Zehntausende angeworbene oder umgeschulte Pflegekräfte nachhaltig in den Beruf integrieren

Forscherinnen im Auftrag der Böckler-Stiftung: Einrichtungen brauchen mehr Ressourcen.

Fachkräfteanwerbung im Ausland und Quereinstiege aus anderen Berufen sollen den drastischen Mangel an Pflegekräften in Deutschland mildern. Zwischen 2012 und 2017 sind auf diesen Wegen insgesamt immerhin rund 63.000 Personen neu auf den Pflege-Arbeitsmarkt gekommen. Doch damit die Newcomer dauerhaft in der Pflege bleiben, braucht es in Pflegeeinrichtungen zusätzliche Ressourcen und systematische Konzepte für ihre Integration in den Beruf, zeigt eine neue Analyse der Hans-Böckler-Stiftung.* Neben den Arbeitgebern ist auch die Politik gefragt, weil nötige Integrationsanstrengungen beispielsweise Auswirkungen auf den Personalschlüssel haben, die von Kranken- und Pflegeversicherungen bezahlt werden müssen. Betriebsräte können einen Beitrag leisten, die nötigen Integrationsleistungen über bindende Vereinbarungen festzuschreiben. Gelingt es nicht, die Neuzugänge zu halten, droht letztlich eine Verschärfung von Zeitnot und Personalknappheit auf vielen Stationen.

Klar ist: Den Pflegenotstand werden Fachkräfte aus dem Ausland sowie Quereinsteigende, die finanziert von der Bundesagentur für Arbeit aus anderen Berufen zur Pflege-Fachkraft umgeschult werden, nicht lösen. Dazu ist die Personallücke viel zu groß. Beim ersten Blick auf die Statistiken sieht es aber immerhin so aus, als sei spürbare Entlastung unterwegs: Zwischen 2012 und 2017 haben gut 30.000 umgeschulte Fachkräfte ihre Ausbildung, meist in der Altenpflege, erfolgreich abgeschlossen. Und die Zahl der zugewanderten Pflegerinnen und Pfleger mit laufendem Anerkennungsverfahren ihres ausländischen Berufsabschlusses stieg von rund 1.500 im Jahr 2012 auf fast 9.000 in 2017 – insgesamt beantragten in diesem Zeitraum rund 32.000 Fachkräfte die Anerkennung ihrer Berufsqualifikationen im Zielberuf Gesundheits- und Krankenpflege. Deutschland wird, wie bislang schon die USA, Großbritannien oder Kanada, weltweit für Pflegekräfte zu einem interessanten Migrationsziel. Auch das zeigen die Statistiken, die die Pflegeexpertinnen Dr. Christa Larsen, Sigrid Rand (beide Universität Frankfurt), Mariana Grgic und Birgit Riedel (Deutsches Jugendinstitut München) und Dr. Dorothea Voss (Hans-Böckler-Stiftung) ausgewertet haben: Kamen 2012 noch mehr als zwei Drittel der ausländischen Pflegekräfte aus EU-Ländern, hat sich das Verhältnis bis 2017 umgekehrt. Mittlerweile zählen Bosnien-Herzegowina, Serbien oder die Philippinen zu den wichtigsten Herkunftsländern. Gesundheitsminister Jens Spahn reiste sogar eigens nach Mexiko, um bei Pflegekräften für die Auswanderung nach Deutschland zu werben.

Doch Umschulung oder Anwerbung sind nur der erste Schritt. Der zweite – die dauerhafte Integration ins neue Arbeitsfeld –, ist nach Analyse der Wissenschaftlerinnen ebenso wichtig und anspruchsvoll. Misslingt er, können sich die ermutigenden Zahlen schnell als Makulatur erweisen. Zwar gibt es keine systematisch erhobenen Daten darüber, wie viele der Newcomer dem Pflegeberuf oder Deutschland wieder den Rücken kehren. Doch in qualitativen Untersuchungen haben die Forscherinnen gezeigt, dass es nicht wenige sind: „Es gibt strukturelle Hindernisse für eine Integration der zunehmenden Zahl von Fachkräften, die aus dem Ausland oder als Quereinsteigende aus einem anderen Beruf in der Pflege tätig werden“, schreiben sie in ihrer aktuellen Analyse. „Dadurch kommt es zu Konflikten und Missverständnissen, häufig scheitert die Integration in den Pflegealltag ganz.“

