Integration in der Praxis – Familien sind oft jahrelang getrennt. Ein Erfahrungs-Bericht von Renate Zott

Renate Zott ist nicht nur Topagemodel und Kolumnistin. Sie arbeitet täglich in einem Handwerks-Betrieb in Frankfurt am Main. Über ihre Erfahrungen mit der Integration von Asylsuchenden berichtet sie in einer dreiteiligen Serie in DNEWS24.

Ja. Man kann es ihm vorwerfen, unserem Mitarbeiter, Herrn A., dass er 2015 alleine geflüchtet ist. Frau und 2 Kinder alleine zurückließ. Gleichzeitig muss man ihm glauben, dass es keine leichtfertige Entscheidung war. Alleine ihn kostete die Flucht nach Deutschland rd. 8.000 Dollar. Für die Familie hätte er insgesamt etwa 50.000 Dollar aufbringen müssen, was nicht möglich war. So viel mehr, weil eine Flucht mit Kindern von den Schleppern anders organisiert wurde; Wege und Routen andere waren; nicht vorsehen konnten, 24 Stunden ohne Verpflegung durch unwegsames Gelände zu laufen, so wie Herr A. es machen musste. Egal wie – ohne Zahlung an die Schlepperorganisation war ein Durchkommen völlig unmöglich.

Wir sind ja schnell geneigt, zu sagen: „Das würde ich niemals tun“ – aber was tut man wirklich, wenn Leib und Leben bedroht ist – und das über Jahre? Ich glaube, wer diesen Druck und die Ängste nie aushalten musste, sollte nicht urteilen.

Für uns war Herr A. ein Mensch, der für uns arbeiten wollte. Die Entscheidung, ihn in unserem kleinen Unternehmen zu beschäftigen also durchaus eine pragmatische. Dass wir gleichzeitig eine Menge Verantwortung übernehmen würden war uns klar, welche Konsequenzen sich daraus entwickeln würden, war vor 4 Jahren natürlich nicht absehbar.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ ist ein gern zitierter biblischer Satz, der an dieser Stelle das vermeintlich Wesentliche beschreibt, nämlich die Tatsache, dass die materielle Versorgung alleine eben nicht ausreicht. Und obwohl Herr A. mit seinen privaten Sorgen, Nöten und Ängsten sehr zurückhaltend war, wuchs mit der beruflichen Zusammenarbeit auch eine soziale Verbundenheit.

Wir waren plötzlich näher dran, an dem was in seinem Herkunftsland tobte. Über die neuesten
Attentate wussten wir bereits mittags, bevor am Abend in den Nachrichten darüber berichtet wurde. Oft in Regionen, wo nächste Verwandte hätten betroffen sein können. Das macht etwas mit dir, auch als Arbeitgeber.

Und es macht noch viel mehr, wenn du miterlebst, dass Frau und Kinder aus dem Land flüchten müssen. Mit dem Nötigsten per Bus in unsicheres Gebiet, um eine neue, vorübergehend Bleibe zu finden, weil die Verfolger sie aufgespürt hatten. Monate später vertrieb man sie erneut, dieses Mal von Staats wegen, nahm ihnen das Wenige und dazu die Pässe. Herr A. und wir konnten nur Geld schicken, um das Schlimmste abzuwenden; neue Ausweise zu besorgen. Mittlerweile ist wieder eine neue Unterkunft gefunden; für wie lange weiß keiner. Vor allem deshalb nicht, weil Herkunftsländer wie diese eben eines am wenigsten sind: nämlich sicher. Unsicher ist schon, die Wohnung zu verlassen. Eine Frau mit zwei Kindern, die Geld an einer Auszahlungsstelle abholt, ruft Kriminelle auf den Plan. 2 Mal ist sie bereits auf dem kurzen Weg überfallen worden, man hat ihr das Geld genommen und die Kinder bedroht. Mittlerweile können sie nicht mehr zur Schule gehen, weil das Risiko einer Entführung zu groß geworden ist. Wie lange sie es noch schaffen, das alles alleine zu ertragen? Wir wissen es nicht und die Verzweiflung steigt auf allen Seiten. Jeden Tag. Und jeder Tag, an dem wir weiter vergeblich auf den Termin bei der Botschaft auf die Visaerteilung zur Familienzusammenführung warten, ist einer zu viel.

Ist Familien-Trennung politisch gewollt?!

Genau genommen sind es schon viel zu viele. Bei Antragstellung im März 2018 prognostizierte die Botschaft schriftlich eine Wartezeit von 11 Monaten. Es sind bis jetzt 20 daraus geworden und trotz mehrfacher Schreiben an die Botschaft, Einwirken unserer Anwältin, auch unserem Einwirken kommt keine Antwort.

Unserem Herrn A. ist jedes Lachen, das wir uns sehr mühsam mit ihm erarbeitet haben wieder vergangen. 63 akribisch vorbereitete Seiten mit gutem Leumund dort und hier, mit Bestätigungen aller Ämter und Behörden über die Unbescholtenheit des Herrn A., die so dringend darauf warten,

endlich bei der Botschaft vorgelegt zu werden. Endlich ein OK bekommen, dass Frau und Kinder nachkommen dürfen, um das zu tun, was zutiefst menschlich ist: als Familie zusammen in Frieden leben zu dürfen. Verfolgung, Angst und Schrecken endlich hinter sich lassen.

Es ist gerade nicht im politischen Gespräch und trotzdem ein wichtiger Teil der Integration, Familien zuzulassen und politische Zusagen einzuhalten. Vielleicht ist das Spiel mit der Zeit Strategie und die Absicht ganz simpel: kehrt zurück oder trennt euch. Verzweiflung vs. politischer Taktik? Hauptsache, es redet keiner darüber. Ich würde gerne darüber reden und zwar mit jenen, die diese Vorgehensweise zu verantworten haben.

Die Autorin Renate Zott

Renate Zott wohnt in Frankfurt am Main und ist aktive Kämpferin für ein positives Altersbild. Renate Zott, erst Versicherungs-Maklerin und jetzt Managerin einer Haustechnik-Firma, ist verheiratet und Mutter eines erwachsenen Sohnes.

Renate Zott ist Botschafterin des Bundesverband Initiative 50Plus und Kreis-Geschäftsführerin des BVI50Plus in Frankfurt am Main.

Sie betreibt den Blog www.topagemodel.de. Renate Zott ist auch bei Facebook und Instagram.