Deutsche Demokratie: eine Geschichte mit Stolpersteinen für Bundeskanzler

Die Geschichte der Bundesrepublik ist ein Auf und Ab der Kanzlerschaften. Eine historische Betrachtung von Sascha Rauschenberger.

Die Bundesrepublik Deutschland ist keine junge Demokratie, sondern eher eine im dritten Anlauf. Nach Paulskirche und Weimar gab es sogar zwei parallele Versuche, dem deutschen Volk Selbst- und Mitbestimmung einzuhauchen. Der ostdeutsche Versuch endete genauso kläglich wie die gesamtdeutschen Versuche von 1848/49 und 1919/33.

Daher ist es an der Zeit sich einmal anzusehen, wie Perioden deutscher Nachkriegspolitik und Kanzlerschaften in unserer Republik endeten. Warum sie mitunter auch enden mussten. Oder gar scheitern mussten.

Natürlich kann man Adenauer nicht mit Schmidt, Kohl oder Merkel vergleichen. Jeder Kanzler hat in seiner Zeit gewirkt. War Rahmenbestimmungen und Prämissen unterworfen, die auch weltpolitisch beeinflusst wurden. Oder dem Zeitgeist geschuldet waren.

So können für die Bundesrepublik drei Perioden ausgemacht werden, in denen unterschiedliche Kanzler-„Typen“ wirkten. Die direkte Nachkriegsperiode mit Adenauer, Erhard und Kiesinger. Die Phase des gesellschaftlichen Umbruchs samt Wiedervereinigung mit Brandt, Schmidt und Kohl und die Phase der Globalisierung deutscher Politik mit Schöder und Merkel.

Republikgründung und Nachkriegsdeutschland

Vier Jahre nach dem vollkommenen Zusammenbruch der deutschen, staatlichen Autorität,, wurde Konrad Adenauer 1949 im Westen erster deutscher Kanzler. Vom Volk gewählt, nachdem er von den Alliierten unter dem bis 1955 geltenden Besatzungs-Statut abgesegnet wurde. In Konkurrenz wurde in Mitteldeutschland die DDR aus der Wiege gezerrt und die Teilung Deutschlands so besiegelt. Der Osten Deutschlands stand ja unter polnischer und sowjetischer Verwaltung, dort gab es gar keinen Zugriff deutscher Autoritäten. Dass in diesem Zusammenhang und im Lichte der gewaltigen Herausforderungen Adenauer bis dato in einem Glanz erstrahlt, an dem sich jeder Kanzler seither messen lassen muss, ist bezeichnend. Adenauer war kein Nazi, im Gegenteil. Er war bürgerlich, konservativ, beharrlich bis starrsinnig. Er musste 15 Millionen Ostflüchtlinge im zerbombten Westen zusätzlich unterbringen. Die zerschlagene Wirtschaft wieder aufrichten und 67 Millionen Menschen im Westen wieder eine Heimat schaffen. Nicht nur für sich, sondern auch in der Welt, die das neudeutsche Demokratieexperiment argwöhnisch beäugte. Es waren die Jahre des Wirtschaftsaufschwung und der Überschüsse. Hier wurde dem Volkswirtschafts-Reichtum späterer Jahre die Grundlage gegeben. Die europäische Einigung wurde angestoßen und mit Charles de Gaulle vorgelebt. Die heutige EU mit der Gründung der Montan-Union und EWG angedacht und vorangetrieben. Die Wiederbewaffnung Deutschlands, eingebettet in die NATO, gegen riesige Widerstände im Land selbst durchgesetzt und 1955 die letzten 10.000 Kriegsgefangenen heimgeholt. Nicht zuletzt schaffte Adenauer die Aussöhnung mit dem Staat Israel und durch eine Vielzahl von Gesetzen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft Wohlstand für viele Bürger.

Als die Ära Adenauer endete, übernahm Kurt Georg Kiesinger – nach einem kurzen Intermezzo von Ludwig Erhard – kein leichtes Amt. Zumal er selbst nicht unvorbelastet war (NSDAP-Mitgliedsnummer: 2633930). Es war die Zeit des kalten Krieges, der weltpolitisch immer wärmer wurde. Kuba, Vietnam und Kambodscha zeigten den Weg auf. Stellvertreterkriege zwischen West und Ost in Afrika und Lateinamerika tobten vor sich hin. Auch im Nahen und Mittleren Osten wurde stellvertretend gekämpft. Der Israelkonflikt mündete in diversen heissen Kriegen.

