WikiPetra – Reportagen, Hintergrund-Analysen und Kommentare von Petra Fritz in DNEWS24.
Oh, diese Wahlen bzw. Wahlzettel … nur mal so. Von Petra Fritz
Ein väterlicher Freund von mir pflegte im Falle von Unverständnis oder Unverhältnismäßigkeit in einer Sache dann immer zu sagen: „Tschuldigung, aber ….“ … ich wollte nur mal schnell meine Briefwahlunterlagen zur Kommunal- und Europawahl ausfüllen. Was mir beim Öffnen des großen Umschlages entgegen quillt, ist wieder einmal ein Wust an Papieren. Von wegen digitales Zeitalter, die Unterlagen – obwohl mehrfarbig und aufwendig gedruckt – erinnern eher an die im Kabarett so gern zitierten antiquierten Faxgeräte in den (Gesundheits)Behörden. Ähnlich geht es mir beim Blick entlang der Straßen. An jedem noch so dürren Mast hängen mehrere spießbürgerlich anmutende Pappplakate mit irgendwelchen Gesichtern und diffusen Parteinamen; von griffigen Inhalten der Wahlslogans keine Spur. „Ich bin der X und mach’ das“ oder „Tatendrang statt Ideologie“. Egal ob Tatendrang oder die gern „vor den Karren gespannten“ Begriffe wie Freiheit, Humanismus, Vernunft, Menschlichkeit, Umverteilung, Veränderung oder endlich Gerechtigkeit“ – alles Phrasen und Worthülsen, die niemanden weiterhelfen oder informieren. Und in einer (funktionierenden) Demokratie und gut strukturierten Partei als Ehrenkodex selbstverständlich und europäisches Kulturgut sind – oder waren? Geht das unverbindliche Geschwafel mit der neuen Wokeness und Political Correctness einher, um es – zumindest vor den Wahlen – zur Erhaschung von Stimmen allen recht zu machen? Hinterher ist sowieso alles anders, aber Hauptsache alle „tanzen jetzt ihren Namen“.
Gerade Demokratie und Gerechtigkeit sind seit Jahrzehnten auf nationaler und internationaler Ebene vielfach geschundene und missbrauchte Schlagworte. Mir drängt sich mehr und mehr der Eindruck auf, dass Demokratie zunehmend das ist, was den aktuellen Machthabern (egal wo) dient bzw. per Definition gerade passt. Dazu gehört auch, den Volksfrieden mit ausreichend Geldmitteln ruhig zu halten, sprichwörtlich zu erkaufen.
Recht und Gerechtigkeit sind nicht einmal bei Gericht zu bekommen. Jeder Richter sagt dazu, dass man bei ihm allenfalls ein Urteil bekomme, da Rechtsprechung u.a. immer auf bestimmten erlassenen Gesetzen beruhe. Eine Basis, die sich gelegentlich schnell ändern kann und kein Qualitätsmerkmal per se ist. Zudem beklagen immer mehr Verfassungsrechtler den Einfluss der Politik auf die öffentlich-rechtlichen Medien und den Umstand, dass das Verfassungsgericht zunehmend zur Legitimation von politisch umstrittenen Entscheidungen herhalten soll – Stichwort Corona-Politik. Viele der Corona-Maßnahmen wurden rückwirkend aufgehoben oder als unverhältnismäßig erklärt. Nun möchte die Union die Förderung von Projekten künftig an ein gewisses Wohlverhalten dem Staat gegenüber knüpfen – insbesondere was israelfeindliche oder pro-palästinensische Äußerungen betrifft. Verfassungsrechtler sehen darin einen neuen Radikalen-Erlass und befürchten einen regelrechten Dammbruch – so zu lesen in der TAZ vom 06.05.24. Dann sind Partei- oder Auftrittsverbote, unter welchem Deckmäntelchen auch immer, nur noch ein Federstrich. Ausschluss aufgrund politischer Meinung? Sind Bekenntniszwang und Gesinnungsprüfung nicht auch eine Art der
Diskriminierung? Wann lernt man in Deutschland und der EU endlich zwischen Judentum als Religion und den Handlungen der israelischen Regierung zu unterscheiden und sich vom vorauseilenden Gehorsam samt selbst auferlegter Erbsünde zu befreien? Schweden schafft es doch auch.
Am Ende der „Deutschen Demokratischen Republik“ skandierte man „Wir sind das Volk“ und alle schrien „hurra“. Wenn das heute gewisse andere Parteien rufen würden, wäre derselbe Text plötzlich eine skandalöse populistische Anmaßung mit Terrorismuscharakter. Carla del Ponte, Ex-Chefanklägerin am internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag sagte einmal zu mir, dass sie die italienischen Worte „per la giustizia“ („für die Gerechtigkeit“) nie mit ihrer Unterschrift versehen würde, einzig die deutschsprachige Version. Hintergrund ist u.a. eine tiefe Desillusion hinsichtlich Aufklärung und Durchgriffswille bei Mafiamorde und Antikorruptionsprozesse, die sie seinerzeit ebenfalls geleitet hatte. Italienisch ist zwar Ihre Muttersprache, aber sie ist gebürtige Tessinerin, also Schweizerin.
