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I’m singing in the Rain – Ein Bericht von Petra Fritz

Gut beschirmt durch das herbstliche Schmuddelwetter mit dem Besuch von Petra Fritz in einer Schirm-Manufaktur.

Kürzlich ist die Fashion-Week-Saison in Paris und Mailand zu Ende gegangen und der Herbst hält Einzug. Nebel und Nässe machen sich breit; Schmuddelwetter eben. Nach zwei trockenen Sommern braucht die Natur den Regen natürlich dringend und ich liebe das Plätschergeräusch auf dem Dach. Aber ganz ehrlich, wenn man raus muß, können Regen und Feuchtigkeit auch ganz schön ungemütlich sein. Alles ist klamm und kommt auch noch Wind dazu, werden selbst kurze Erledigungen zur Tortur. Meine beiden Schirme gleichen inzwischen eher „Überraschungseiern“, d.h. der eine klemmt schon beim Öffnen, was u.a. an einer gebrochenen Mittelspeiche zu liegen scheint; der andere schließt nicht mehr richtig.

Das muß doch auch anders gehen. Nach kurzer Recherche im Internet werde ich u.a. bei „Ombrelli Francesco Maglia“ fündig. Es gibt offensichtlich noch Wertarbeit verbunden mit modernem Design und Hightech-Expertise. Maglia fertigt vorwiegend Schirme nach Maß bzw. Wunschdesign. Ähnlich einem Baukastensystem kann man aus vielen verschiedenen Stock-, Griff-, Stoff- und Farbkomponenten wählen. Warum habe ich von dieser Firma mit Hauptsitz in Mailand bisher nichts gehört? Und überhaupt: gibt es Schirmfertigung nicht nur noch in Billiglohnländern?

Das will ich mir genauer ansehen und kurzerhand vereinbare ich einen Ortstermin. Prompt erhalte ich eine Einladung mir die Werkstätten in Form einer individuellen Führung anzusehen. Fast versteckt im Halbsouterrain werde ich von „Francesco Maglia VI“ am Ende einer breiten Rampe freundlich empfangen. Der Sechste, das klingt wie ein altes Adelsgeschlecht, Schirm-Adel eben. Der junge Mann und seine acht Mitarbeiterinnen (da fehlt kein Gender-Sternchen, er beschäftigt zur Zeit ausschließlich Damen, die meist schon seit Jahren im Unternehmen und hoch spezialisierte Arbeitskräfte sind) leben Transparenz, obwohl das Traditionsunternehmen von seiner Kompetenz bzw. einem Technologievorsprung lebt und gewisse Firmengeheimnisse hüten möchte. Klingt eher nach Kunsthandwerk, als Fabrikation.

Spontan entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch, das zunächst eine unerwartete Richtung nimmt. Oft sagt er, würden hier Leute klingeln, die – weil es gerade regnet – schnell mal einen Schirm bräuchten und sich dann empört über den Preis abwenden würden; ihn regelrecht beschimpfen würden. Ja, Qualität hat seinen Preis, aber wenn man ihn bezahlen soll, haben die sooft gepredigte Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung wohl plötzlich offensichtlich Grenzen – auch des Anstandes.

Er stemmt sich gegen die Wegwerfgesellschaft, versucht jedes unverbrauchte Teil zu recyceln und repariert sogar Schirme von anderen Qualitätsherstellen, die diesen Service gar nicht mehr anbieten. Vor 1990 habe es noch um die 100 Schirmfabrikationen gegeben, heute seien es nur noch eine Hand voll. Eine mittlere Preisklasse wie es früher z.B. bei der deutschen Firma „Knirps“ der Fall gewesen sei, gäbe es quasi nicht mehr.

Ein Schirm für’s Leben

Maglia fertigt zielgerichtet alles aus einer Hand und setzt jeden Schirm per Hand in 70-100 Arbeitsschritten zusammen. Nur einige der verschiedenen Hölzer wie z.B. kanadischer Ahorn, japanischer Bambus oder helles Horn aus Afrika (sehr schick) für die Stöcke und Griffenden werden importiert. Der Rest wie Kirsche, Haselnuß oder Kastanie sowie die passenden Leder stammen heimischer Produktion. Trotzdem drohen auch hier in einigen Fällen aufgrund von Dürren oder Luftverschmutzung neuerdings Engpässe, wenn man den Produktionszyklus nicht lange genug im Voraus plant. Alle Stoffe werden speziell von regional ansässigen Firmen (meist in Como) für Maglia gewebt. Dies schon deshalb, weil das Knowhow an Qualität und
Imprägnierung gewahrt werden müsse. Der Schwall an Informationen ist noch größer, als gedacht. Maglia hat aber eine sehr informative Website, die umfänglich Auskunft über die Herstellung, einzelne Komponenten und vor allem die erhältlichen Produkte gibt.