Die 68er-Bewegung forderte in Europa die Eliten heraus. Fragte nach. Auch nach der Vergangenheit, die viele in Amt und Würden nicht mehr wahrhaben wollten.

Die jungen Deutschen forderten eine Änderung des Status quo. Mit dem Besuch des Schah Reza Pahlevi in Deutschland eskalierte dann die Lage.

Damals dachte man ernsthaft darüber nach, ein Zweiparteiensystem in Deutschland nach US-Vorbild einzuführen. Immerhin bekam die NPD im Bundestagswahlkampf 1969 4,9% der Stimmen. Auch als Reaktion auf die Umtriebe der 68er-Bewegung, die zu oft in Strassenschlachten und Gewalt mündeten. Die Wahlrechtsreform war nicht durchsetzbar, weil die SPD schon mit der FDP liebäugelte eine Koalition zu bilden. Andernfalls hätten wir dieses System heute.

Diese erste Periode deutscher Nachkriegspolitik endete 1969, als die CDU mit 46,1 Prozent aller Stimmen im Bundestag zwar stärkste Kraft wurde, aber sich der neuen Koalition von SPD und FDP geschlagen geben musste. Kiesinger kündigte an, die FDP nun aus allen Länderregierungen fegen zu wollen, weil die nun bundespolitisch das Zünglein an der Waage spielen wollte. Das schadete seinem Ansehen. Und man darf aus der Retrospktive sagen, dass war der erste Stilbruch demokratischer Gepflogenheiten.

Natürlich muss in diesem Umbruch auch der von Aussen ins System getragene Klassenkampf einbezogen werden. Getragen von der Stasi der DDR und dem KGB der UdSSR, die alles taten, gerade Westdeutschland zu destabilisieren, zu unterwandern und zu schwächen.

Wirtschaftskrise, sozialer Aufschwung und Wiedervereinigung

Die neue Regierung von Willy Brandt verlor im Herbst 1969 keine Zeit und setzte etwas um, was unter Adenauer undenkbar gewesen wäre. Die Annäherung an den Osten. Brandts Ostpolitik brachte ihm 1971 den Friedensnobelpreis ein. Aber auch eine erste grundlegende Spaltung der Nation, die zunehmend linksradikalem Terror die Stirn bieten musste. Heute wissen wir, dieser war von östlichen Nachrichtendiensten gefördert und auch teilweise gesteuert. Das 1972 von Rainer Barzel (CDU) im Bundestag eingebrachte Mißtrauensvotum scheiterte an zwei Stimmen, die ihm von zwei CDU-Fraktionsangehörigen nicht gegeben wurden. Mindestens ein Abgeordneter war von der Stasi gekauft worden. „…der frühere DDR-Spionagechef Markus Wolf in seinen Memoiren, den CDU-Abgeordneten Julius Steiner mit der Zahlung von 50.000 DM bestochen zu haben, damit sich dieser beim Misstrauensvotum der Stimme enthielt“, kann man auf den Seiten des Deutschen Bundestages nachlesen. Genauso die Tatsache, dass „die Auswertung geheimer Stasi-Akten gab darauf 2006 einen neuen Hinweis. Magazine wie „Der Spiegel“ oder „Cicero“ berichteten, dass die so genannten Rosenholz-Dateien den früheren CSU-Abgeordneten Leo Wagner als Inoffiziellen Mitarbeiter („IM“) der Stasi geführt hatten. Das erhärtete den bereits bestehenden, aber nie bewiesenen Verdacht, dass Wagner ebenso wie Steiner Geld für seine Stimme erhalten hatte. (HIER: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/38507921_kw17_misstrauensvotum_brandt-208272). Dass die Ära Brandt unrühmlich zu Ende ging ist bekannt. Die gedachte Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze führte zum Koalitionsstreit, der am 22. September 1972 in der Vertrauensfrage Brandts mündete. Er verlor sie wie gewollt und ging gestärkt aus den anschließenden Neuwahlen hervor. Doch sein langjähriger persönlicher Referent Günther Guillaume, aus der DDR stammend, entpuppte sich 1974 als Stasi-Agent. Der GAU deutscher Nachkriegspolitik führte zum Rücktritt Brandts. Dem ersten wirklichen Kanzlerdesaster in Deutschland. Auch aus internationaler Sicht.

