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Stau am Everest, ein Sherpa berichtet

Norbu Sherpa, der schon diverse Achttausender bestiegen hat, darunter acht Mal den Mount Everest, legt erst nachdenklich die Stirn in Falten und sucht dann nach den passenden Worten in Englisch. Früher seien in den guten Monaten April und Mai vom Basislager aus (auf 5.364 Metern gelegen) etwa 50-80 Klienten pro Saison gestartet. Heute sitzen dort oft 200 bis 400 Bergsteiger mit ihren Teams, die – mehr oder weniger gut vorbereitet – alle auf den Berg der Berge wollen. Über dieses Phänomen, Gipfelerlebnisse und viele weitere Umstände aus dem Leben eines Sherpas informiert der Nepalese an diesem Abend mal ernst, mal schelmisch im Peaks Place im schweizerischen Laax.

Norbu, der heute 42 Jahre alt und seit 2015 mit Andrea, einer sympathischen, agilen Schweizerin aus dem Wallis verheiratet ist, hat schon jetzt ein bewegtes Leben hinter sich. Nicht nur, daß er bereits 18 Mal einen Achttausender bezwungen hat, sondern auch, daß sein bester Freund Dorjee Khatari seinerzeit am Berg umkam. Schon die Umstände wie er zum Träger und Expeditionsführer (in der Fachsprache Sirdar genannt) wurde, waren abenteuerlich. Obwohl er von den Extrembergen bis heute nicht lassen kann, war es nie seine Berufung. Die Familie brauchte Geld und so sollte ihn der Weg vor 20 Jahren eigentlich zum Arbeiten nach Taiwan führen. Nachdem die tausend Dollar „Transfergebühr“ bezahlt waren, verschwand der Schlepper jedoch auf nimmer Wiedersehen und ihm blieb, wie vielen seiner Landsleute, nichts anderes übrig, als sich ebenfalls im gefährlichen und anstrengenden Trägergeschäft zu verdingen.

So wurde aus seinem Familiennamen Sherpa, die so typische Berufsbezeichnung für die Lastenträger im Himalaya. Dazu erklärt er, daß der Name eigentlich für ein ganzes Tal bzw. ein kleines Volk im Osten des Landes stehe. Von den ca. 60.000 Bewohnern seien gut 10.000 im Klettergeschäft. Es habe sich über die Jahrzehnte unter den Expeditionen und Seilschaften herumgesprochen, dass diese Menschen, die bereits in Höhenregionen um die 3.500 bis 4.000 Meter geboren werden, extrem belastbar sind. Ohne sie ginge am Berg nichts. Die angeheuerten Sherpas gehen stets voraus, richten die unterschiedlichen Höhenlager (samt Küchen-, Müll- und Toilettenzelt) ein, tragen Tonnen an Ausrüstung und leisten Sicherungsdienste. Früher habe kaum jemand Sauerstofflaschen benutzt, heute sei es Gang und Gebe. Er schüttelt darüber den Kopf, da es für die Träger eine enorme zusätzliche Belastung sei. Dank moderner Technik gebe es heute schon Hubschrauber, die sehr begüterte „Gipfelstürmer“ bis ins Süd-/ Nord- Base-Camp (auf tibetischer Seite) fliegen. Normalerweise wandert man ca. eine Woche lang.

Den besagten Trekkingweg ab Flughafen Lukla über Kala Patthar und Gorak Shep bis zum Base Camp begehen jährlich sogar bis zu 30.000 Personen. Was treibt all‘ die Leute dahin? Als ich 1993 Nepal besuchte, war besagter Hubschrauberflug noch nicht möglich. Aber ein 40-minütiger Himalaya-Rundflug, dicht über diverse Achttausender hinweg, war bei Traumwetter ebenfalls ein Erlebnis.

Gottvertrauen und das liebe Geld

Allein die Kosten für das Permit zur Besteigung beträgt aktuell 11.000 U$-Dollar, was der Regierung jährlich Millionen einbringt. Hinzu kommen für den Bergsteiger natürlich die Kosten für den Flug, den sechs bis achtwöchigen Aufenthalt vor Ort, die Träger, Equipment, Verpflegung, medizinische Versorgung inkl. Sauerstoff (Kosten pro Flasche ca. 400 Dollar), Wetterdienst, etc. Sie addieren sich im Falle des Everest pro Person und „Service-Paket“ so schnell mal auf 50.000.- bis 80.000 EURO. Der besagte Stau entsteht letztlich dadurch, daß es de facto nur ein kleines Zeitfenster zur Besteigung gibt, das sich jährlich auf vier bis sechs Tage in den Monaten April und Mai reduziert. Grund dafür ist der Jet-Stream. Denn nicht die Eis- und Schneeverhältnisse seien neben der lebenswichtigen Höhen-Akklimatisierung, die einige Wochen dauert und am Berg durch mehrfaches Auf- und Absteigen erreicht wird, das größte Problem, sondern der Wind. Fast das ganze Jahr blase er oben mit über 150 Stundenkilometern, nur in den besagten beiden Frühlingsmonaten ströme er höher und ermögliche so den Aufstieg bei nur 20-30 Stundenkilometern. So lange sitzen alle da und belauern sich gegenseitig, um den günstigsten Moment zum Aufstieg zu erwischen. Da auf jeden Bergsteiger durchschnittlich drei „Serviceleute“ kommen, kann man sich das Gedränge gut vorstellen.

