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Ausstellungstipp: Hermann Stenner. Hymnen an das Leben – Kunsthaus Apolda Avantgarde

Abends ist eine Musik in mir, ein schönes Selbstbewusstsein, dass ich noch sehr schönes und grosses schaffen werde, schreibt Hermann Stenner (1891-1914) ein Jahr bevor der Erste Weltkrieg seiner Karriere ein jähes Ende setzt.

Hermann Stenner (1891-1914) gehört sicherlich zu den ungewöhnlichsten Künstlerphänomenen des 20. Jahrhunderts. Obwohl er im Alter von nur 23 Jahren im Ersten Weltkrieg fällt, hinterlässt er einen schier unerschöpflichen Fundus an bildnerischen Inventionen. Im Eiltempo durchläuft er in seiner nur fünfjährigen Schaffenszeit die verschiedenen Spielarten des Im- und Expressionismus und der abstrahierenden Tendenzen des Fauvismus und Kubismus. Er wäre “einer der besten Maler Deutschlands geworden”, äußerte Willi Baumeister, der ab 1911 gemeinsam mit Stenner und den späteren Bauhausmeistern Oskar Schlemmer und Johannes Itten die Komponierklasse Adolf Hölzels an der Stuttgarter Akademie besucht.

Vom 9. Juli bis 3. September 2023 zeigt das Kunsthaus Apolda Avantgarde über 90 Gemälde und Zeichnungen dieses Ausnahmetalents aus seiner gesamten Schaffenszeit von 1908 bis 1914. Möglich wird dies dank der umfassenden Unterstützung des Sammlerehepaars Hermann-Josef und Renate Bunte, die mit großem Enthusiasmus und mit Beharrlichkeit eine der weltweit größten Sammlungen von Hermann Stenner zusammengetragen haben. Das Kunsthaus sieht sich daher nicht nur in der privilegierten Lage, ihre Leihgaben aus einer der größten und exquisitesten Sammlungen erhalten zu haben, es kann die Sammlung in dieser Form aber auch zum letzten Mal präsentieren. Ab Sommer 2023 werden die Werke dem freien Kunstmarkt zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus untersuchen Katalog und Ausstellung bislang vernachlässigte Forschungsaspekte im Oeuvre Stenners, die seine Entwicklung in neuem Licht erscheinen lassen.

In Bielefeld besucht der älteste Sohn eines Malermeisters zunächst die Handwerker- und Gewerbeschule, um im April 1909 nach München zu gehen, wo er an der privaten Malschule von Heinrich Knirr und der Dachauer Malschule bei Hans von Hayek studiert. Ganz der Freilichtmalerei des Impressionismus hingegeben, lernt er die Umsetzung von Licht-und Farbeindrücken dermaßen schnell, dass Hayek ihn für ein Studium an der Stuttgarter Akademie bei Christian Landenberger vorschlägt, einem der führenden Vertreter des Impressionismus in Deutschland. 1910 wird Stenner in die Landenberger-Klasse aufgenommen und kann schon nach kurzer Zeit große Erfolge verzeichnen: Das Porträt seiner Schwester “Lissi” wird als einziges Bild der Landenberger-Klasse auf der Osterausstellung der Akademie prämiert. Auf einer Sommerexkursion der Klasse nach Diessen am Ammersee im Jahre 1911 entstehen schließlich die bis dato gelungensten Bilder des Hochbegabten.

