur kleine Erhöhung der Reproduktionszahl würde Deutschland zurück in eine Phase des exponentiellen Wachstums der Coronavirus-Pandemie führen. Daher muss die Reproduktionszahl bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs konstant unter 1 gehalten werden. Der am 28. April 2020 vom RKI berichtete neue R-Wert nahe 1 verdeutlicht, dass in dieser Phase weiterhin konsequente Kontakteinschränkungen erforderlich sind.

Der Wert von R als Antwort auf eine veränderte Maßnahme kann erst mit einer Verzögerung von zwei bis drei Wochen geschätzt werden.

Das Erreichen einer „Herdenimmunität“ würde nach den bisher vorliegenden Daten einen Zeitraum von einigen Jahren erfordern, wenn das Gesundheitssystem nicht überlastet werden soll. Einschränkende Maßnahmen müssten bei einer solchen Strategie über den gesamten Zeitraum aufrechterhalten werden.

Aus Sicht der Modellierung erscheint den Wissenschaftlern folgende zweiphasige Strategie als sinnvoll: In der ersten Phase werden die Neuinfektionen weiter reduziert, bis eine effektive Kontaktverfolgung möglich ist. In der zweiten Phase schließt sich eine adaptive Strategie auf der Basis niedriger Zahlen von Neuinfektionen an.

Dazu sind folgende Maßnahmen erforderlich:

  1. Etablierung bzw. Weiterführung hygienischer Maßnahmen
  2. Ausbau von Testing- und Tracing-Kapazitäten
  3. Adaptive Steuerung von flankierenden kontakteinschränkenden Maßnahmen.

Bei politischen Entscheidungen über das weitere Vorgehen sind natürlich weitere Faktoren in Betracht zu ziehen, wie psychologische und weitere gesundheitliche Belastungen der Bevölkerung, die wirtschaftliche Entwicklung und internationale Vernetzung, um nur einige zu nennen. Die oben skizzierten und in der ausführlichen Stellungnahme der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler detaillierter dargestellten Zusammenhänge gelten aber unabhängig von solchen Faktoren, sodass alle Entscheidungen vor diesem Hintergrund getroffen werden müssen. Neue Gegebenheiten, wie die Verfügbarkeit eines Medikaments oder einer Vakzine, effizienteres Contact Tracing durch eine App, flächendeckendes Testen, spezifische Antikörper-Tests oder anderes würden in einem adaptiven Szenario die Nachsteuerung kontakteinschränkender Maßnahmen erlauben.