Shopping-Wahn in Köln

Schlangen-Bildung vor einem Gold-Händler in Köln. Was treibt die Menschen in die Sachwerte? Beobachtungen von Sascha Rauschenberger.

„Ist der Staat, das Vertrauen eines Bürgers wert?“, könnte man in Anlehnung an Ovid fragen, wenn man vor wenigen Tagen in Köln die Degussa-Bank in der Gereonstraße so sah. Eine lange Schlange von Menschen stand vor dem mit Sicherheitspersonal gefüllten Eingang und wollte hinein. Kamen aber nur nach und nach rein. Immer dann, wenn drinnen ein Platz frei wurde. Doch was gab es da abzustauben, dass Menschen geduldig vor (!!) einer Bank stehend warten lässt, wie einst in der DDR vor Läden, in denen es exotische Südfrüchte (Orangen, Zitronen, Pfirsiche und Bananen…) gab?

Der Autor fragte nach, als er unvermittelt mit dem Handy agierend von hinten kommend auf die Schlange auflief, sozusagen einen Auflaufunfall verursachte. Zunächst war das peinlich, dann komisch und dann – zumindest für ihn – witzig und führte zu der Nachfrage, ob es da drin etwas umsonst gäbe. Und dann, da es sich offensichtlich um eine Bank handelte, die Frage, ob man vielleicht den Untergang des Euro verpasst hätte. – Eisiges Schweigen. Witzig fand das niemand. Also fragte der Autor ein Ehepaar, das gerade die Bank verließ, was da drin vorgehe. „Gold“, sagte der Mann. „Die kaufen alle Gold. Wie wir auch.“

Man stelle sich die Szene vor. Mitten in Köln um 14 Uhr. In DER Bankenstraße schlechthin steht eine knapp zwanzig Meter lange Schlange vor einer Bank, um zum Goldkauf rein zu dürfen. Immer schön einzeln natürlich, damit der Verkaufsraum nicht überfüllt ist. Ein Bild der Götter…

Und es kam noch besser. Der Autor gab sich als Pressevertreter zu erkennen und blitzartig wurde die ruhige Masse zum Mob. Keiner wollte auf Bilder. Keiner wollte etwas sagen. Keiner wollte überhaupt, dass man da war. Die Nerven lagen blank. Panik machte sich breit. Zwei Paare gingen, schlichen fast schon weg. Die ersten Protagonisten drohten, wenn man nicht ginge. Tja, da hatten sie den falschen erwischt. Jetzt war die Neugier geweckt. Doch was waren das für Leute? Mittelstand. Ein oder zwei auch eher Arbeiter. Aber die Masse wohl Selbständige. Gut gekleidet. Oft zu zweit mit Partner oder Freund. Keine Kinder dabei. Keine Senioren/Rentner.

Nächste Runde eingeläutet. Bei soviel unverhofft „entgegenschlagender Sympathie“ kann man nachlegen. Handy vorm Bauch haltend wird via WhatsApp mit der Redaktion Kontakt aufgenommen. Auf das Häuflein der Wartenden wirkte das aber wie eine Videodokumentation. Die Stimmung erreichte neue Höhen, zumal man (der Autor) offen und laut (!) über Schwarzgeld und mögliche Steuerhinterziehung schwadronierte. Jetzt kam Bewegung ins Spiel. Man solle verschwinden, oder… Klar, das kann man toppen. Den Helden wurde das Handy gezeigt. Mit dem Hinweis, dass da kein Film gedreht wurde. Dafür googelte der Autor nun die Steuerfahndung Köln. Tippte zum Entsetzen des Beschwerdeführers auf die Nummer der Steuerfahndung und ließ sich mit dem Bereitschaftsdienst verbinden. Auf Lautsprecher. Erklärte nun das Geschehen dem Beamten auf der anderen Seite, fragte mal nach, so aus reinstem Chronisteninteresse, ob das normal wäre. Oder ob das nur hier in Köln vor Weihnachten normal wäre. War es laut Steuerfahndung nicht. Man war interessiert. Wieder verließen einige Gestalten schnell die Schlange. Hatten urplötzlich kurz vor Weihnachten anderes zu tun.

