Museum Barberini: Impressionismus in Russland. Aufbruch zur Avantgarde
Das private Museum Barberini in Potsdam öffnet wieder seine Tore zu einer spektakulären Ausstellung und zeigt ab 28. August 2021 Schätze des russischen Impressionismus.
Paris war vor 1900 der Anziehungspunkt für russische Künstler. Hier begegneten sie den Werken von Claude Monet und Auguste Renoir und ließen sich von den Themen und der Malweise der französischen Impressionisten anregen. Zurück in Russland malten sie en plein air und spürten der Flüchtigkeit des Moments in Portraits der Szenen des russischen Alltags nach. Auch Maler, die später die russische Avantgarde bildeten, entwickelten aus dem impressionistischen Studium des Lichts ihre neue Kunst. Die Ausstellung im Museum Barberini widmet sich der bislang kaum erforschten Rezeption französischer Lichtmalerei in Russland. Sie zeigt anhand von rund 80 Werken die Internationalität der Bildsprache um 1900 und integriert die russischen Künstler der damaligen Zeit – von Ilja Repin bis Kasimir Malewitsch – in das Projekt der künstlerischen Moderne.
„Ein kurzer Blick auf ein impressionistisches Bild hat Kunstgeschichte geschrieben“, erklärt Ortrud Westheider, Direktorin des Museums Barberini. „Als Wassily Kandinsky 1896 in einer Ausstellung in Moskau vor ein Gemälde aus der Serie der Getreideschober von Claude Monet trat, sah er zu seiner Irritation ein Bild leuchtender Farben – ohne einen Gegenstand erkennen zu können. Diese Störerfahrung bestätigte ihn darin, in seiner Malerei auf das Motiv zu verzichten. Sie inspirierte seine künstlerische Entwicklung zur ungegenständlichen Malerei. Diese Anekdote ist ein kleiner Mosaikstein in einer vielschichtigen Wirkungsbeziehung zwischen dem französischen Impressionismus und der russischen Kunst zwischen 1860 und 1925. Impressionistische Anregungen haben nicht nur Kandinskys Œuvre revolutioniert. Sie waren vielmehr Ausgangspunkt zahlreicher Avantgardekünstler, die impressionistische Lichtmalerei in Rayonismus, Kubofuturismus und Suprematismus transformieren sollten.“
Seit den 1860er Jahren zog Paris als führende europäische Kunstmetropole Maler der Akademien von Moskau und St. Petersburg an. In der Auseinandersetzung mit der impressionistischen Malerei des modernen Lebens befreiten sie sich vom Regelwerk des akademischen Realismus in Russland. Die Begegnung mit der französischen Malerei inspirierte Künstler wie Ilja Repin, Konstantin Korowin und Valentin Serow zu Darstellungen, die neben dem Eindruck des Gegenwärtigen Momente einer sinnlichen, dem Leben zugewandten modernen Welt zeigten. Elektrisches Licht, die Auslagen der Schaufenster und die Architektur der modernen Boulevards boten ihnen Motive, denen sie mit großer malerischer Freiheit begegneten. Die malerischen Effekte im Wechsel der Tageszeiten fesselten sie. Die nächtlich beleuchteten Straßenzüge faszinierten insbesondere Korowin und Nicolas Tarkhoff, die das Thema in Russland populär machten.
Das vom Impressionismus inspirierte Malen unter freiem Himmel veränderte die russische Kunst und machte das Thema Landschaft populär. Repin, Wassili Polenow und ihre Schüler Korowin und Serow erkundeten die Natur um Moskau und reisten in die Weiten des Nordens. Das Malen en plein air und ein skizzenhafter Stil führten die Künstler an Motive einer Lebensfreude heran, die sich von den existentiellen Themen der russischen Kunst lossagte. Das sich wandelnde Sonnenlicht ließ alles leicht und zukunftsoptimistisch erscheinen. In Portraits und Familienbildern verknüpften die russischen Künstler dabei Unmittelbarkeit mit psychologischer Deutung zu einer eigenen Spielart des Impressionismus. Fragen der nationalen Identität spielten dabei ebenso eine Rolle wie das Verhältnis zur realistischen Tradition innerhalb der Malerei. Für diese Auseinandersetzung gab die auf den spontanen Ausdruck gerichtete Malerei des Impressionismus mit ihrem über Nationengrenzen wirkenden Anspruch auf Modernität neue Impulse.
Um die Jahrhundertwende wurden die Sommerhäuser auf dem Land zum Refugium der russischen Stadtbewohner. Die Künstler fingen das Unbeschwerte des modernen Freizeitvergnügens auf der Datscha in lichtdurchfluteten impressionistischen Interieurs ein. Das Studium des Lichts in Innenräumen und auf den Gegenständen von Stillleben führte zur Aufwertung dieser an der Moskauer Akademie gering geachteten Gattungen. Eine zweite Generation russischer Künstler in Paris lernte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Postimpressionismus und Fauvismus eine Malerei kennen, die mit leuchtenden Reinfarben experimentierte. Wie die französischen Postimpressionisten strebten viele russische Maler dieser Generation eine internationale Laufbahn an und sahen im Aufenthalt im Westen nicht nur den Studienzweck. Die Landschaftsmalerei wurde zum ersten Experimentierfeld für Künstler wie Michael Larionow, Natalja Gontscharowa und Kasimir Malewitsch. Sie sahen sich als Impressionisten, bevor sie nach 1910 mit dem expressiven Rayonismus und dem ungegenständlichen Suprematismus die russische Avantgardekunst begründeten. In der befreiten Farbe fanden die Maler eine Energie, die für die Dynamik und Erneuerung einer neuen Zeit stand. Impressionistische Beobachtung wurde in kubistische und futuristische Flächenzergliederung transformiert und in Malewitschs Serie Weiß auf Weiß als lichthaltiges Nichts verabsolutiert.
Die Ausstellung umfasst rund 80 Leihgaben u.a. der ABA Gallery, New York, des Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, der Sammlung Iveta und Tamaz Manasherov, Moskau, der Sammlung Vladimir Tsarenkov, London, der Staatlichen Tretjakow-Galerie Moskau, des Staatlichen Museums der Bildenden Künste der Republik Tatarstan, Kasan Sammlung Elsina Khayrova, London, des Stedelijk Museum, Amsterdam, sowie aus Privatsammlungen.
Eine Ausstellung des Museums Barberini, Potsdam, und des Museums Frieder Burda, Baden-Baden, in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Trejakow-Galerie, Moskau.
Museum Barberini
- Alter Markt Humboldtstraße 5–6 in 14467 Potsdam
- Öffnungszeiten: 10–19 Uhr täglich außer dienstags, 10–21 Uhr erster Donnerstag im Monat
- Eintrittspreis: 16,00 Euro regulär Mo, Mi–Fr, 18,00 Euro regulär Sa–So