Eine zentrale Hürde: zu wenig Zeit für die Newcomer

Eine zentrale Hürde ist schlicht und einfach: zu wenig Zeit. Keine Neu-Pflegekraft kann vom ersten Tag an volle Leistung bei der verantwortungsvollen Arbeit mit kranken, alten oder behinderten Menschen bringen, dafür fehlt schlicht die Erfahrung – und bei ausländischen Newcomern zum Teil auch die Sprachkenntnisse. Für Vorgesetzte und vor allem die schon länger in der Pflege Beschäftigten bringen die neuen Kolleginnen deshalb zunächst nicht nur die ersehnte Verstärkung, sondern auch zusätzliche Aufgaben: Erklären, zeigen, Fragen beantworten. Ist die Personaldecke ohnehin dünn, kann das den eng getakteten Alltag auf der Station erst einmal noch schwieriger machen.

Hinzu kommen oft Erfahrungen und Erwartungen der neu Eingestiegenen, die von denen der etablierten Pflegekräfte abweichen. Das gilt vor allem für die Eingewanderten: In den meisten Ländern absolvieren Pflegefachkräfte ein Hochschulstudium, im Berufsalltag übernehmen sie zum Teil Tätigkeiten, die in Deutschland Ärzten vorbehalten sind, und sie kümmern sich auch stärker ums Pflegemanagement. Mit der so genannten „Grundpflege“, dazu zählen etwa Waschen oder Hilfe beim Essen, haben sie dagegen weniger zu tun als in Deutschland ausgebildete Pflegefachkräfte.

In der Praxis haben die Forscherinnen zwei Muster beobachtet, die die Integration neuer Kräfte nicht selten belasten

Einstieg als Überforderung. Davon berichten vor allem Quereinsteigende, die aus anderen Berufen oder der Arbeitslosigkeit in die Altenpflege wechseln. Als „gestandene“, oft etwas ältere, Erwachsene werden sie nicht als Berufseinsteigende angesehen, sondern in den täglichen Abläufen allzu schnell als vollwertige Fachkräfte eingesetzt. Kollegen und Vorgesetzte schreiben ihnen oft mehr Kompetenzen zu, als es ihrem Ausbildungsstand entspricht. Besonders schwierig kann es werden, wenn die „Praxisanleitung“, die für die betriebliche Ausbildung zuständig ist, um einiges jünger ist als die Newcomerin.

Einstieg als Unterforderung. Vor allem zugewanderte Fachkräfte in der Krankenpflege erleben hingegen, dass sie trotz vorhandener Berufsabschlüsse und Sprachkenntnisse zunächst als Pflegehelferinnen und -helfer beschäftigt werden. Das kann sich über einen längeren Zeitraum hinziehen, zumal das behördliche Anerkennungsverfahren der ausländischen Abschlüsse bis zu 18 Monate dauern kann. Bei den Fachkräften aus dem Ausland verursacht solche Beschäftigung „unter Wert“ oft starke Frustrationen. Hinzu kommt, dass Vorgesetzte und etablierte Beschäftigte die im Studium erworbenen besonderen Qualifikationen der Zugewanderten oft als „praxisfern“ bewerten und mangelnde Erfahrung in der „Grundpflege“ konstatieren.