Die Zentrale von Degussa wurde dann später auch noch kontaktiert. Die wollten zurückrufen, taten es aber nicht. Das war wohl zu erwarten. Denn was als eine Art bloße spaßig gemeinte Frage begann, entwickelte sich binnen Minuten zum realsatirischen Drama. Der Spießbürger fühlte sich bedroht. Aber durch wen denn?

Kommen wir daher zur Frage, warum wollen die Gold kaufen? Gold ist ein Edelmetall, das recht selten ist. In der Menschheitsgeschichte wurden geschätzt zwischen 160.000 und 180.000 Tonnen gefördert. Zigtausende Tonnen sind verschollen. So das Gold des Perserkönigs Darius II aus der Schatzkammer von Ekbatana nach dem Einmarsch von Alexander. Wohl der größte Einzelverlust der Menschheitsgeschichte.

Gold lässt sich zwar künstlich herstellen, aber der Energieaufwand dafür ist unwirtschaftlich. Daher eignete es sich schon immer als Geld. So waren Edelmetallfunde immer schon ihr Gewicht in Geld wert. Egal in welcher Währung. Als die Geldmenge steigen musste, die Reserven nicht reichten, wurde die Geldkernwährung erfunden. 50, 30 und später 10 Prozent des ausgegebenen Geldes musste mit Gold gedeckt werden. Dieses lag in den Zentralbanken.

Später reichte auch das nicht mehr und das Geld wurde vom Gold entkoppelt. Gold war nur noch Notreserve der Länder, die ihre Währungen nun frei von Zwängen selbst mengenmäßig bestimmen konnten. Die damit verbundene Inflation (Geldvermehrung) wurde durch die Höhe der Zinsen reguliert. Niedrige Zinsen beflügelten so den Markt, hohe Zinsen bremsten ihn. Damit konnte dann auch eine Volkswirtschaft reguliert, gesteuert werden.

In der Nullzinsphase der letzten Jahre entfiel auch das immer mehr. Geldersparnisse werden nicht mehr verzinst, Kredite kosten nichts mehr und die Geldmenge wächst durch die Aktionen der Notenbanken dramatisch an. Auch dadurch, dass Geld künstlich in den Markt gedrückt wurde, um klamme Staaten in ihrer hohen Verschuldung zu unterstützen. Das Geld kam nur noch aus der Notenpresse. Eigentlich noch nicht mal das. Es wurde digital „produziert“.

Da das nicht mehr reicht, reden Regierung und EZB nun davon, das Ersparte auch noch negativ zu verzinsen. Ergo neben der ohnehin schon vorhandenen Inflation durch Abzug von Strafzinsen noch mehr zu verkleinern. Somit das Guthaben der Bürger abzuschöpfen. Sogar das Bargeld ganz abzuschaffen, um Zugriff auf das gesamte Vermögen ALLER zu haben. Wenn also solche Negativzinsen von 2% pro Jahr eingeführt würden, wäre das ersparte Guthaben in zehn Jahren um mehr als 20% reduziert. Gerechnet ohne Zinseszinseffekt auf entgangene Gewinne.

Es gibt nun so viel, dass Geld sich nicht mehr durch sich selbst verzinsen kann. Anlagen müssen her, die (Kapital)Gewinne erwirtschaften. Das schreit geradezu nach anderen werterhaltenden Maßnahmen. Das hat zu Aktienhaussen und Immobilienblasen geführt, die jetzt immer offensichtlicher werden. In Italien kippen schon wieder erste Banken. Griechenland, Zypern und Portugal waren schon pleite. Das europäische Euro-Volk wird nervös. Andere Regierungen auch. China, Russland und Indien kaufen Gold seit Jahren massiv auf.

