Mit dem Tod leben

Jugendwahn und schamhaftes Verdrängen – Gedanken zum Totensonntag.

Heute ist Totensonntag. Mitten im trüben November soll der Tag an Verwandte und Freunde erinnern, die von uns gegangen sind. In diesem Jahr bekommt dieser Gedenk-Tag eine besondere Bedeutung, da jeden Tag in Deutschland Hunderte Menschen sterben, die an Corona erkrankt sind. Das Leid der weltweit grassierenden Coronavirus-Pandemie ist offensichtlich – jedenfalls für die, die sehen wollen.

Der Tod und der Umgang mit ihm sagt viel aus über den moralisch-ethischen Status einer Gesellschaft. Zu Beginn der Corona-Pandemie erregten so unterschiedliche Politiker wie Wolfgang Schäuble und Boris Palmer Aufsehen, weil sie mit provokanten Thesen zum Wert der Gesundheit und des Lebens des Einzelnen an die Öffentlichkeit traten. Vor einigen Tagen gab es Meldungen in der Presse, dass ein Mann einen sterbenden Polizisten mit seinem Smartphone filmte und das Sterben des 60-Jährigen auch noch höhnisch kommentierte. Dass der Mann das Video in den sozialen Medien veröffentlichte, versteht sich fast schon von selbst. Erinnert sei auch an den sterbenden Rentner in einer Sparkassen-Filiale, über den Menschen stiegen, die den Geldautomaten erreichen wollten. Dem Mann zu helfen, auf diese eigentlich naheliegende Idee kam keiner der Egoisten.

Einzelfälle? Vielleicht und in der Summe sicher. Aber: wir leben in einer Zeit des demografischen Wandels. Die Bevölkerung in Deutschland altert rasant. Immer weniger jungen Menchen stehen immer mehr ältere Bürger gegenüber. Was für den Einzelnen toll ist und einer gestiegenen Lebenserwartung und einem guten Gesundheits-System gedankt werden kann, ist eine Herausforderung für die Gesellschaft, denn die höheren Belastungen des Gesundheits- und Renten-Systems müssen finanziert werden. In dieser Hinsicht ist unser Land schlecht für die Zukunft gerüstet. In den vier Legislatur-Perioden der Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es nicht gelungen – ja nicht einmal nachhaltig versucht worden – das gesetzliche Rentensystem zukunftsfest zu finanzieren. Die Personal-Ausstattung und Finanzierung des Gesundheits-Systems ist ebenso sträflich vernachlässigt worden.

Diese Reformen müssen nun schnellstens und umfassend angepackt werden. Das wird schmerzhaft. Ob die Parteien der sogenannten „Ampel-Koalition“ die Kraft und den Mut dafür aufbringen werden, kann beurteilt werden, wenn der Koalitions-Vertrag vorliegt.

Jenseits aller Politik werden wir wieder lernen, mit dem Tod zu leben, ihn als unabwendbaren menschlichen Moment unseres Lebens zu akzeptieren. Die Absage an einen übermäßigen Jugendwahn in der glitzernden Schein-Welt der Werbung gehört dazu.

P.S.: Michael de Ridder hat ein Buch über den Streit zur Sterbe-Hilfe vorgelegt. Einen D-Talk mit dem Autor, dem Domprobst Tobias Przytarski und dem Medizin-Ethiker Professor Thomas Bein können Sie in DNEWS24TV sehen.

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“