Gesundheit und Demografie in DNEWS24

In Berlin droht ein Praxis-Sterben

Die Kassenärztliche Vereinigung in Berlin schlägt Alarm: es fehlen Mediziner und medizinische Fachkräfte – mit dramatischen Folgen für die Hauptstadt.

Die Niederlassung wird immer unattraktiver, die Suche nach Praxisnachfolgern gestaltet sich zunehmend schwieriger und die Praxen haben immer größere Probleme, offene Stellen zu besetzen. Eine unzureichende Finanzierung des ambulanten Bereichs, der Trend zur Anstellung und der demographische Wandel lassen die Versorgungslücken immer größer werden. Die ambulanten Strukturen drohen zu bröckeln.

Vor allem der Personalmangel hat sich zu einem großen Problem entwickelt. Wie eine Mitgliederumfrage der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin bereits im Mai dieses Jahres aufgezeigt hat, wandern immer mehr medizinische Fachangestellte (MFA) in andere Gesundheitsbereiche wie Kliniken ab, wo höhere Gehälter gezahlt werden, oder wechseln ganz den Beruf. Viele freie Stellen in den Praxen bleiben unbesetzt. Die KV-Umfrage hat auch ergeben, dass viele Praxen der haus- und fachärztlichen Versorgung freie MFA-Stellen zurzeit nicht nachbesetzen können. Die Mehrheit der Befragten berichtete von einer schwierigen und oft langwierigen Suche, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr zugespitzt hat. Die Tätigkeiten der fehlenden MFA müssen durch fachfremdes Personal oder die Ärzte selbst übernommen werden.

„Doch nicht nur der MFA-Mangel bereitet uns Sorgen. Leider schreitet in Berlin auch der Ärztemangel ungebremst voran. Das Interesse an der Niederlassung sinkt. Praxen bleiben ohne Nachfolge, wovon besonders die hausärztliche Versorgung betroffen ist. Wir gehen davon aus, dass sich die Lage in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird“, heißt es seitens des Vorstands der KV Berlin.

Der Blick auf die aktuelle Berliner Situation (Stand: 01.01.2023) bestätigt die Sorgen: Mehr als die Hälfte aller ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten (niedergelassen und angestellt) ist 55 Jahre alt und älter. Der Anteil an über 60-Jährigen ist vor allem bei den Hausärzten (36 Prozent) und bei den Psychotherapeuten (42 Prozent) besonders hoch. Schaut man sich nur die Niedergelassenen an, dann ist die Lage noch schwieriger: Aktuell sind 61 Prozent aller Praxisinhaber 55 Jahre alt und älter. Gleichzeitig sind 25 Prozent aller Ärzte und Psychotherapeuten angestellt tätig. Parallel dazu steigt das Interesse an Teilzeitbeschäftigung unvermindert an – sowohl bei den Angestellten als auch bei den Niedergelassenen. So verzeichnet die KV Berlin seit 2019 bei den halben Versorgungsaufträgen einen Anstieg um 8 Prozent. Der Anteil von Ärzten und Psychotherapeuten, die mit einem halben Versorgungsauftrag tätig sind, ist somit von 23 Prozent im Jahr 2019 auf 31 Prozent im Jahr 2023 gestiegen. Die vollen Versorgungsaufträge haben in dieser Zeit um rund sieben Prozent abgenommen.

„Das ist ein weiteres Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen: Zwar steigen die Arztzahlen in Berlin nach Köpfen bisher jährlich an, doch durch mehr Teilzeit nimmt der Teilnahmeumfang an der Versorgung ab“, heißt es weiter. „Und wenn immer weniger Arztzeit zur Verfügung steht, liegen die Folgen auf der Hand: weniger Behandlungszeit und längere Wartezeiten für die Patienten. Hinzu kommt, dass aufgrund der alternden Gesellschaft und mehr multimorbiden Patienten der Bedarf an ärztlichen Leistungen stark zunehmen wird, eine altersgerechte ärztliche Versorgung und Pflege unter diesen Umständen ist fraglich.“

Die KV Berlin geht davon aus, dass die schwindenden Ressourcen in der ambulanten Versorgung nur aufzufangen sind, wenn sich zeitnah die Rahmenbedingungen ändern. Die desaströse Sparpolitik im ambulanten System und die Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Vergütungsanpassungen im ambulanten und stationären Bereich müssen endlich ein Ende haben. Der ambulante Bereich braucht Planbarkeit und Verlässlichkeit, um wirtschaftlich arbeiten zu können.

„Die Politik darf die Augen nicht länger davor verschließen, dass die Rahmenbedingungen in der ambulanten Versorgung dringend verbessert werden müssen, um die vorhandenen Strukturen zu festigen und mindestens den Status quo aufrechtzuerhalten. Dies schließt die Entbudgetierung mit ein, ohne die es den Praxen zum Beispiel nicht gelingen wird, den MFA höhere Gehälter zu zahlen und die Abwanderung zu stoppen. Bleibt alles, wie es ist, fehlen den Kolleginnen und Kollegen schlichtweg die Anreize, um den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen und unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Und ohne diese Entscheidung wird es die ambulante Versorgung, wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, in absehbarer Zeit nicht mehr geben“, so der KV-Vorstand abschließend.