Die Rente ist sicher – aber…

Norbert Blüm hat nicht gelogen. Er hat nur nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ein Kommentar von Sascha Rauschenberger.

Das Märchen vom finanziell abgesicherten Ruhestand gibt es schon länger. Norbert Blüm hat das Märchen von den sicheren Renten nur so richtig populär gemacht. Leider betrifft die prekäre Renten-Lage nicht nur Geringverdiener, wie man meinen könnte, sondern eine breite Basis der Bevölkerung. Inflation, Nullverzinsung, unterbrochene Arbeitsviten (neudeutsch für Zeiten von Arbeitslosigkeit) und Firmenzusammenbrüche (z.B. wegen Corona) verschärfen jetzt die Situation. Allseits herrscht eine gewisse Dekadenz durch das Erreichte, Eingebildete, Erträumte. Wohlige Trägheit und Hochnäsigkeit mit Blick auf das Eigenheim oder den Kontostand ersetzen Voraussicht und Planung.

Warnungen gab es in der Vergangenheit genug. Auch was die Absicherung der eigenen Arbeitskraft bei einer immer längeren Lebensarbeitszeit angeht

Doch Achtung: es geht nicht darum, Angst zu schüren. Es ist aber wichtig deutlich zu sagen, dass immer neue, immer höhere Schulden des Staates nicht die Lösung unserer Demografie-Probleme sein können. Auch in einer Zeit, in der die Angst vor dem Corona-Kollaps viele andere Themen zudeckt, ist es umso wichtiger, für all die anderen gesellschaftlichen Herausforderungen einen klaren Blick zu behalten.

Ja, die Digitalisierung der Öffentlichen Verwaltung und der Klima-Schutz kosten Geld, viel Geld. Aber Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ist alt. Bald ist Deutschland die älteste Gesellschaft auf der Erde. Viele, viele Rentner wollen ernährt und gepflegt werden. Doch schon heute fließen Jahr für Jahr mehr als 100 Milliarden Eudo aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse. Weil zu wenige Jüngere für die Älteren einzahlen. Das ist eine Schraube, die bald überdreht. Das ist absehbar, mathematisch berechenbar. Nur nicht für die neue Bundesregierung, die dem demografischen Wandel kaum Platz in den 177 Seiten des Koalitions-Papieres einräumt.

Norbert Blüm würde heute sagen: Die Renten sind sicher, solange niemand über 75 Jahre alt wird und bis 70 arbeitet! Er log nicht, denn sein gern verwendeter Satz fiel vor der Wiedervereinigung mit den leeren Rentenkassen der 1990 beigetretenen DDR.

Die Pensionskassen sind nicht ganz leer, nur wurden in sie über fast zwanzig Jahre nichts, mindestens aber viel zu wenig eingezahlt. Die Pensionsrückstellungen müssen für jeden einzelnen Beamten bei Pensionsbeginn – natürlich nachverzinst mit Zinseszins – nachgezahlt werden. Und das aus dem laufenden Haushalt. Hier sind vor allem Kommunen betroffen, da die Länder und der Bund früher begannen, nachzusteuern.

Das Gleiche gilt für die betriebliche Altersversorgung (bAV), die zum Teil Zinsgarantien für das zugesagte Guthaben umfasste. Letztere müssen die Arbeitgeber nun oft selbst und aus dem Unternehmensgewinn heraus tragen. Das macht viele Unternehmen inzwischen nach zehn Jahren Null-Zins-Politik für wirtschaftliche Einbrüche recht anfällig. Natürlich machen diese jahrzehntelangen Zahlungsverpflichtungen solche Unternehmen dann auch für die Fremdkapitalaufnahme zu einem Risiko für die Gläubiger. Zu Deutsch: viele vollhaftende Gesellschafter überlegen inzwischen, solche Unternehmen in Kapitalgesellschaften umzuwandeln und/oder als Kapitalgesellschaften Pleite gehen zu lassen. Das ist nicht gut für die Beschäftigten; wohl aber der einzige Weg für Unternehmer, nicht selbst in der Schlange zu stehen. Die Sozialkassen lassen wir aus dem Spiel, da sie seit Jahrzehnten schon ohne Babyboom und bei wachsender Lebenserwartung aus dem Bundeshaushalt bezuschusst werden müssen. Das wird 2024 zum Hauptinvestitionsprojekt der Regierung. Nicht Feinstaub, Fahrradwegausbau und Energie.