Und da Gold seit je her als Fluchtanlage galt steigen die Kurse nun seit Jahren. Und das immer schneller.

So hat die Bundesregierung zum ersten Januar ein Gesetz beschlossen, dass die anonyme Ankaufs-Grenze von Gold von 10.000 auf 2.000 Euro senkt. Und hier wird nun die Schlange vor Degussa zur logischen Folge. Man will anonym und für den Staat unsichtbar sein Geld in Gold absichern.

Der Spießbürger steht gern Schlange, wenn er dadurch an das Gold kommt, das sein Vermögen retten soll. Vor EZB, Staat und Willkür. Und das bitte aber unentdeckt, unabgelichtet und still und heimlich. Ein quasi intimer Moment rechtschaffenden Handelns von Musterbürgern. Die wohlhabende Mittelschicht geht lieber auf Nummer sicher.

Und da ist Degussa ein Big Player im System derer, die mit Gold Hoffnung erwecken. Leider mitunter auch falsche Hoffnungen wecken. Denn der private Goldbesitz wurde schon mehrmals in der Geschichte verboten. Gold wurde vom Staat zu Spottpreisen aufgekauft. Präsident Roosevelt tat dies und kaufte so vom US-Bürger für 23 Dollars pro Feinunze den Bürgern das Gold ab. In Deutschland hieß die Nummer im ersten Weltkrieg „Gold gab ich für Eisen“. Ja, der Goldbesitz kann unter Strafe gestellt werden. Mit einem einzigen Gesetz. Nur mal so. Vermutlich wurde das in der Verkaufshalle des Goldhändlers nicht erwähnt. Und die Dimension des Hortens ist in Deutschland ausgeprägt. 9000 Tonnen horten wir. 5000 in Barren und Münzen und 4000 in Schmuck. Aber es gibt weitere Schattenseiten.

Da ist die Tatsache zu nennen, dass der Jahresverbrauch an Gold seit Jahren wesentlich höher liegt, als die Goldproduktion weltweit. Man munkelt, dass der staatliche Sektor (Zentralbanken) gar nicht mehr das Gold hat, was dort angeblich liegt. Das war auch vor ein paar Jahren in Deutschland ein Thema, was aber still und leise ausgeblendet wurde. Jedenfalls war das Gold, das wir aus den USA zurückholten nicht das Gold, was wir dort eingelagert hatten. Die Nummern auf den Barren waren nicht identisch. Darüber sollte man nachdenken. Gründlich. Zumal das Gold in Fort Knox seit 1953 nicht mehr offiziell gezählt wurde.

Jedenfalls holen seit Jahren immer mehr Notenbanken ihr Gold aus anderen Ländern in die eigenen Tresore zurück. Das könnte man als schwindendes Vertrauen in die Globalisierung bezeichnen. Oder auch nur Vorsicht. Pessimisten nennen es Vorbereitung.

Was die Leute in der Schlange vor der Kölner Degussa-Bank bewegte, kann nur vermutet werden. Sie kauften mit Masse kleine Stückelungen. Keine 1000g-Barren, sondern 5-, 10-, 20g-Plättchen. Also Stückelungen, die handhabbar sind, wie die alten kaiserlichen 5-, 10- und 20-RM-Goldstücke. Ergo ist die Absicht nicht die Anlage, sondern eher die Vorbereitung und Absicht mit dieser Stückelung notfalls auch handeln zu können. Einkaufen zu können? Immerhin würde Aldi vermutlich keinen 1000g-Barren wechseln können. Eine Tankstelle wohl auch nicht. Aber auf dem Schwarzmarkt wäre das die fast schon ideale Stücklung, oder?

Es könnte aber auch daran liegen, dass Degussa inzwischen knapp an größeren Barren ist. Es gexistieren schon Wartelisten für die Zuteilung, da nicht jeder, der Gold kauft auch automatisch und sofort sein Gold mitnehmen kann. Man daher schon Kunden kleinere Barren verkauft, um überhaupt Gold liefern zu können. Natürlich ist da auch die Marge für Degussa pro Gramm größer. Philanthropen bei der Arbeit zuzusehen ist immer schön.