Die Erstbesteigung des Everest, des mit 8.848 Metern höchsten Berges der Erde gelang dem Neuseeländer (Sir) Edmund Hillary und seinem berühmten Sherpa Tenzing Norgay am 29.05.1953. Rund 300 Tote hat der Berg im Laufe der Zeit schon gefordert, 200 davon wurden bis heute nicht gefunden. Die erste Frau war 1975 die Japanerin Junko Tabei.

Die Gefahren kenne jeder – damals wie heute – gut. Man wisse um seine Fähigkeiten und vertraue hinsichtlich unvorhersehbarer Ereignisse wie Steinschlag, Lawinen und Wetterstürze auf göttlichen Beistand, d.h. man bittet „Jomo Miyo Lang Sangma“ vor jedem Aufstieg um die Erlaubnis des Besteigens bzw. Betretens des Berges.

2014 schließlich gründete Norbu Sherpa in Kathmandu sein eigenes Unternehmen mit Namen „WILD YAK EXPEDITIONS“, nachdem er 2008 bereits die Hauptfigur in der preisgekrönten SRFDoku-Serie „Sherpas – die wahren Helden am Everest“ war. Er tut dies nicht ausschließlich für sich, sondern auch um die Situation seiner Landsleute, insbesondere der Sherpas zu verbessern; sprich das Risiko zu minimieren. Sie brauchen ganz einfach das Geld um die Familien zu ernähren. Zirka 5.000 Dollar kann ein guter Sherpa in der Saison verdienen, wesentlich mehr als ansonsten in Nepal oder als Gastarbeiter in den arabischen Ländern üblich.

„Auch wenn es schwierige oder gar kritische Momente am Berg gab, will man recht bald mit den Kumpels doch immer wieder los“, so Norbu. Nicht ganz ohne Stolz berichtet er 2004 als „Küchenjunge“ angefangen zu haben, heute habe er umfängliche Kletter- und Sicherheitskenntnisse Die Bezahlung eines Sherpas werde stets individuell mit den Veranstaltern und Auftraggebern ausgehandelt. Man müsse jedoch aufpassen, daß man sich nicht überfordert und dann ausgepowert schnell zum alten Eisen geworfen wird. Denn man habe einen Ruf zu verlieren, wenn man nicht bis Februar/ März für die anstehenden Expeditionen im Frühsommer gebucht werde.

Die Frage, ob ein Sherpa denn immer gehen müsse, auch wenn es die Wetterverhältnisse eigentlich nicht zuließen, verneint er. Mittlerweile kenne man seine Rechte und verhandle selbstbewusster mit den Kunden. Die Sherpas seien jedoch eine eingeschworene Gemeinschaft und manch einer gehe unter dem Druck verständnisloser Auftraggeber (allgemein hin werden häufig Russen und Koreaner genannt) schon mal Stiften.

Immerhin kontrolliere jetzt ein 20-köpfiges Team von staatlichen und privaten Experten den kritischen Übergang über den Khumba-Eisbruch, der zwischen dem südlichen Basislager und dem Lager 2 liegt. D.h. sie prüfen täglich Seile, Haken und Leitern hinsichtlich Sicherheit, Verschleiß und Position. Trotz verbesserter Konditionen würde er jedoch nicht wollen, daß sein Sohn auch Sherpa – sprich Lastenesel für andere – werde. Nicht nur er, auch andere Eltern wollen dies nicht und wünschen sich würdige Jobalternativen für ihre Kinder. Schließlich kommen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen jedes Jahr durchschnittlich fünf Sherpas bei Bergunglücken ums Leben, meist durch Lawinen.

Soziales Engagement und Sicherheit sind oberstes Gebot

Mehr als fünfzehn Leute arbeiten heute für und mit ihm im Expeditions-Team, alles verlässliche Freunde. Zudem hat er zusammen mit seiner Frau unter dem Motto „Liebe, Leidenschaft und Mitgefühl“ das BUTTERFLY- PROJEKT gestartet, mit dem er die Ausbildung der Kinder von verunglückten Nepalesen unterstützen will. Wenn die Ehemänner sterben, ist es für die Frauen natürlich sehr schwer, gleichzeitig arbeiten zu gehen und für ihre Kinder zu sorgen. Jeder seiner Klienten zahlt daher einen kleinen Beitrag dafür.

Bei all‘ dem immer an seiner Seite (so auch an diesem Abend) seine Frau Andrea, die nicht nur Sportrecht-Anwältin ist, sondern als Ex-Leistungssportlerin im Ski-Touren-Gehen auch sehr gut um alle Notwendigkeiten und Bedingungen weiß.