Lebensversicherer und private Rentenversicherer haben auch mit zehn Jahren Nullzinspolitik zu kämpfen. Das eingezahlte Guthaben wurde nur bedingt verzinst, musste zum großen Teil – wie gesetzlich festgelegt – an den Staat verliehen werden und machte einen ausschüttbaren Gewinn immer schwieriger. Trotz ständiger Leistungsreduktion, wie Überschussbeteiligung und Garantiezins. Ergo lohnt es sich einmal zum Jahresbeginn 2022 die Policen von einst hervorzuholen und damalige SOLL-Prognosen mit dem erreichten IST-Stand kritisch zu vergleichen.

Dann ist da noch die Absicherung dessen, was noch übrig bleibt, wenn man immer länger arbeiten soll und muss: die eigene Arbeitskraft, die zum eigentlichen Garanten der Absicherung im Alter geworden ist. Abseits vom Flaschensammeln, den TafelnN und des unbeheizten Wintervergnügens im Dunklen…

Es war schon immer schwer vorstellbar, wie gewisse Berufe überhaupt das früher gesetzlich festgelegte Rentenalter erreichen konnten. Fliesenleger und ihre Knie sowie Fließbandarbeiter und der Rücken sollen hier nur als verständliche Beispiele dienen. Arbeitszeitenden auf 40, 45, 47 oder 50 Beitragsjahre hochzuschrauben ist in der Theorie recht einfach, nur in der Realität schwer zu organisieren. Die politisch Verantwortlichen wälzen die Last auf die Unternehmen ab. Und die schreien nach frischem Blut, schielen auf die Migration und erkennen, dass das was da kommt, zum allergrößten Teil noch nicht mal eine Befähigung zur Berufs-Ausbildung hat, die aber zwingend nötig ist, um auf westlichem Industrieniveau zu arbeiten. Von der sowieso zunehmenden Bildungs- und Ausbildungsfalle durch Nichtwissen und Unterqualifikation von Bewerbern ohne Migrationshintergrund ist eh nichts zu hören. Ergo ist die Wirtschaft auf die Alten und Erfahrenen weiter angewiesen. Und dennoch sind die eigentlich nicht wirklich gewollt, weil sie zwar gesünder sind als vor 40 Jahren, aber halt nicht in allen Berufen weiterarbeiten können. Irgendwo hängt Produktivität, Leistungsvermögen und politische Ideen dort zusammen, wo am Jahresende eine Bilanz entsteht und der Staat dann vielfach Steuern haben will. Als Rendite für seine tollen Ideen, seine vorausschauende Ordnungspolitik und sein weises Handeln zur Mehrung des Vermögens aller. (OK: das war jetzt gemein!)

Wie finanzieren wir trotz vielfach getätigter Altersabsicherung unseren Lebensabend als alternde Gesellschaft, wenn seit Jahrzehnten die Politik nichts ausgelassen hat, um eben diese Absicht ständig und überall zu torpedieren?

Als Lösung für die Masse der Bürger sehe ich eine Art wie auch immer auskömmlicher Grundrente für alle, die vielleicht (i.e.S. von möglicherweise!!) durch etwas finanziert werden kann, was neudeutsch „Fonds“ heißt und auf „wer weiß was“ basiert (Aktien, Rohstoffe, Gold,…) Ich hoffe darauf, dass es bald endlich auch versicherungstechnische Absicherungsmodelle für die Arbeitskraft im Alter gibt. Für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber.

Individuell gibt es noch Möglichkeiten, die Einkommens-Lücke im Alter zu schließen. Doch dazu sollte man nun zügig seine Komfortzone verlassen und endlich tätig werden. Vielleicht auch als guten Vorsatz für das neue Jahr 2022.

Sascha Rauschenberger, geboren 1966 in Wattenscheid, ging nach dem Abitur zur Bundeswehr, wo er als Panzeraufklärer und Nachrichtenoffizier Dienst tat. Er diente, unter anderem als Reservist, in vier Auslandseinsätzen, zuletzt als Militärberater in Afghanistan.

Seit 2000 ist er als Unternehmensberater im Bereich Projektmanagement und Arbeitsorganisation (Future Work) tätig.