Die Messerattacke von Köln-Dünnwald: Es war ein Deutscher – arm, allein, verzweifelt…

Der Mord in Köln-Dünnwald und seine gesellschaftlichen Ursachen. Eine Reportage von Sascha Rauschenberger.

Am 13. Dezember 2019 kam es bei einem Gerichtsvollziehertermin vor Ort zu einer tödlichen Messerattacke auf die zwei Beamten der Stadt Köln. Der Mann verstarb noch vor Ort. Reanimationsversuche blieben erfolglos. Seine Kollegin blieb physisch unverletzt.

Der sechzigjährige deutsche Angreifer (ohne Migrationshintergrund) wohnte allein im rechten Obergeschoss des Hauses. Hatte kaum Sozialkontakte, war ruhig und unauffällig. Machte jeden Morgen Sport. Und – auch das ist Fakt – er wurde dieses Jahr schon einmal auffällig, als ein Amtsarzt ihn untersuchen wollte. Da griff er zu einem Schraubenzieher und griff den Amtsarzt an. Danach war er eine Woche in stationärer Behandlung. Schlimmeres wurde bei der Attacke damals durch eine Schreibmatte als Schild verhindert.

Diesen Schutzschild gab es heute in der Straße nicht, die bezeichnenderweise auch noch „Auf der Schildwache“ heißt. Eine Straße, die in den 50er bis 60er  Jahren bebaut wurde. Die Häuser sind einfach, ohne Schnörkel oder sonst wie verschwendeter Energie einfach hingeklatscht. Das Haus, wo das Drama stattfand, ist eines von vielen, die nur eines gemeinsam haben: architektonische Tristesse gepaart mit Effizienz. Das „Treppenhaus“ besteht aus einer Holztreppe, die nach oben führt. Rechts und links die Wand. Oben eine Freifläche von 80 x 80 cm. Links und rechts eine Tür, vorn ein Fenster und hinter einem die Treppe. Rechts wohnte Herr K.

Die Nachbarn sind freundlich. Sie beantworten nicht gern die Fragen Fremder zu dem Fall. Tun es aber ruhig, höflich und gefasst. Mit mehr Fassung als man es zwei Straßen weiter getan hätte. Aber Fassung kommt auch mit Erfahrungen. Und diese Menschen mussten da wohl schon ein paar bittere Erfahrungen machen. Da war der heutige Tag nur ein weiterer Tiefschlag. Mit dicken Wollpullovern und sogar Schals stand man in der eigenen Wohnung, aus der einem keine Wärme entgegenschwappte als die Tür sich öffnete. Heizkosten können durchaus Einsparpotentiale bieten. Wenn man muss. Auch ohne ein Bild von Greta an der Wand zu haben, kann der Klimawandel in den eigenen vier Wänden Pullover erfordern.

Überhaupt wisperte das Wort Armut über dieser Straße. Nicht so, dass man sie sieht. Sie ist gut versteckt. Wie fast überall in Deutschland, wenn gute Wohnanlagen nicht weit weg sind. Es ist überall sauber. Nur halt ärmlich. Allein die trübe Straßenbeleuchtung vermittelt eine sozialtypische Werbung. Oder als wenn man das alles nicht auch noch ins Licht tauchen möchte.

Jeder lebt für sich. Unter sich. Geringverdiener, Rentner, Arbeitslose und auch Behinderte. Ein guter Querschnitt dessen, was die Grundsicherung so hergibt. Im Haus wohnen auch Migranten. In einer Schicksalsgemeinschaft mit denen, die verloren haben. Die nun überflüssig sind, es wissen und dennoch das Beste daraus machen. Durch die Fenster sieht man TVs flimmern. Ein Sessel davor. Möbel eher spärlich. Gardinen? – Warum kann man wohl reinschauen?

So bleibt jeder für sich. Redet nicht mit den anderen. Lässt jedem seine Illusion, dass alles gut ist. So wachsen dann Probleme. Gerade, wenn das Geld ausgeht. Es dunkel, kalt und auch weihnachtlich ist. Da liegen dann irgendwann bei jedem die Nerven blank. Jahresabschlussstress.