Begleitet von Weimeraner-Rüde „Fufu“ starten wir den kleinen Rundgang, denn die gesamte Produktionsfläche dürfte nicht mehr als 600 Quadratmeter haben. Dafür wird jeder Zentimeter Fläche genutzt. Kleine Handwerkseinheiten und Nischen bestückt mit Schleif-, Bohr- und Stanzmaschinen oder Schraubstöcken wechseln sich mit hohen Regalen ab, die mit unzähligen Stoffrollen oder Boxen mit Ringen, Ösen, Zwingen, Rosetten oder sonstigen Metallteilen (überwiegend aus Messing, nicht Blech) gefüllt sind. Auf einem massiven Hartholztisch aus den Gründerjahren der Werkstatt liegen diverse Holzstöcke, manche noch im Rohzustand, andere schon final bearbeitet und lackiert. Gleich daneben befinden sich einzelne Speichen und
mehrere bereits zusammen gesteckte Schirmgestelle. Fast liebevoll streift der junge Chef des Familienunternehmen in sechster Generation (seit 1854) über den ein oder anderen Holzstock und bittet mich daran zur riechen. Die knorrigen Olivenholz-Knaufe – statt der üblichen Rundung – seien für ihn als „Haptiker“ sein bevorzugtes Griffmaterial. Die Auswahl an Griffmodellen und Bezügen mit verschiedenen Ledern und eleganten Beschlägen ist bemerkenswert und habe ich so noch nie gesehen.

Spontan schnappt er eine Speiche (ein Mix aus Stahl und 1,6% Karbonfaser), die sich wie ein Expander im Kreis biegen läßt und nach dem Loslassen sofort wieder in die Ausgangsform zurückspringt. Kein Wunder, daß seine besten (Referenz)Kunden in Nord-Deutschland, Großbritannien und Skandinavien sitzen – da kann auch bei stürmischen Wetter nichts brechen.

Nun nähern wir uns Garnen und Stoffen, die exklusiv für Maglia gefertigt werden. Teils sind es selbst entworfene Muster, teils bekannte Designs wie Nadelstreifen, Paisley, Burburry oder Polka Dots. Spontan erinnert mich der Anblick an Krawattensortimente oder schottische Tartans. Manche Kunden würden hier trotz umfänglichen Bildern und einem Konfigurator auf der Website https://www.francescomaglia.it/ stundenlang verweilen, einzig um jedes Detail gezielt auszusuchen. High-Tech-Fashion eben, mit einer Haltbarkeitsdauer von 40-50 Jahren (!). Schon wenn man mit der Hand darüber streicht, spürt man die Robustheit und eine gewisse Flexibilität des Spezialgewebes mit leichtem Wachsglanz und quasi Ultra-Lotus-Effekt. Dabei handelt es sich um verschiedene Baumwoll- und Polyesterfasern, die abschließend wasserabweisend versiegelt werden. Bei aller Offenheit sind die Inhaltsstoffe dieser Sprühlösung zur Imprägnierung absolut geheim.

Bei der Fertigung berücksichtige man wenn möglich sogar die Luftfeuchtigkeit in den betreffenden Ländern. In dem man mit mehr oder weniger Nahtzugabe arbeite, bliebe die Spannung des Schirms so besser/ länger gewährleistet. Geschnitten werden diese Materialien entweder mit einer Art rollierenden Stanze oder einer extrem großen Schere mit auffallend massiven und scharfen Klingen (Kostenpunkt ca. EURO 250.-).

Maglia bietet aktuell ein Sortiment von 400 Produkten an, leistet bei der Kreation eigener Modelle aber gerne Unterstützung. Es genügt die entsprechenden Material- und Farbwünsche mitzuteilen und schon erhält man Mustervorschläge samt Preisangabe

Traditionshandwerk trifft Hightech

Gleich nebenan steht eine Schaufensterpuppe, die ein raffiniert geschnittenes Regencape mit verdeckten Nähten trägt. Gerade Nähte hätten häufig ein
Dichtigkeitsproblem. Seine Mutter würde gerne intelligente Regenkleidung herausbringen und arbeite auch schon an an einer Musterkollektion – aber die
Herstellungskosten für den breiten Markt seien aktuell einfach zu hoch. Stattdessen greift er nach einer äußerlich unscheinbaren quadratischen Stofftragetasche (Typ Totebag), die aus Stoffresten genäht ist. Wer diese Tasche besitzt, wird regelrecht zum Magier, denn man könnte selbst Wasser hineingießen, ohne das sie ausläuft – der umgekehrte Schutz-Schirm-Effekt also. Bei Regen aber umso praktischer, denn häufig wird eine Körperseite trotz Schirm feucht und mithin auch alles, was man dort mit sich trägt.