In wieweit überhaupt die Ostpolitik von Brandt vielleicht durch Herbert Wehner initiiert wurde, der als einer der wenigen Überlebenden in die UdSSR geflüchteten Sozialisten nach dem Krieg zurückkehrte, ist ungewiss. Jedenfalls wurde Brandt von Wehner bei dessen Moskau-Besuch 1973 so vorgeführt, dass Brandt fassungslos war. Zusammenfassend kann man sagen, dass Brandt am gesellschaftlichen Zwiespalt die gesamtdeutsche Frage – auch territorial – betreffend innenpolitisch scheiterte. Die damals von ihm gewollte Grenze ist heute Realität, seit die Regierung Kohl sie 1990 anerkannte. Brandt scheiterte damals an 15 Millionen Vertriebenen-Wählern der Nachkriegszeit und ihrer Lobby.

Helmut Schmid, seit der Großen Koaltion der heimliche Macher der SPD-Fraktion, und nun Super-Minister, wurde Bundes-Kanzler. Ölkrise, RAF-Terror und auch geldpolitsiche Verwerfungen führten zu einem allgemeinen Wandel. Auch in der deutschen Sozialpolitik. Der durch die internationalen Zahlungsströme und dem zunehmend sich verpflechtenden Handel notwendigen Wechsel von einer notfalls steuerfinanzierten Wirtschaftspolitik (Keynes) hin zu einer vom freien Handel dominierten libertären Wirtschaftspolitk mit möglichst wenig staatlicher Einmischung (Friedman) hatte weitreichende Folgen. Machte die Stärkung der Binnenkaufkraft nötig, was zum Teil zweistellige Lohnzuwächse im Jahr bescherte. Den Wohlstand Deutschlands erst auf breiter Basis ermöglichte. Gleichzeitig wurde aber auch ab Mitte der 70er die Umwelt als Thema erkannt, aber noch von breiten Teilen der Politik und Wirtschaft ignoriert. Saurer Regen, Atomausstieg und Gewässerschutz wurden von den Bürgern zunehmend thematisiert. Die dem allgemeinen Wandel weltwirtschaftlicher Gegebenheiten zuzuschreibende Wirtschaftskrise der beginnenden 80er, auch dem Versuch den notwendigen Strukturwandel aussitzen zu wollen, sowie der Verschärfung des Ost-West-Konfliks (Einmarsch in Afghanistan durch die UdSSR 1979) samt dem notwendigen NATO-Doppelbeschluss brachte die Regierung Schmidt an ihr Ende. Friedensmärsche wurden mit ökologischen Forderungen vermengt und manifestierten sich in Demonstrationen, an denen in der Spitze mehr als eine Million Menschen teilnahmen. Die rasant wachsende Neuverschuldung, die innerdeutsche Kohle- und Stahlkrise, sowie ausufernde Arbeitslosigkeit führten zu einer Umorientierung des Koalitionspartners FDP.

Nach dem Sturz von Helmut Schmid 1982 folgte Helmut Kohl, der das Land sechs Jahre bis zur Wiedervereinigung im Kampf gegen die „Sozis“, wie er es nannte, führte. Die wurden nun dauerhaft in den Parlamenten durch die Grünen als vierte Partei verstärkt. Letztlich auch ein Umstand, der Parteien als Wahlgewinner mit absoluter Mehrheit fast unmöglich machte und Regierungskoalitionen im Bund und Ländern erschwerte. Ohne die Wiedervereinigung wäre der mitunter arrogant und unbeholfen wirkende Kohl mit Sicherheit früher abgewählt worden. Doch seine unvergessliche Glanzstunde deutscher Geschichtsschreibung kam mit dem Zerfall des Ostblocks. Er erkannte die Gunst der Stunde, als die Ostdeutschen ihr Anliegen auf Reisefreiheit und mehr Bürgerrechte auf die Strasse trugen. Montags spazieren gingen. Er wurde aktiv und nutzte ein kaum vorhandenes Zeitfenster der Unsicherheit, um mit Gorbatschow den unaufhaltsamen Zerfall der UdSSR samt Verbündeten (finanziell) abzufedern und die Wiedervereinigung anzustoßen. Auf Basis dessen, was Brandt als Territorialdeutschland ansah und woran er letztlich auch scheiterte. Dilettantische Re-Aktionen des alten SED-Regimes, das zunehmend taumelnd das um sich greifende Vakuum staatlicher Politik verstärkte, führten dann zu dem Punkt, wo ein Herr Schabowski am 9. November 1989 unabgestimmt die Grenzöffnung der Presse verkündete (HIER nachzulesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Mauer und https://dnews24.de/2019/11/09/30-jahre-mauerfall-nach-meiner-kenntnis-ist-das-sofort-unverzueglich/). Die Sternstunde deutscher Nachkriegspolitik. Getragen vom Konsens (fast) aller Parteien und unter dem Jubel aller Deutschen. Zu erinnern wäre an den damaligen SPD-Star und späteren Linke-PDS-SED-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, der wie manch anderer die DDR lieber erhalten hätte… Doch mit diesem Tag, den Notwendigkeiten der Wiedervereinigung und ihren enormen wirtschaftlichen und sozialen Lasten, dem nun doch einsetzenden Strukturwandel in der Wirtschaft (z.B IT-Einführung auf breiter Basis, dem Wegfall oder der Streichung militärischer Aufwände („Freidens-Dividende“), grassierende Arbeitslosigkeit) führten wieder zu rasant wachsenden Staats-Schulden, für die nun Kohl verantwortlich zeichnete. Der Griff in die Bestände der Sozialkassen, zurückgestellten Zahlungen in Pensionskassen und eine wachsende Steuerlast führten zu Unzufriedenheit und ermöglichten 1998 einen Machtwechsel.