Sowohl bei den Newcomern als auch unter den etablierten Kolleginnen und Kollegen drohen Frustrationen und Enttäuschungen, warnen die Wissenschaftlerinnen. Der erhebliche Aufwand auf beiden Seiten sei „verschwendet“, wenn Zugewanderte oder Quereinsteigende nach relativ kurzer Zeit wieder aus der Pflege aussteigen. Die Forscherinnen sehen Arbeitgeber, Politik, aber auch Einrichtungen der Pflegeausbildung in der Pflicht, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Als wichtigste Ansätze nennen sie:

  1. Mehr Zeit für die Integration. Dazu zählen sie sowohl mehr Ressourcen für Praxisanleiterinnen und -anleiter als auch Maßnahmen zur Organisationsentwicklung auf den Stationen bis hin zum Einsatz von Coaches. Dazu müssten sich nicht nur viele Arbeitgeber stärker engagieren als bisher, betonen die Pflegeexpertinnen. Systematische Integration funktioniere nur, wenn die dafür nötigen Aufwendungen künftig auch bei der Refinanzierung von Pflegeeinrichtungen ausreichend berücksichtigt werden – eine Aufgabe für den Gesetzgeber.
  2. Anerkennungsverfahren für die Abschlüsse ausländischer Pflegefachkräfte beschleunigen. Dadurch werde die Bereitschaft steigen, die Zugewanderten schnell ihrer Qualifikation gemäß zu beschäftigen. Dass mit dem „Deutschen Kompetenzzentrum für internationale Fachkräfte in den Gesundheits- und Pflegeberufen“ (DKF) kürzlich eine Stelle geschaffen wurde, die für eine Beschleunigung und einheitliche Standards sorgen soll, bewerten die Forscherinnen als Schritt in die richtige Richtung. Dies gelte ebenso für die von der Bundesregierung finanzierten Aktivitäten des Kuratoriums der Deutschen Altenhilfe (KDA), zur betrieblichen Integration einen „Werkzeugkasten“ zu entwickeln. Jedoch bleibe es abzuwarten, inwieweit solche Tools, der komplexen Lage ausreichend Rechnung tragen können werden.
  3. Mehr Informationen und Reflexionsmöglichkeiten darüber, wie im Ausland für die Pflege ausgebildet wird und wie die Arbeitsteilung dort aussieht. Das sollte sowohl über ein öffentlich zugängliches Webportal als auch in der deutschen Pflegeausbildung geschehen.
  4. Betriebsräte können wichtige Beiträge leisten, um die Integration voranzutreiben, betonen die Forscherinnen. „Sie sorgen dafür, dass die strukturellen Hindernisse auf der betrieblichen Agenda bleiben, nutzen Instrumente der betrieblichen Mitbestimmung wie Betriebsvereinbarungen, um verlässliche Standards und Rechte festzuschreiben, und fordern das Management in seiner Verantwortung für die notwendigen Prozesse der Organisations- und Personalentwicklung.“
  5. Bessere Vorbereitung und Auswahl bei der Umschulung zu Altenpflegefachkräften. Auch im Prozess der Qualifizierung von Quereinsteigenden aus anderen Berufen sehen die Forscherinnen Defizite. Die Bundesagentur für Arbeit und Pflegeträger müssten sich enger darüber abstimmen, welche Anforderungen an Bewerberinnen und Bewerber gestellt und welche Arbeitsbedingungen realistisch zu erwarten sind. Denn für Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die durch Kosten- und Zeitdruck in der Pflege entstehen, sind Neueinsteiger noch sensibler als etablierte Pflegekräfte.

Von solchen Investitionen versprechen sich die Forscherinnen einen doppelten Nutzen. Erstens blieben mehr von den zugewanderten oder umgeschulten Kräften auch längerfristig in der Pflege und sorgten so für echte Verstärkung. Zweitens könne es sich lohnen, die Kompetenzen und Erfahrungen ausländischer Fachkräfte und Quereinsteigende bei Überlegungen zu Reformen im Gesundheitswesen einzubeziehen. Schließlich gilt beispielsweise die derzeit praktizierte Arbeitsteilung in deutschen Krankenhäusern, die dem qualifizierten Pflegepersonal vergleichsweise wenige medizinische Kompetenzen zuordnet, vielen Experten als wenig innovativ.