Und mit dieser Frage im Hinterkopf störte der Autor nun die Befindlichkeiten derer, die da in der Schlange standen. Logisch, dass die aggressiv wurden. Panik hatten. Sogar mit Schlägen drohten, was einen ehemaligen Soldaten mit vier Auslandseinsätzen aber eher kalt lässt. Wer elf persönlich bekannte Kameraden im Einsatz verloren hat, wird sich nicht durch solche gutbürgerlichen Gestalten einschüchtern lassen. Und da ist dann ein weiterer Punkt, den diese Leutchen nicht bedacht haben. Wenn es Zeit ist, dass solche Minigoldbarren zur Existenz-Sicherung notwendig werden, dann ist der Besitz dieser Barren ohne Schutz lebensgefährlich.

Und das Bankgeheimnis? Das Geschehen in Köln war kein Bankgeschäft. Das war ein Kauf von Waren. Nur mal so. Da gibt es kein Bankgeheimnis.

Der zweite Punkt ist aber viel gravierender und der Autor nennt es „Glauben an den Endsieg“ und das erneute Warten auf „Wunderwaffen“. Als die alliierten Bomberströme die Städte zerbombten, hunderttausende Soldaten fielen und die Fronten in Richtung Berlin vorrückten, war der Glaube an den Endsieg groß. Wurde propagiert, vorgegeben und frenetisch von denen eingefordert, die ihn erbringen sollten. Dafür wurden dann auch „Wunderwaffen“ versprochen. Der Endsieg heißt heute ununterbrochenes wirtschaftliches Wachstum in genderkonformer Klimaneutralität mit Fairtrade und nachhaltig digitalisiert. Die Wunderwaffen sind Negativzinsen. Zusammen wird uns das als Freiheit verkauft. Alternativlos selbstverständlich. Zehn Jahre Null-Zins-Politik reichen offenbar noch nicht.

Doch wenn das so richtig ist, dass es nämlich alternativlos ist, warum in aller Welt stehen dann Leute vor einer Bank Schlange und kaufen Gold in Stückelungen, die als Geldanlage eher ungewöhnlich sind? Könnten sie das Vertrauen verloren haben? In Staat, Politik und das System?

Zumal das vor der Bank eben keine Reichsbürger waren. Prepper. AfD’ler in Untergangsstimmung. Das waren die, die gern für die #GroKo klatschen. Eben das sind, was Mainstream bedeutet, sich selbst so sieht und sich so fühlt. Die fahren sogar mit E-Autos direkt bei der Bank vor. Mit dicken E-Autos, nicht den Smart-Cars… Also Establishment. Keine politischen Querulanten, Abweichler und Unbelehrbare. Keine Nazis. Es war der liebe Nachbar von nebenan. Der Geschäftspartner. Der gute Bürger. Und die haben das Vertrauen verloren?

Und nun mal ehrlich. Wer hat jetzt das Gefühl, vielleicht etwas zu verpassen? Die Angst geht um. Und sie grassiert. Wie die alljährliche Grippe. Nur dass es gegen diese Verlust-Angst keine Impfung gibt. Die Bürger-Angst ist so ansteckend wie Masern. Und für das Vertrauen so tödlich wie Ebola. Dieser Anblick in Köln war schlimmer als die Herstatt-Bankpleite.

„Angst ist der Schlüssel“ den der Bürger zu drehen bereit sein muss, um Politikern bei der Wahl Dampf zu machen. So schrieb ich es in meinem Buch „ZAHL, aber halt’s Maul“. Das taten bisher zu wenige Wähler.

Möget ihr in interessanten Zeiten leben!“ (Chinesischer Fluch)


Bild: Yusuf Simsek – „Gold im Mund“