Die im Nachgang der Wahl dann bekannt gewordenen schwarzen Kassen der Union, die zu erheblichen Strafzahlungen von Bundes-CDU wie auch einigen CDU-Landesverbänden führten, erschütterten dabei die Bürger. Obwohl bis dato Kohl keine persönliche Bereicherung nachgewiesen wurde, prägte der „Bimbes-Skandal“ das Bild seiner Person, das Andenken mit seinem Erbe als überzeugter Europäer und auch den Umgang mit ihm selbst. Er verlor den Ehrenvorsitz seiner Partei und die öffentliche Zustimmung. Sogar das öffentliche Interesse an seiner Person schwand. Das Bild des „Kanzlers der Einheit“ sowie sein Werk um die friedliche Überwindung des Ost-Westkonfliktes wurde dadurch nachhaltiger getrübt, als es Willy Brandt vor ihm widerfuhr.

Die sozialisierte Globalisation

Die nach 1998 von Gerhard Schröder (SPD) geführte rot-grüne Bundesregierung stand ganz unter dem Druck der sich schnell wandelnden globalen Markt- und Finanzbedingungen und ab 2001 auch unter den aussenpolitisch bedeutenden Vorkommnissen um 9/11. Schröder verweigerte die Unterstützung zum US-geführten Einmarsch in den Irak, billigte aber den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Gleichzeitig stieß er als Sozialdemokrat die von der Regierung Kohl vernachlässigen Strukturänderungen in den Sozialsystemen an („Agenda 2010“), was ihm große Teil der Wählerschaft wie auch der Partei bis dato übelnehmen. Nach der verheerenden Wahlniederlage der SPD in NRW 2005, wo sie seit 39 Jahren unangefochten regiert hatte, stellte Schröder im Parlament die dritte deutsche Vertrauensfrage (nach Barzel 1972 und Kohl 1982), um Neuwahlen zu ermöglichen, die er gegen Angela Merkel (CDU) verlor.

