Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Therefore I take shame in the words, ich bin ein Berliner

Berlin ist nur ein Synonym für das, was in unserer Gesellschaft und Politik schiefläuft.

Es war ein schöner Sommertag. Ganz Berlin schien auf den Straßen der Hauptstadt des Kalten Krieges versammelt zu sein, als der US-Präsident John F. Kennedy am 26. Juni 1963 auf dem Balkon des Rathauses Schöneberg seine ikonischen Worte sprach:

All free men, wherever they may live, are citizens of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words „Ich bin ein Berliner.“

Diese Worte gaben den eingemauerten Frontstädtern Mut und ließen sie vergessen, dass Kennedy – genauso wie Bundeskanzler Konrad Adenauer – nichts getan hatte, um die Abriegelung der Zwei-Millionen-Stadt durch Walter Ulbrichts und Otto Grotewohls DDR am 13. August 1961 zu verhindern.

Heute könnte Berlin – und damit Deutschland – wieder ein Fanal des Freiheitswillens der westlichen Welt sein. Wenn Deutschland seine Werte hochhalten und verteidigen würde. Das aber tut weder die deutsche Gesellschaft noch die Berliner Politik. Die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz im Deutschen Bundestag, Aktivitäten der Hamas in Deutschland zu unterbinden und Hamas-freundliche Vereine zu verbieten, sind bis heute folgenlos geblieben. Bundesinnenministerin Nancy Faeser tut einfach nichts. Die Ankündigung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die 4.500 Deutschen, die in Israel ausharren und in ihre Heimat zurückkehren wollen, zu retten, blieb tagelang ohne Folgen. Erst am 12. Oktober starteten die ersten Flugzeuge des Lufthansa-Konzerns und erst am 14. Oktober 2023 die erste Bundeswehr-Maschine.

Berlin steht nur als Platzhalter für ein größeres gesellschaftliches Versagen. In einem Land, das die industrielle Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden erfunden und binnen 30 Monaten durchgeführt hat, sollte es natürlich sein, dass (selbsternannte?) Intellektuelle alles, wirklich alles tun, um auch nicht den geringsten übelriechenden Hauch von Neo-Antisemitismus aufkommen zu lassen. Stattdessen gefallen sich Medien-Präsente wie Lanz und Precht im Wiederkäuen von antijüdischen Stereotypen, wie sie vor Jahrzehnten in diesem Land – vor allem im Nürnberg Julius Streichers – hoffähig waren.

Die freie Ukraine ist vor 600 Tagen vom Russland Putins überfallen worden. Israel ist am 7. Oktober 2023 überfallen worden. Die freie Welt ist angegriffen worden. Tut unsere Bundesregierung genug, um unsere Werte zu verteidigen? Tut mir leid, ich bin nicht davon überzeugt.

And therefore I take shame in the words, ich bin ein Berliner.

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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