Daher war es immer ihr Traum einmal gemeinsam den Everest zu besteigen. 2015 sollte es soweit sein, doch es kam anders: Das gewaltige Erdbeben vom 25.04.2015 setze dem ein abruptes Ende. Die Eindrücke über die Geschehnisse schildert Andrea Sherpa-Zimmermann so: Wir waren bei großer Hitze gerade auf einer staubigen Landstraße in einem engen Tal unterwegs, als gewaltige Erschütterungen spürbar wurden. Kurz darauf war die Straße durch einen Erdrutsch blockiert und hunderte Leute suchten verzweifelt nach einem halbwegs sichern Ort. Keiner wusste genau, was passiert war und alle litten unter den defizitären Bedingungen bis sie nach vier Tagen schließlich mit Helikoptern aus der misslichen Situation befreit wurden. Sie hatten quasi Glück im Unglück, denn wären sie bereits vor Ort nahe des Basislagers gewesen, hätten sie die durch das Beben der Stärke 7,8 (Nachbeben 7,3) ausgelösten Schnee-/ Gerölllawinen wahrscheinlich nicht überlebt.

Ich selbst weiß sehr gut, wie sich ein Beben der Stärke 7,3 auf der Richterskala anfühlt; hatte ich es doch 1995 in Mexiko erlebt. Nahe des Epizentrums bleibt dann kaum ein Stein auf den anderen. Im Falle Nepals waren sämtliche Bergdörfer in der Region fast vollständig zerstört, ebenso die Straßen, Lebensmittelvorräte und anstehende Ernten. Da sie beide mittendrin waren, beschlossen sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten spontan zu helfen. Der eigentliche Weg zum Mont Everest trat da erst einmal in den Hintergrund. Im Fortgang beschreibt Andrea eindrücklich die Situation wie 31 Tonnen Lebensmittel (meist Reis und Linsen) sowie Material (oft Wellblech zum Hausbau) durch (ausländische) Spenden nach nur 45 Tagen schließlich die gröbste Not lindern konnten. Nicht zuletzt gelang dies durch den Einsatz der Betroffenen, die jegliche Waren zu Fuß in die steilsten Berggebiete brachten. Darunter waren auch Frauen, die per Kopfriemen und Rückentuch bis zu 60 Kilogramm transportierten.

Froh überlebt zu haben, beschlossen beide in Nepal zu bleiben. Dort sahen sie den Schmerz und die Angst derer, die alles verloren hatten. Sie riefen das „Butterfly Help Project“ ins Leben, um Schulen zu bauen und die lokale Bevölkerung zu unterstützen. „Es geht um Liebe, Mitgefühl und einen starken Willen, Träume zu verwirklichen und Schwierigkeiten und Hindernisse zu überwinden“. Lernt man die beiden kennen, spürt man das es nicht Geschäft, sondern vielmehr eine Lebensphilosophie ist.

Der Gipfel des Glücks

Im selben Jahr heirateten Andrea und Norbu in einer traditionellen Zeremonie im immer noch verwüsteten Nepal. Aus Andrea Zimmermann und Norbu Sherpa wurde Andrea Sherpa-Zimmermann. Ein Jahr später, am 16.05.2016, standen sie zur Feier ihres gemeinsamen Traums mehr als anderthalb Stunden allein auf dem Gipfel des Mount Everest, um den Sonnenaufgang zu beobachten – ein magischer Moment. Sie ist damit eine der wenigen Frauen, der der Aufstieg bis zum Gipfel gelang. Die Einheimischen nennen den Riesen, dessen durchschnittliche Gipfeltemperatur bei etwa minus 20 Grad liegt (im Januar bis zu minus 60) übrigens Sagarmatha oder Chomolungma.

Das kleine Trailer-Video über Auf- und Abstieg ab „Advanced Camp 4“ auf über 8.300 Metern Höhe, der mitten in der Nacht um 03.45 Uhr begann, zeigt bei aller erhabener Schönheit der Bergwelt aber auch eindrücklich, was Sauerstoffmangel im menschlichen Organismus bedeutet: Bei nur 20% Sauerstoff in der Lungenluft geht alles nur sehr langsam. Nicht nur, daß man nach zehn Schritten eine (Atem)pause einlegen muß, auch das Denken und die Sprache sind stark verlangsamt. Höhenkrankheit – so Andrea – war für beide dabei kein Thema. Norbu kenne aber eine Art „Flachlandkrankheit“ und fühle sich nach zwei Tagen zunehmend unruhig und unwohl. Darüber wird inzwischen eifrig geforscht und man kann den beiden weiterhin nur alles Gute wünschen. NAMASTE!

Wer mehr über die Reiseprojekte und Unterstützungsmöglichkeiten wissen möchte, wird hier
fündig: Namens Andrea und Norbu – vielen Dank!

Und nein, wir sind nicht alle gleich und beziehen unsere Kraft aus unterschiedlichen Quellen – und das ist gut so.

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Seit 2002 ist Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für die Amtsgerichte Speyer, Ludwigshafen und Germersheim (teils ehrenamtliche Fallberatung).

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Profi-WM 1978 und 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten vielseitig interessiert und seit 2012 auch wieder semi-professional als Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“ tätig. Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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