Neue IfSG-Grundlage für Corona-Maßnahmen „Verfassungswidrig und voller handwerklicher Fehler“

Infektionsschutzgesetz als Selbstermächtigung? Heute beschliessen Bundestag und Bundesrat in aller Eile eine Neufassung des Gesetzes.

Auf der juristischen Plattform „ Legal Tribune Online“ fand ich am 12.11.20 folgenden Artikel von Hasso Sulik, der mehr als nachdenklich stimmt. Dort heißt es: Die GroKo will ihre Corona-Maßnahmen mit einer neuen Ermächtigungsgrundlage im IfSG rechtlich absichern. Im Eiltempo peitscht sie eine entsprechende Gesetzesänderung durch das Parlament. Verfassungsrechtler halten das für keine gute Idee. Was soll das heißen, welche Konsequenzen kann das haben, was soll man als „Normalbürger davon halten?“ (Anmerkung: Der Original-Artikel erschien wenige Minuten vor Beginn der Anhörung im Deutschen Bundestag. Die nachfolgenden Zitate sind allesamt den schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen entnommen).

Zwei Wochen nach Inkrafttreten der aktuellen Corona-Lockdown-Maßnahmen bemüht sich die Koalition jetzt auch um deren Rechtssicherheit. Diverse Schließungsanordnungen werden gegenwärtig gerichtlich angegriffen. Und auch wenn sie zumeist (noch) halten, äußern die Gerichte doch erhebliche Bedenken an ihrer Rechtmäßigkeit. Rechtssicherheit soll nun unter anderem mit einer Ãœberarbeitung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschaffen werden. Im erst vor wenigen Tagen eingebrachten „Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ findet sich deshalb ein neuer § 28a IfSG („Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2.“ Die Beschlussvorlage im Wortlaut hier.) Dieser präzisiert die in Betracht kommenden Grundrechtseinschränkungen. Corona-Maßnahmen sollen auf diese Weise nicht mehr auf Grundlage einer unbestimmten Generalklausel getroffen werden. Mit dieser Ergänzung reagiert der Gesetzgeber auf die Kritik von Richtern und Verfassungsrechtlern. Diese hatten immer wieder angezweifelt, dass das IfSG in seiner aktuellen Form die weitreichenden Eingriffe in Grundrechte bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie rechtfertigt. Auch Rufe nach einer stärkeren Beteiligung des Bundestags und der Länderparlamente an den Beschlüssen zur Bekämpfung der Pandemie hatten zuletzt zugenommen.

Dass die zum 1. November von der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern beschlossenen Maßnahmen alles andere als rechtssicher sind, zeigte erst am Dienstag eine Entscheidung des VG Hamburg. Dieses hatte die Schließung von Fitnessstudios mit der Begründung beanstandet, die die GroKo mit ihrer nun beabsichtigten Änderung künftig verhindern will: Zwar ermächtige, so das Gericht, § 32 S. 1 IfSG die Landesregierungen, die nach §§ 28 bis 31 IfSG möglichen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten durch Rechtsverordnung zu erlassen. Allerdings fehle in den §§ 28 bis 31 IfSG eine hinreichend konkrete Regelung.

Die bisherige Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG, auf den die Landesregierungen immer wieder ihre Maßnahmen gestützt hatten, komme jedenfalls als Ermächtigungsgrundlage nicht in Betracht. Aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs sei der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts nicht gewahrt, wonach u. a. Entscheidungen von besonderem Gewicht die Zustimmung des Parlaments brauchen.

Neuer § 28a IfSG mit umfassendem Verbotskatalog

Um derartige Gerichtsbeschlüsse für die Zukunft zu vermeiden, präzisiert der neue § 28a IfSG nunmehr in 15 Ziffern, welche konkreten Grundrechtseingriffe „im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG durch den Deutschen Bundestag“ zulässig sein sollen – soweit, wie es auch im Gesetzestext heißt, dabei die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.

Untersagt werden darf laut der neuen Vorschrift eine ganze Menge: Sport- und Kulturveranstaltungen, Übernachtungen, Alkoholkonsum, Gastronomiebetrieb oder Gottesdienste. Ausgangsbeschränkungen dürfen für den öffentlichen wie den privaten Raum angeordnet werden, darüber hinaus Abstandsgebote und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Im Prinzip wird damit alles explizit genannt, was es seit Beginn der Pandemie an Maßnahmen so gibt und aufgrund der Generalklausel verboten wurde. Für den Fall, dass etwas vergessen wurde, bliebe die alte Generalklausel im neuen Gesetz erhalten: § 28 IfSG gilt weiterhin fort und kann dann im Zweifel auch für weitere, nicht ausdrücklich aufgezählte Corona-Maßnahmen herhalten.