Während wir reden und mein „Guide“ diverse kurze Telefonate führt, um das Geschäfts am Laufen zu halten, schneidern, sticheln und bügeln die vier anwesenden Damen unbeirrt weiter. Auch wenn Nähen nicht seine Stärke sei, so Francesco, beherrsche er selbst alle Arbeitsgänge, obwohl er eigentlich Jura studiert habe. Das habe er mit der Muttermilch aufgesogen und sei selbstverständlich. Die Fertigung eines „Maglia-Standard-Schirmes“ dauere bei viel Erfahrung und flinken Fingern gut eine Stunde. Im Falle von kompliziertere Modellen, kann die Fertigung bis zu fünfzehn Stunden pro Stück betragen. Ein interessanter Punkt, denn setzt man die Produktionszeit von maschinell gefertigter „Zehn-Euro-Massenware“ mit nur zehn Minuten an und bedenkt den erheblich höherwertigen Materialeinsatz von Qualitätsschirmen bei einer Nutzung um die 40 Jahre, gelangt man bei Kosten von
EURO 200.- bis 600.- im Ergebnis zu einer ähnlichen Kosten-Leistungs-Relation. So ein Schätzchen sollte man freilich nicht aus den Augen lassen oder gar irgendwo vergessen.

Der Teufel trägt Prada, die Engelschar Maglia?

Im selben Moment fällt mein Blick auf einen unscheinbaren Kasten, an dessen Frontseite ca. 50 Namensschildchen kleben. Darunter ein bekanntes Londoner sowie Pariser Kaufhaus, internationale Modelabels und andere Exklusivshops. Francesco lächelt, denn das sind alles renommierte Kunden, die individuell bei ihm fertigen lassen. D.h. ihr Logo auf seinen Schirmen anbringen lassen. Er bittet ausdrücklich darum keine Namen zu nennen. Kein Wunder also, das die „Marke Maglia“ als Firma nur Insidern bekannt ist bzw. nur bei Direktkauf erscheint.

Jährlich werden am hiesigen Standort durchschnittlich 4.000 bis 6.000 Schirme gefertigt. In den kommenden vier Wochen bis Anfang November sei Hochsaison, denn bis dahin sollen 1.000 bestellte Schirme die Werkstatt verlassen. Bevorzugt bestellen die (Groß)Kunden immer kurzfristiger, um Trends und Preise zu optimieren. Absolut IN seien derzeit mal wieder Hahnentritt und Pepitamuster.

Projekte habe er noch so einige „auf dem Schirm“, ggf. auch eine Kooperation mit einem französischen Unternehmen. Man pflege u.a. gute Kontakte zu Dolce & Gabbana und sei auch auf Show-Events in Deutschland wie der Hamburger Trunk Show vertreten. Mit Sicherheit sind Maglia-Schirme auch schon mit dem Orient-Express gereist und haben den Weg in die Königshäuser gefunden. Für Japan und USA habe man das Sortiment auch um Sonnenschirme (aus Spitze und Naturfasern) erweitert. Nur ein kleines innovatives Unternehmen könne auf solche Sonderwünsche zeitnah reagieren.

Zwei Stunden sind wie im Flug vergangen und ich hätte noch so viele Fragen. Grundsätzlich besteht ein Schirm aus Griff, Stock, Gestell und Bezug. Mithin kann seine Herstellung in die drei Abschnitte Bezugsanfertigung, Gestellmontage und Zusammenführung/ Bespannung samt Griffbefestigung unterteilt werden. Das folgende Video zeigt den Prozeß im anschaulichen Schnelldurchlauf: https://www.youtube.com/watch?v=YIcKLlIrMvY).

Anfang Dezember komme ich wieder und kreiere meinen eigenen Wunschschirm als Weihnachtsgeschenk. Obwohl ich es extravagant mag, werde ich dafür wahrscheinlich die traditionellen (Winter)-Lieblingsfarben der Italiener wählen: Kamel bzw. hellbraun und dunkelblau, außen Paisley-Muster, innen uni. Als besonderes Detail wünsche ich mir auf der Unterseite entlang der acht Dreiecks-Segmente bzw. den sieben Nähten kleine Rüschen. Mal sehen, ob dies machbar ist, denn so eine Version ist bisher nicht im Programm.

Während der Versand innerhalb von 24 Stunden nach Auftragseingang garantiert ist, liegen die Fertigungszeiträume dank guter Auftragslage allerdings selten unter drei Monaten, manchmal sogar bei elf. Dann könnte meine Schirmanfertigung eher ein Präsent für Herbst 2023 werden. Egal, wie heißt es so schön: „Gut Ding will Weile haben“. Ich sage: Nur worum man sich bemüht, erfährt auch die nötige Wertschätzung.

Einer der wenigen halbwegs vergleichbaren – mir bekannten – Hersteller dürfte übrigens die „Schirmmanufaktur Kirchtag“ in Salzburg sein. Wie auch immer. Ein Regenschirm dieser Qualität ist ein Accessoire, das an die Vergangenheit erinnert, aber perfekt in die Gegenwart und Zukunft paßt – ein
unabdingbarer Klassiker, der gerade in rauen Zeiten mit Sicherheit gute Dienste leistet. Oder eben ein Grund ist, selbst im Regen zu singen und zu tanzen. Ganz so, wie Gene Kelly im gleichnamigen Musical-Film.

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Seit 2002 ist Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für die Amtsgerichte Speyer, Ludwigshafen und Germersheim (teils ehrenamtliche Fallberatung).

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Profi-WM 1978 und 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten vielseitig interessiert und seit 2012 auch wieder semi-professional als Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“ tätig. Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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