Aber zurück zum EU-Wahlgeschehen. Immer mehr Leute in meinem Bekannten- und Freundeskreis gehen überhaupt nicht mehr wählen, weil sie Wahlen zunehmend als „Gewissensqual“ zwischen Pest und Cholera empfinden. Die jüngeren Kandidaten argumentieren oft reichlich naiv (Zauberwort „Umverteilung“) und einige der „alten Hasen“ waren schon oder sind in irgendwelche Machenschaften verstrickt (z.B. ermittelt die EU bzw. Europäische Staatsanwaltschaft EPPO seit April gegen von der Leyen wegen eines Impfstoffdeals); vor allem, wenn man nur lange genug danach sucht. Manch ein unbeirrter Wähler scheint aber auch völlig „schmerzfrei“ und legt sich einfach ein lückenhaftes Gedächtnis a la Scholz zu. Alles keine befriedigende Entscheidungsbasis.
Die Vielzahl an Parteien allein, ist mit Sicherheit kein Qualitätsmaß oder Gradmesser für Demokratie und erst recht kein Spiegel einer gesunden Streitkultur. Offensichtlich aber nährt das Parteiwesen – gerade i.S. EU-Parlament – u.a. die Hoffnung auf ein sehr gutes Einkommen plus weiterer Privilegien. Und das zu Recht, liegt der Durchschnittsverdienst eines Abgeordneten aktuell doch bei rund 10.100 Euro brutto. Extras wie Büro- und Wohnungsmieten, Fahrtkosten, Zusatzrenten, etc. nicht eingeschlossen.
Augen zu und durch?
Nein, da wollte ich mal genauer hinschauen. Nicht brav ein stereotypes Kreuzchen machen, weil die Europawahlen dieses Mal angeblich ja besonders wichtig seien. Grundsätzlich bewundere ich Leute, die keinen der Kandidaten näher kennen, aber immer genau wissen, wo sie ihr Kreuzchen zu machen haben.
Ich frage mich vielmehr: Was ist das eigentlich für eine Parteienlandschaft, die auf einem über ein Meter langen Zettel aus Recycling Papier aufgelistet ist? Suggeriert gar die Reihenfolge der Auflistung schon die Wichtigkeit? Richtigkeit? Gut die Hälfte davon sind „Eintagsfliegen“, die keiner kennt und die schnell wieder in der Versenkung verschwinden werden. Mir erscheinen sie als das Ergebnis von „Partei-Hopping“ bzw. Abspaltungen innerhalb zerstrittener Parteien wegen persönlicher Befindlichkeiten, mit Tendenz zu immer weniger Einig- und Konsensfähigkeit. Sie gleichen mithin mehr persönlichen Interessengemeinschaften; schon deshalb fehlt es mir da an Sinn und Ernsthaftigkeit.
Aus dem bekannten Behörden-Reim „Wenn ich mal nicht weiter weiß, dann gründ‘ ich einen Arbeitskreis“ wurde anscheinend „Ich wär‘ so gerne wichtig und dabei, da gründ‘ ich schnell mal ’ne Partei“. Und damit meine ich definitiv nicht die politerfahrene Dr. Sahra Wagenknecht. Bevor man über jemanden urteilt, sollte man die besagte Person erst einmal bei einer Kundgebung oder im Parlament erleben und ein persönliches Bild machen.
Mal ehrlich – bei aller gut gemeinter Vielfalt und Diversifikation, schwankt man bei gut der Hälfte der gelisteten Parteien schon beim Lesen zwischen Lachkrampf und Mitleid. Es kommt ja sicher nicht von ungefähr, dass bei einigen Parteien sich die Namen auf den Listenplätzen gleichen, andere nicht einmal alle Listenplätze füllen können und schon das Ansinnen weltfremd wie „piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb“ klingt.
Während es den meisten angetreten Parteien an einem klaren, kompletten Wahlkampfprogramm fehlt, lobe ich mir die Partei auf Platz 31, die ihre Aufgabe darin sieht „das Parlament aufmischen“ und auch damit titelt. Wen wollen sie beeindrucken? 14-Jährige, die den ganzen Tag auf ihrem Smartphone rumspielen mit wenig Sinn für Realität, aber umso mehr Mitläufertum? Steht diese Partei etwa auch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes? Wahrscheinlich ist sie einfach (noch) zu unbedeutend. An gleicher Stelle fällt auf, dass „Klimaschützer“ inzwischen offensichtlich ein anerkannter Beruf oder eine besondere politische Fähigkeit ist. Etwas anderes haben die betreffenden Kandidaten nämlich nicht vorzuweisen. Auch ohne Kontinuität oder ein gewisses Maß an Lebenserfahrung wollen sie anderen aber sagen, wo’s künftig lang geht. Mutig oder tollkühn? Grundsätzlich scheinen mir viele Lebenskünstler unter den Parteikandidaten, die noch ihren Platz in der Gesellschaft bei guter Bezahlung suchen. Über diverse zusätzliche Privilegien von EU-Parlamentariern kann man u.a. unter dem Stichwort „goldener Fallschirm“ nachlesen. Kein Wunder, dass ein Dasein als Berufspolitiker immer attraktiver wird. Hinzu kommt, dass Brüssel und Straßburg ja nicht gerade unangenehme Orte sind.
