Thomas Kemmerich ist Ministerpräsident in Thüringen

Im Landtag in Erfurt gab es einen wahren Polit-Krimi. Ob es sich um ein Schaustück der Demokratie oder ein Bubenstück handelt, analysiert Sascha Rauschenberger.

Der 5. Februar 2020 hat Geschichte geschrieben. Und das in mehrfacher Hinsicht. Etwas Unglaubliches passierte im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten in Thüringen. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich hat im dritten und letzten Wahlgang die Mehrheit aller Stimmen überraschend auf sich vereinigen können und so den bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow um eine Stimme geschlagen.

Die FDP hatte es nicht leicht. Sie musste lange um den Einzug in den Landtag zittern, da sie die 5%-Hürde mit 73 Stimmen geschafft hatte und 5 Mandate errang. Die RRG-Mehrheit war so dahin.

Einer der FDP-Abgeordneten ist der bundesweit bekannte Thomas Kemmerich, der als Wirtschaftsfachmann seiner Partei gilt. Vor seiner Politikerkarriere war er Unternehmer und weiß daher, dass jeder Cent der ausgegeben wird, vorher erst verdient sein will. So kämpfte er für Bürokratieabbau, eine bessere Bildung und für mehr Steuergerechtigkeit. Bei der Landtagswahl zeigte sich, dass die RRG-Mehrheit im Lande ausgedient hatte. Der beachtliche Erfolg der AfD zerschmetterte jede mögliche Koalition ohne Linke oder AfD. Machte aber auch dem Parlament und den Parteien klar, dass die Stimmverluste der Parteien ein Signal waren. Ein Signal, dass eine rein linke Politik im Lande nunmehr unerwünscht war und keine Mehrheit mehr hatte. Selbst die CDU, in der immer noch ungewohnten Oppositionsrolle(!), war mit einem zweistelligen Verlust aus dem Rennen um die Macht ausgeschieden. Dass Mike Mohring (CDU) sich Ramelow gleich am Morgen nach der Wahl angedienert hatte, den Tabubruch riskierte und auf Tuchfühlung und Sondierung mit der LINKEN ging, machte bundesweit Schlagzeilen. Die Bundes-CDU war in Nöten. Es sah so aus, als wenn es nicht mehr um den Wählerwillen ging, sondern allein um Parteipolitik und Pöstchen. Dass dieser Schulterschluss scheitern musste, war klar. Er war inhaltlich nicht belastbar. Und moralisch gegenüber dem Wähler nicht vertretbar. So wagte man das Gedankenspiel, was Angela Merkel für sich so nie gewollt hätte. Wolfgang Schäuble aber schon einmal ins Gespräch gebracht hatte. Eine Minderheitsregierung, die sich ihre Mehrheit im Parlament immer erstmal suchen muss. Für jede einzelne Abstimmung. Projektbezogen.

Und diese Minderheitsregierung soll in Thüringen nun von Thomas Kemmerich geführt werden. Als Repräsentanten der Mitte. Politisch ohne Altlasten, volksnah und medial nicht nur in Thüringen präsent.

Vermutlich hat er seinen Hut in den Ring geworfen ohne eine Regierungsmannschaft in Petto zu haben, was zunächst mal nicht schlecht ist. Thomas Kemmerich wird sich nun eingehend mit allen ihn unterstützenden Parteien beraten müssen. Auch mit der AfD, auf die er im Parlament angewiesen sein wird. Das wird nicht leicht werden.

Thomas Kemmerich gilt als pragmatisch orientiert, mit dem Hang die Ärmel hochzukrempeln und auch nach dem Fototermin oben zu lassen und weiterzumachen. Er versteht den Zusammenhang von Prämissen und Ressourcen für Vorhaben. Auch auf der Zeitachse. er wird also versuchen, seine Regierung danach auszurichten. Dazu zählt mit Sicherheit auch der Rückbau von Minister- und Staatssekretärspöstchen, mit denen Ramelow seine Mannschaft versorgt hatte. Hier wird es vermutlich deutliche Einschnitte geben.

Doch wer kommt in die Regierung? Thomas Kemmerich wird sie vor allem wohl aus FDP- und CDU-Mitgliedern bestücken und im Zweifelsfall auf überparteiliche Kandidaten zurückgreifen, die von CDU und FDP mitgetragen werden können. Der AfD wird er keinen Posten anbieten wollen. Dürfen. Denn das würde die Unterstützung der CDU kosten.

Dies wird AfD-Anhänger enttäuschen. Mitunter sogar die AfD-Fraktion im Landtag selbst. Doch andererseits schafft es auch Spielräume für eine sach- und fachbezogene Zusammenarbeit und bei Erfolg auch eine breitere Zustimmung, als sie momentan vorzuliegen scheint. Hier kann sich auch zeigen, wie weit die AfD sich einbringen will und kann. Gerade auch unter der schwierigen Prämisse postenloses Stimmvieh zu sein. Die AfD kann auch demonstrieren, dass sie durchaus regierungsfähig und regierungstragend sein kann und will.

Und gerade auch hier, könnte Thomas Kemmerich eine Integrationsfigur sein. Für eine Politik der bürgerlichen Mitte in einem Land, das zunehmend auf die schiefe Bahn geriet.

Thomas Kemmerich steht aber nicht nur für Wirtschaftspolitik. Er kennt sehr wohl die Herausforderungen im Land, die teils unangetastet von seinem Vorgänger nun endlich der Lösung harren. Demographie, Digitalisierung, steigende Staatsverschuldung und Strukturprobleme. Dazu eine Bildungsmisere, die mehr auf Wunschdenken basiert als auf Machbarkeit und Brauchbarkeit. Viele Kommunen im Land sind pleite und der einst gute Standort Thüringen hat gegen Sachsen-Anhalt deutlich an Wert verloren.

Thomas Kemmerich hat viel zu tun. Er braucht eine starke Mannschaft hinter sich. Und viel Kraft diese Regierung zum Erfolg zu führen. Aber wenn jemand das vermag, dann nur jemand, den das System noch nicht vereinnahmt hat. Der frisch ist. Der unverdorben von dem ist, was unser System momentan so belastet und gefährdet. Der dem Bürger auch wieder neue Impulse aufzuzeigen vermag, die nicht von parteilich-ideologischem Kleinmut dominiert werden. Dem man schlicht abnimmt, dass er das, für was er steht, auch machen wird.

Somit ist Thomas Kemmerich auch ein Neuanfang in Sachen Demokratie in diesem Land. Ein Signal für eine andere Demokratie, wie der Wähler sie sich wünscht. Vielleicht auch ein Signal an die Wähler, dass es sich grundsätzlich lohnt, immer und zu jeder Wahl zu gehen. Denn jede Stimme zählt. Und auch ein Signal an die Presse und Medienlandschaft, vielleicht einmal ein paar Momente inne zu halten und auf das zu hören, was der Wähler eigentlich will. Und in Thüringen war es ganz eindeutig das, was der neue Ministerpräsident nun versucht.

Viel Glück, Thomas Kemmerich!