Ob mit dieser Gesetzänderung nun die erhoffte Rechtssicherheit eintritt, bezweifeln Staats- und Verfassungsrechtler ganz gewaltig: Im Hinblick auf eine Anhörung im Bundestag, die am Donnerstag trotz der vielen, fundamentalen rechtlichen Fragestellungen nicht im Rechtsausschuss, sondern ausschließlich im Ausschuss für Gesundheit abgehalten werden sollte, äußerten die juristischen Sachverständigen in ihren vorab eingereichten Stellungnahmen massive Kritik an den Plänen.

Bald nicht mehr in den eigenen Garten?

Schon die kurze Frist zur Abgabe ihrer Stellungnahme empfinden eine ganze Reihe von Experten als Zumutung. Sie bemängeln außerdem jede Menge juristisch-handwerkliche Fehler im Gesetz, was den Eindruck erweckt, als hätten SPD und Union beim Verfassen des Entwurfs im Schweinsgalopp wenig sorgfältig gearbeitet.

So lobt etwa die Jenaer Verfassungsrechtlerin Prof. Dr. Anika Klafki in ihrer schriftlichen Stellungnahme einzig und allein „das Motiv des Gesetzgebers, eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen“ zu treffen. Ansonsten fällt ihr Urteil zum § 28a IfSG komplett vernichtend aus:

Die Zusammenstellung der aufgelisteten Maßnahmen sei in dieser Form nicht geeignet, die Anforderungen an den Bestimmtheitsgrundsatz in Bezug auf eingriffsintensive Bekämpfungsmaßnahmen zu wahren. Klafki stößt sich daran, dass die Maßnahmen rechtstechnisch als bloße Regelbeispiele („insbesondere“) ausgestaltet seien. „Gerade bei eingriffsintensiven Maßnahmen ist eine derartige Normierungsweise schon von vornherein ungeeignet, den aus der Wesentlichkeitstheorie und für Rechtsverordnungen unmittelbar aus Art. 80 Abs.1 S. 2 Grundgesetz folgenden Bestimmtheitsgrundsatz zu wahren.“

Auch besonders präzise und verständlich findet die Juniorprofessorin die Neuregelung nicht: Stark freiheitsbeeinträchtigende Maßnahmen wie die „Ausgangsbeschränkung“ oder die „Reisebeschränkung“ würden nicht näher ausgestaltet und auch nicht durch spezielle Tatbestandsvoraussetzungen oder einschränkende Maßgaben auf Rechtsfolgenebene begrenzt. Klafki kritisiert, dass künftig sogar im privaten Raum Ausgangsbeschränkungen gestattet seien. „Bei unbefangener Lesart könnte man meinen, der Gesetzgeber wolle die zuständigen Behörden ermächtigen, den Gang in den eigenen Garten zu verbieten.“

„Lückenhaft, missverständlich oder orthografisch fehlerhaft“

Auch sprachlich strotze der neue § 28a IfSG nur so von Fehlern: Einige Regeln seien lückenhaft, missverständlich oder orthografisch fehlerhaft formuliert, sagt sie. So heiße es z.B. in Ziffer 11 der neuen Vorschrift: „Untersagung sowie dies zwingend erforderlich ist“. Gemeint sei wohl „Untersagung soweit dies zwingend erforderlich ist“. Auf zehn Seiten ihrer Stellungnahme reiht Klafki derartige Fehler auf. Am Ende hat sie für den Gesetzgeber nur eine Empfehlung parat: „Von einem Beschluss der Regelung in seiner derzeitigen Fassung wird abgeraten.“

Ähnlich desaströs bewertet auch die Bochumer Staats- und Gesundheitsrechtlerin Dr. Andrea Kießling in ihrer Stellungnahme das Vorhaben: Wie Klafki kommt auch sie zum Ergebnis, dass der geplante § 28a IfSG den Vorgaben Parlamentsvorbehalt und Bestimmtheit nicht genügt. Die Vorschrift lasse keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen, sondern wolle offenbar einseitig das bisherige Vorgehen während der Corona-Epidemie legitimieren, kritisiert sie. Und prophezeit: „In dieser Form werden die Gerichte die Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage für die Corona-Schutzmaßnahmen akzeptieren.“

Bitte auch befristen

Abgesehen von genaueren Voraussetzungen der einzelnen Maßnahmen fehlten im Entwurf Einschränkungen in zeitlicher Hinsicht, die Angabe eines konkreten Ziels und eine Begründungspflicht auch für Rechtsverordnungen. „Schwere Grundrechtseingriffe wie die Corona-Schutzmaßnahmen sollten befristet werden, damit die Behörden vor einer Verlängerung prüfen müssen, ob tatsächlich weiterhin alle bisher ergriffenen Schutzmaßnahmen erforderlich sind.“ Es empfehle sich, hier eine Frist von höchstens vier Wochen anzusetzen.