Interessant, dass bei der A-Partei gleich drei Kandidaten mit Doktortitel vertreten sind. Den gewinnt man nicht im Lotto. Einfältige Hinterwäldler oder dümmliche Fake-News Verbreiter sind dies also nicht. Dafür ist bei der Partei, die sich für Verjüngungsforschung einsetzt, kein promovierter Kandidat gesetzt bzw. nur ein einziger Wissenschaftlicher gelistet. In wieder anderen Parteien finden sich „Zugpferde“ mit historisch bedeutsamen Namen wie „von der Schulenburg“, „von Boeselager“ oder Klopstock“. Ausgerechnet in der Partei für Vielfalt und Aufbruch finden sich ausschließlich Namen türkisch-arabischer Herkunft. Das Auftauchen einer solchen Partei hatte ich eigentlich schon viel früher erwartet; alles Akademiker mit höchst angesehenen Berufen.
Fazit
Die Welt schüttelt täglich den Kopf über die USA, wo die Spitzenkandidaten weiterhin niemand anderes sind, als zwei alte Männer, die ihrer Jugend und ihrem Ego hinterher laufen. Die Liste der EU-Parteien und einiger Kandidaten scheint aber ebenso fragwürdig und eher ein verzweifelter Versuch das Rad neu zu erfinden. Mich erinnert das alles mehr an Szenarien wie: „Alle machen mit, keiner weiß Bescheid“ oder „Heute stehen wir noch am Abgrund, morgen sind wir einen Schritt weiter“. Man darf gespannt sein, wie erfolgreich die EU und ihre Vertreter – egal welcher Couleur – sich angesichts der knallharten Herausforderungen im Rahmen des Weltgeschehen künftig behaupten werden. Eine Erweiterung um inhomogene, problembeladene Länder dürfte keine Lösung sein und ein weiteres Aufblähen des EU-Verwaltungsapparates (aktuell 32.000 Mitarbeiter) erst recht nicht. Die EU ist auch nicht Europa – ein seltsamer Sprachgebrauch. Ich sehe keine rosigen Zeiten anbrechen und wenig Kandidaten mit Profil und Rückgrat. Wahlkampf ist keine Spielwiese. Mir wäre mehr nach Qualität, als Quantität! Geht man direkt im Wahllokal wählen, hat man freilich gar keine Zeit, sich den Wahlzettel mal näher anzuschauen, den einen oder anderen Kandidaten zu googlen. Aber vielleicht will das die Mehrheit der Wähler auch gar nicht. Also doch „Augen zu und durch“, das beste Hoffen und unabhängig vom Wahlergebnis Selbstoptimierung betreiben?
In anderen EU-Staaten zeigt sich hinsichtlich der Parteienlandschaft übrigens ein ähnliches Bild. Die dortigen Parteiparolen scheinen allerdings prägnanter und kantiger. Gerade in Österreich und Italien, wo auch heute noch der jährlich erscheinende „Duce-Kalender“ mit eindeutigen Motiven an so mancher Wand hängt.
Diese kleine Gedankeneinordnung zum Thema „Wahlen“ erhebt selbstverständlich weder Anspruch auf Vollständigkeit, noch ultimative Richtigkeit. Sie beabsichtigt erst recht keine Wahlbeeinflussung oder entspricht einem Gesinnungstest. Die Bürgerpflicht ist m.E nicht dadurch erfüllt, mal eben schnell einen Haken zu setzen, sondern dabei auch stets kritisch und aufmerksam zu bleiben. Sonst wird man – selbst im Namen der Demokratie – schnell zum instrumentalisierten „Stimmvieh“.
Ich mache – oder sollte ich sagen trage – jetzt, Stunden später als gedacht, mein EU-Kreuz und hoffe, alles richtig zu sortieren, damit meine Stimme auch zählt und nicht schon an einem Formfehler scheitert. Noch während ich die Unterlagen zuklebe, frage ich mich, woher die Wahlkommissionen und Analysten hinterher eigentlich immer so genau wissen, welche Altersklassen oder Wählerstrukturen, welche Parteien gewählt haben? Tendenzielle Umfragen finden doch eigentlich nur im Vorfeld von Wahlen statt.
Bild: PFritz, Marius Oprea, Christian Lue unsplash
Petra Fritz
Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.
Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.
Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.
Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.