Der eine kommt damit besser klar. Der andere weniger gut. Die Selbstmordrate ist hoch. Drogenkonsum – bei Alkohol angefangen – oft leider auch. Und die Zahl der Menschen, die ab dem 20. im Monat Nudel mit Tomatensoße aus der Dose essen und ab dem 25. nur noch Nudeln essen leider immer höher. Gerade bei älteren Menschen. Und die leben oft ohne Familie. Die Angehörigen werden mit den eigenen Sorgen nicht behelligt. Und glaubt einer hier daran, dass man seine Kinder allmonatlich am Monatsende anbettelt? Nee, es ist immer alles OK. Die Tafeln haben Hochkonjunktur ( https://dnews24.de/2019/12/08/die-tafeln-in-koeln-porz-wahrheiten-bei-denen-der-deutsche-staat-gern-wegsieht/).

In dieses Glück platzt dann der Gerichtsvollzieher. Geldeintreiber. Gläubigervertreter. Das kann schnell gehen. Arztkosten, die die Krankenkasse nicht übernimmt. Schulden aus Unfällen. Oder einfach nur unaufschiebbare Reparaturen. Gründe gibt es viele. Und sie treten schneller ein, als mancher denkt. Bei Hartz IV gibt es keine Reserven oder Spielräume.

Und wenn Gerichtsvollziher dann auf die Menschen treffen, die in ihrer Isolation durch Frustration und Elend zum Hass gefunden haben, ist der Weg zur Gewalttat oft nicht mehr weit. Nicht aus Berechnung. Aber durch Initialzündung. Wie bei einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Jahrzehntelang war alles ruhig, und dann rührt einer daran. Meist ein Baggerfahrer. Also nicht jeder ist gleich gefährdet. Doch in solch prekären Lebenssituationen, sind es dann schnell mal kommunale Beamte, Sanitäter und Polizisten. Oder der schon immer nervige Nachbar.

Manchmal ist es auch ein Politiker, wie Henriette Reker, die als Blitzableiter herhalten müssen. Die Oberbürgermeiterin von Köln spricht nun von einer Verrohung der Gesellschaft, was nachvollziehbar ist. Diese Verrohung ist täglich zu beobachten, wie Rettungskräfte nur zu oft bestätigen müssen, nur trifft es hier vermutlich eben NICHT zu!

Herr K. wird nun als psychisch gestört eingestuft, nicht schuldfähig und ist damit auch nicht vor Gericht zu bringen. Wenn wir ehrlich sind, trifft das auf viel zu viele Täter zu. Vereinsamung, wenig Sozialkontakte, geringe Kommunikation und Verelendung führen nicht gerade zu stabilen Persönlichkeiten, das sollte klar sein. Das Problem geht aber tiefer. Denn es wird auf immer mehr Bürger zutreffen. Menschen, die durch Digitalisierung, Rezession und Demographie abrutschen werden. 47 Beitragsjahre für die Rente nicht schaffen. Ab 50Plus nicht mehr als Fachkräfte gefragt sind. Oder als Arbeitskräfte allgemein ersetzt werden. Und dann, nach ein paar Monaten rutscht man auf H4 ab. Vorher ist das gesamte Vermögen, alle Rücklagen aufzubrauchen. Das frustet. Man schränkt sich weiter ein. Isoliert sich. Spart wo man kann. Verlängert das Elend so, bis wirklich H4 dann kommt. Und dann ist es aus. Wie in dieser Straße zu beobachten, wo Armut zwar an keiner Hauswand stand aber als Menetekel über allem schwebte.

Und die Baggerfahrer, die hier die Bomben finden, heißen dann Gerichtsvollzieher. Sie treffen den Nerv des betroffenen Menschen dort, wo er offen liegt. Wissen es vielleicht auch, aber das ist nun mal der Job. Und wenn dann wie im Fall von Herrn K. eben dieser Schuldner auch noch Soldat war, man munkelt von der Fremdenlegion, dann ist der manchmal Weg in der Kurzschlusshandlung tödlicher als bei der netten Oma, die ihre GEZ nicht mehr zahlen kann.

Und nein, selbst wenn Herr K. Legionär war, heißt das nicht, dass er sowieso ein geborener Killer ist. Das stimmt nicht. Das trifft auf jeden ex-Soldaten und ex-Polizisten so niemals zu. Im Gegenteil, sie sind in aller Regel besonnener und gefasster. Können von ihrer Ausbildung zehren. Wie Herr K., der jeden Morgen seine Sportübungen als bekannte Routine machte. Sich vielleicht auch daran klammerte.

