Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Trotz und Verbote

Ist das noch Demokratie, wenn Wähler nicht mehr wählen dürfen, was sie wählen wollen? Wäre eine politische Auseinandersetzung nicht besser als eine juristische?

De·mo·kra·tie

Regierungssystem, in dem die vom Volk gewählten Vertreter die Herrschaft ausüben

Saskia Esken ist – mit freundlicher Unterstützung der Jusos und Linken in der Partei – die eigentliche Chefin der SPD. Sie hat ihren Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil in der öffentlichen Wahrnehmung längst an die Wand gedrückt. Das ist umso erstaunlicher, als Esken bis 2019 nicht nur im Bund gar keine politische Rolle spielte, während Klingbeil als Generalsekretär eine vorzeigbare Arbeit geleistet hatte. Als Saskia Esken im November 2019 Co-Vorsitzende der SPD wurde, lag die einstmals stolze Arbeiter- und Volkspartei in Umfragen gerade mal bei 15 Prozent. Aktuell liegt die SPD – nach einem kurzen Stimmungshoch im Herbst 2021 – wieder bei 15 Prozent. Allerdings erhält der Mann der Kanzlerpartei im Kanzleramt die schlechtesten Zustimmungswerte, die je ein Regierungschef in Deutschland bekam. Und in den ostdeutschen Bundesländern, in denen im Herbst gewählt werden wird, droht der SPD der historische Absturz. In Sachsen müssen die Sozialdemokraten sogar um den Einzug in das Landesparlament fürchten.

Im Vertrauensranking von Forsa rangieren Ampelregierung, Bundeskanzler und politische Parteien am unteren Rand der Skala.

Statt sich kritisch zu hinterfragen und eine politische Kurs-Korrektur einzuleiten, fällt Esken nichts anderes ein, als mit den Mitteln des Rechts die neue ostdeutsche Volkspartei zu bekämpfen.

Im Namen der SPD will sie – und Wolfgang Thierse, immerhin gebeutelter Ostdeutscher von Geburt und langjähriger Bundestagspräsident springt ihr flugs bei – die AfD verbieten. Ihr Parteikollege Maier, immerhin Innen- und Verfassungsminister im Freistaat Thüringen – und ebenfalls SPD – hat die Idee, die Landesverfassung ändern zu wollen, wenn die Wähler mehrheitlich für die AfD stimmen und so Björn Höcke Ministerpräsident in Erfurt würde (was ein gnädiges Schicksal noch verhüten möge).

Ist das Demokratie? Will Esken, will die SPD tatsächlich vielen Wählern in Deutschland verbieten zu wählen, was sie wählen wollen? Warum kommt der Esken-Plan erst, als die SPD an der Wahl-Urne kaum noch zu retten scheint? Fragen, die – hoffentlich – wenigstens Saskia Esken selbst beantworten kann. Es bleibt unklar, wie auf diese Weise das Vertrauen der Bürger in die Politik und die Demokratie gestärkt werden soll.

Wohlverstanden: die AfD vertritt zum Teil Positionen, die inakzeptabel, mindestens aber unappetitlich sind. Im Kreis des Spitzenpersonals und der Bundestagsfraktion agieren Gestalten, bei denen man sich fragt, aus welcher Höhle die gekrochen sind. Dennoch wollen etwa 20 – 30 Prozent der Bürger in Deutschland mit der Politik der bisherigen Parteien nichts mehr zu tun haben. Diese Wahlbürger können nicht alle Rechtsaußen oder Radikale sein. Unter ihnen gibt es viele, die den Aussagen und Versprechen der Etablierten schlicht nicht mehr vertrauen.

Da nützen Bockigkeit, Trotz und Verbote gar nichts. Argumente, überzeugend vorgetragen – das wär’s. Leider scheinen dazu weder Saskia Esken noch Olaf Scholz fähig zu sein.

P.S. Olaf Scholz hat in dieser Woche weiteres Vertrauen verspielt. Er ist einfach ein schlechter Schauspieler. Statt Empathie mit den vom wirtschaftlichen Untergang bedrohten Flutopfern zu zeigen, stapfte er verkrampft mit verkniffenem Gesicht durch die Gegend. Ihm war anscheinend wichtiger, nicht zu lachen als konkret zu helfen. Manche Medien und vor allem Cem Özdemir und Frank-Walter Steinmeier suggerieren, dass der Bauern-Protest in Schüttsiel mit dem Sturm auf das Capitol in Washington D.C. am 6. Januar 2021 vergleichbar wäre. Das ist hanebüchener Unsinn, denn in Washington probte ein bewaffneter Mob einen Aufstand, es gab mehrere Tote. An der Nordseeküste demonstrierten wütende Bauen gegen die Vernichtung ihrer Existenz. Sie als Rechtsradikale zu diffamieren heizt die aufgebrachte Stimmung nur weiter an, statt sie zu kalmieren.


Bild: © Anne Hufnagl, Belinda Fewings unsplash

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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