Dies sieht auch der Berliner Verfassungsrechtler Prof. Dr. Christoph Möllers so. Ebenso wie der Augsburger Staatsrechtler Prof. Dr. Ferdinand Wollenschläger mahnte auch Möllers in seiner schriftlichen Stellungnahme eine Befristung der Maßnahmen an: „Für flächendeckende, die Allgemeinheit adressierende Maßnahmen, die das öffentliche Leben beeinträchtigen können, würden sich Befristungen empfehlen: Diese hätten den Effekt, dass sie beim Gesetz- und Verordnungsgeber neuen Handlungs- und politischen Rechtfertigungsbedarf auslösten, damit die Legitimation der getroffenen Maßnahmen auffrischten und so auch „eine freiheitsbeeinträchtigende Gewöhnung bei politischen Akteuren und der Bevölkerung verhindern“.

Im Ãœbrigen bezweifelt auch Möllers, dass die Gesetzänderung einer verfassungsrechtlichen Ãœberprüfung standhält. Auch wenn der mit der Novellierung erreichte Rechtszustand als eine Verbesserung zu verstehen sei, bestünden weiterhin gravierende Zweifel, ob dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Der Verfassungsrechtler rechnet fest damit, dass die Neuregelung Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Prüfung werden wird. „Als Regelung, die tatsächlich unmittelbar in Rechte eingreift, dürfte sie auch unmittelbar durch Verfassungsbeschwerde angreifbar sein.“

Zustimmungsvorbehalt für den Bundestag gefordert

Möllers sprach sich weiter auch für mehr parlamentarische Beteiligung aus, etwa durch Festschreibung eines Zustimmungsvorbehaltes für den Deutschen Bundestag in Rechtsverordnungsermächtigungen. Dieser sollte für den Fall vorgesehen werden, dass die Bundesregierung oder ein Bundesministerium zum Erlass einer unmittelbar in Grundrechte eingreifenden Rechtsverordnung ermächtigt würde, um dem besonderen demokratischen Legitimationsbedarf solcher Maßnahmen zu entsprechen. Außerdem solle der Gesetzgeber das Bundesgesundheitsministerium damit beauftragen, die wissenschaftliche Bewertung der getroffenen Entscheidungen einem dazu zu berufenden, unabhängigen und interdisziplinär besetzten wissenschaftlichen Gremium anzuvertrauen.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) mahnte unterdessen an, das IfSG um eine spezielle Regelung zugunsten von Rechtsanwälten zu ergänzen: „Bei allen Regelungen auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes muss gewährleistet sein, dass die Tätigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nicht eingeschränkt werden darf. Insbesondere ist zu gewährleisten, dass alle Bürgerinnen und Bürger das Recht haben, sich jederzeit an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zu wenden“, heißt es in einer Stellungnahme des DAV.

Ob sich die Koalition die zahlreichen Bedenken und Anregungen der Juristen zu Herzen und sich Zeit für Korrekturen nimmt, erscheint indes eher unwahrscheinlich. Denn voraussichtlich schon nächste Sitzungswoche soll das Gesetz im Bundestag verabschiedet werden.

Auf die kommenden Gerichtsentscheidungen darf man dann gespannt sein.

Mein Fazit:

Die beabsichtigte Neuregelung des § 28a IfSG stellt nichts anderes dar, als den Versuch, das bisherige Handeln der Bundes-und Landesregierungen nachträglich zu legitimieren. Sollte diese Version nächste Woche – sei es aus Panik, Hilflosigkeit oder Ignoranz – im Schnellschußverfahren beschlossen werden, bedeutet dies für mich/ uns als Bürger, daß die politischen Entscheider künftig weitere beliebige Maßnahmen unter Hinweis darauf einleiten können und werden. Will man das? Die Geister die man rief, wird man in der Regel nämlich nicht mehr (so schnell) los.

M.E. heißt das, dass nach §28a sehr bald Ergänzung b, c und weitere folgen werden und mithin die Grundrechte in erheblicher Art und Weise eingeschränkt werden können.

Welche Funktion, Rechts- und Durchsetzungskraft hat dann noch die Gerichtsbarkeit?

Bleibt zu hoffen, daß der Bundestag diesem Gesetzesentwurf nicht (so ohne weiteres) zustimmt, obwohl CDU/ CSU und SPD die Mehrheit haben; also einzelne Abgeordnete der geplanten Gesetzesvorlage aufgrund ihres Verstandes und Gewissens für europäische Werte diesem Entwurf NICHT zustimmen werden.

Sollte es dennoch soweit kommen, ist diese Koalition für mich nicht mehr wählbar. In diesem Stil findet nämlich genau das statt, wofür andere Länder/ Regierungen kritisiert werden.

Die Autorin Petra Fritz

Petra Fritz ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Seit 2002 ist Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für die Amtsgerichte Speyer, Ludwigshafen und Germersheim (teils ehrenamtliche Fallberatung).

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Profi-WM 1978 und 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten vielseitig interessiert und seit 2012 auch wieder semi-professional als Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“ tätig.