Die einseitige Naturnachahmung der impressionistischen Malerei verliert für Stenner jedoch schnell an Reiz. Bereits ein Jahr vorher lässt sich ein zunehmendes Interesse für ungemischte Farben und die Linie beobachten, was auch in den Bildern vom Ammersee deutlich wird. Dieser Wandel setzt nicht grundlos ein, denn Stenner sieht Arbeiten der jungen Avantgarde, und zwar viel früher, als von der Forschung bislang angenommen. In Münchner Galerien begegnet er schon Ende 1909 Werken der “Neuen Künstlervereinigung” sowie von Matisse und Marc, und auf seinem Weg in die Sommerferien nach Bielefeld macht er 1910 einen Abstecher nach Düsseldorf, um die Sonderbundausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast zu besuchen. Hier stößt er auf Arbeiten von Jawlensky, Kandinsky, Kirchner, Nolde, Pechstein, Schmidt-Rottluff, Derain, Vlaminck, Vuillard, Braque, Matisse und Picasso. Seitdem nehmen die Einflüsse der neuen Bildsprachen des Expressionismus, Fauvismus, Futurismus und Kubismus in seinen Bildern mehr und mehr zu.

Auf Anraten Landenbergers und vom künstlerischen Aufbruch der jungen Avantgarde getragen, wechselt Stenner im November 1911 in die Komponierklasse Adolf Hölzels. Hölzel, der aufgrund seiner fortschrittlichen Lehre international bekannt ist, hat sich vom bildnerischen Gegenstand gelöst. Mit seiner programmatischen Schrift „Lehre vom Primat der bildnerischen Mittel“ stellt er eine grundlegende Theorie für eine abstrahierende Malerei auf und entwickelt eine eigene Farbenlehre. 1912 wird Stenner Meisterschüler Hölzels. Am Ende der Sommerexkursion der Hölzel-Klasse in Montjoie (Eifel) besucht er die legendäre Kölner Sonderbund-Ausstellung und sieht abermals Werke des “Blauen Reiter”, der “Brücke” und der internationalen Avantgarde. Nach diesem Besuch wendet er sich auch von Hölzel ab, dessen starres Theoriegerüst ihm keinen Freiraum für einen eigenen Ausdruck lässt. In den Gedichten des gefeierten Symbolisten Emil Verhaeren, vor allem aber in der programmatischen Schrift Kandinskys “Über das Geistige in der Kunst”, die einen empfindungsbasierten und transzendenten Kunstbegriff entwirft, erkennt er das Lebensgefühl seiner Generation. Sie spiegeln jene melancholischen und rauschhaften Schwingungen seiner Epoche, die auch Stenner durchdringen und ihm als modernem Künstler zu einer gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit verhelfen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts ist dieses vibrierende Weltempfinden überall zu spüren, im Ausdruckstanz einer Isadora Duncan und einer Loïe Fuller genauso wie in den modernen Lebensreformbewegungen, die zu alternativen Lebensentwürfen jenseits von Industrialisierung und Massengesellschaft führen.

In seinen späten Bildern brechen sich seine eigenen Bildideen vielleicht am deutlichsten Bahn, in denen sich überdies seine große Liebe zu Edgar Ellen Poe und der schwarzen Romantik zeigt. “Ich sehe mich blau mit dunklen Augen vor Dir stehen”, dichtet der tief empfindende, hypersensible und leidenschaftliche Künstlerpoet Stenner in einem Brief an seine Freundin, die Stuttgarter Solo-Tänzerin Clara Bischoff. Doch schon ein Jahr später werden die Hoffnungen seiner Generation auf eine humanere und gerechtere Welt auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges brutal zerstört.

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 152 Seiten und drei wissenschaftlich fundierten Texten von Andreas Gabelmann, Velten Wagner und Andrea Fromm, die das Werk Stenners in neuen Kontexten beleuchten. Eingerahmt wird die Ausstellung von zwei Begleitveranstaltungen, einem Fachvortrag von Andreas Gabelmann und einer Kuratorenführung von Andrea Fromm.

Kunsthaus Apolda Avantgarde

Bahnhofstraße 42 99510 Apolda

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10.00 – 17.00 Uhr (auch an Feiertagen)
Montag geschlossen

Eintrittspreise

Erwachsene: 7,- Euro
Ermäßigt: 6,- Euro
Familienkarte 14,- Euro
Schulklassen: pro Schüler 1,- Euro
Begleitveranstaltungen: 9,- Euro

Mehr Informationen: kunsthausapolda.de.

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