Doch wenn solche Menschen dann ausrasten, sind die Folgen umso schlimmer. Weil sie dann das tun, worin sie ausgebildet wurden. Was sie beherrschen. Mitunter sogar einem instinktiven Impuls folgend, wo sich die Ausbildung und das Training auch nach Jahren noch automatisch abspult. Auch als Wiederholung dessen, was man in Einsätzen schon getan hat. Ergo auch mit heruntergeschraubten Hemmungen. Gerade bei Wutanfällen, die dann aber durchaus aus einer psychischen Extremsituation herrühren können. Wie zum Beispiel so ein Gerichtsvollzieher kurz vor Weihnachten.

Machen wir uns nichts vor. Altersarmut wird Millionen Menschen treffen. Gerade auch, da der Staat und die EZB alles tun, um unsere Rücklagen zu schröpfen. Über Null-Zins-Politik und Negativzinsen schafft man das seit nunmehr zehn Jahren klammheimlich. Daher werden viele Menschen erst mit ihren Renten- und Versicherungsbescheiden erkennen, wie sie ganz legal ihrer Hoffnungen beraubt wurden und werden. Der Terror-Opa oder die Amok-Rentner müssen keine Fiktion bleiben. Viele werden klammheimlich in ihren Wohnungen einsam und leise wegsterben. Ohne ausreichende medizinische Vollversorgung auch schon mal früher als heute gemeinhin üblich. Andere nehmen die noch kürzere Variante und werden Selbstmord verüben. Das wird dann nach den Festtagen wieder zu beobachten sein. Noch einmal Weihnachten, noch einmal Ostern oder der letzte Geburtstag. Doch es wird auch jene geben, die sagen, dass so eine Lebenserwartung auch dadurch bereichert werden kann, indem man die anderer verkürzt. Der Schuldigen beispielsweise. Oder derjenigen, die man als Schuldige ansieht. Wie vielleicht hier die beiden kommunalen Beamten. Nicht nur aus Verrohung, sondern aus impulsiver Rache für erlittenes vermeintliches Unrecht. Mitunter nur subjektiv angenommen, was aber reicht. Hier leider ausgereicht hat.

Damit müssen die Kommunen umgehen lernen. Sie müssen ihre Mitarbeiter schulen, Gefahrenvermerke an Akten anbringen. Vorbereitet sein. Gerade auch bei Leuten, die offensichtlich die Grenze schon erreicht haben könnten. Wie bei Herrn K. aus Köln-Dünnwald. Warum das in diesem Fall nicht geklappt hat und die zwei Beamten dort arglos erschienen, muss hinterfragt werden. Ablauf-Prozesse werden dort angepasst werden müssen. Denn in Zukunft wird diese Art des letzten Widerstandes ganz wahrscheinlich zunehmen. Das ist nicht mies vorausgedacht, sondern menschlich klar erkennbar.

Nur darf dieses Gefühl nicht die Leute treffen, die nur ihren Job machen. Und mitunter sollte man die Vorweihnachtszeit aus dem Terminplan für Vollstreckungsbesuche nehmen, da hier eine erhöhte Emotionalität gegeben ist. Gerade wenn es um Geld geht. Und mal ehrlich, wenn Milliardenguthaben negativverzinst werden, Nullzinsen den Konsum am Black Friday anregen sollen, man über Helikoptergeld für jede Zombiefirma redet, die laut „hier!“ schreien kann, was soll dann so ein Besuch für wie viel Euro bringen? Eine noch höhere Verschuldung des Schuldners via Verwaltungspauschale, die ihm zusätzlich in Rechnung gestellt, aber dann sehr wohl verzinst wird? – Mal ganz ehrlich? Ist das nicht ein schlechter Witz? Um wie viel ging es in Köln-Dünnwald? Für was ist der Beamte gestorben? Was hat Herrn K. derart aus der Fassung gebracht, dass er zum Messer griff? Hätte man die Vollstreckung nicht auch im Januar machen können? Oder spekulierte man darauf, dass gerade vor Weihnachten Schuldner noch die eine oder andere Rücklage angespart haben könnten? – Ich hoffe, dass das nicht im Hinterkopf der Beamten war, die heute Opfer wurden.

Wie es scheint müssen wir tiefer blicken und endlich folgerichtig handeln, wenn wir in Zukunft nicht täglich solche Meldungen bekommen wollen. Das sind wir unseren Beamten schuldig. Wie auch denen, die in Köln-Dünnwald und anderswo leben, wo wir nicht gewillt sind genauer hinsehen zu wollen. Eben weil wir da ein ganz schlechtes Gefühl im Bauch haben.

Auch für uns selbst.