Merkels Regierung basierte von Anfang an auf vorsichtigem Herangehen an Probleme. Sie lernte von Schröder, den Wähler niemals mit Reformen zu behelligen, die seiner Zustimmung bedurften und/oder gegen seinen mehrheitlichen Konsens verstießen. Anfangs konnte sie sich auf die beginnenden Verbesserungen der durch die Regierung Schröder veranlassten Sozialreformen stützen, die sie in der Bewältigung der Euro-Krise 2008 nutzte. Dabei zeigte sie das gleiche machtpolitische Geschick, das auch Kohl schon hatte und zerschlug konsequent jede innerparteiliche Konkurrenz. Sie verwandelte zunehmend die innerparteiliche Diskussion zum einem Konsens-Prozess, der als „alternativlos“ hingestellt wurde. Wenn auch die Rettung des Euro 2008 vielleicht so nötig gewesen war, ihre schnellen Zusagen an Hilfen für fast die Hälfte aller Euro-Staaten sowie Bürgschaften zum Euro-Rettungsfonds in Höhe von einer Billion Euro, führten zu zwei Entscheidungen mit einer weitreichenden Spaltung der deutschen Gesellschaft. Der Atomausstieg über Nacht nach dem Fukushima-Unglück 2010 und den über die Erneuerbare-Energieumlage verschleierten Kosten und die ebenfalls unabgesprochen herbeigeführte Grenzöffnung in der Flüchtlingsfrage 2015 führten zum Erstarken rechts-konservativer bis national-völkischer Ab-Spaltungen in der Gesellschaft, die in der Thüringen-Krise nun ihren Höhepunkt gefunden haben, wo sie als Kanzlerin dazu aufrief, ein parlamentarisches Wahlergebnis frei gewählter Abgeordneter in einem Bundesland zu korrigieren. Ein bislang einmaliger Fauxpas eines Kanzlers.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der parlamentarische Umgang der Parteien miteinander, der Dialog zwischen Bürger und Politik sowie der innergesellschaftliche Diskurs ständig schlechter wird. Natürlich war der Schlagabtausch im Bundestag immer schon an der Grenze dessen, was laut Knigge möglich war. Unvergessen die Reden von Strauß und Wehner, die Rüge an Joschka Fischer, für die er sich unflätig bedankte, oder andere Highlights deutschen Parlamentarismus. Das gehört dazu. Muss auch so sein. Denn es fördert die Diskussionskultur. Solange zumindest, wie es eine Diskussion gibt, die auch sach- und fachbezogen geführt und nachvollzogen werden kann. Aber genau hier scheitert zunehmend die Politik. Sie ersetzt Kenntnis und Wissen zunehmend durch Haltung und Gesinnung. Moralischer Anspruch vereinigt mit Ideologie. Sie weicht Regeln parlamentarischer Diskussion und damit auch öffentlicher Darstellung von Demokratie zunehmend auf. Die Politiker ersetzen Sitte, Stil und Form durch „moralischen Anspruch“.

Kein Kanzler vor Merkel hat jemals so nonchalant Recht, Gesetz und Verfassung ausgelegt, wie die Regierung Merkel. Etwas, was zur Spaltung der Gesellschaft, der zunehmenden Polarisierung an den Flügeln und zum Wiedererstarken selbst rechtsextrem-völkischer Thendenzen ursächlich, zuträglich, wenn nicht gar bestimmend war.

Der im und durch das Parlament samt Regierung vorgelebte Werteverfall, die Abflachung sachbezogener Diskussionen bis zur Bedeutungslosigkeit und „alternativlose“ Meinungen haben dem Ansehen unserer Demokratie geschadet. Im eigenen Land wie auch von aussen aus gesehen.

Kein Kanzler war bisher in der Lage eine Regierung zu führen, ohne auch den Vorsitz der eigenen Partei inne zu haben. Nicht ohne Grund. Ein Regierungschef muss auch Parteichef sein. Das traf von Adenauer bis Schröder zu. Letzterer verspielte vor seinem Niedergang zuerst die Zustimmung seiner Politik durch seine Partei. Angela Merkel hat die Fehler von 2008, 2010 und 2015 wohl erkannt. Sie wollte den Weg zum Neuanfang ebnen, ohne aber am Ergebnis etwas ändern zu wollen. Da war „AKK“ die geeignete Nachfolgerin. Merkel konterkarierte zunehmend die Arbeit ihrer gewünschten und selbst initiierten Nachfolgerin. Sie diskreditierte so die Arbeit von AKK, während sie als Kanzlerin vom Wähler entrückt erscheint und macht, was sie will. Quasi ohne Rechenschaft ablegen zu wollen. Weder vor dem zunehmend sprachloseren Bürger noch vor dem inzwischen düpierten Parlament. Kein Kanzler konnte bisher von sich sagen, fehlerlose Politik betrieben zu haben. Fehler gehören zum Geschäft. Kein Kanzler hat bis dato dauernd und grundlegend am Volk vorbei regieren können. In Phasen des Wachstums, sprudelnder Einnahmen und allgemeinen Wohlbefindens ging das immer eine Zeit lang gut. Bis zur Krise, der Rezession oder weniger sprudelnden  Einnahmen, wo Sparen angesagt war. Und dieser Zeitpunkt ist nun wohl auch für Merkel gekommen. Wo Verdienste aus der Vergangenheit nicht mehr zählen. Die zukunftsweisene Ostpolitik von Willy Brandt wurde ihm am Ende nicht gedankt. Ludwig Erhard, der Schöpfer des Wirtschaftswunders, ist inzwischen fast unbekannt. Der Kanzler der Einheit Helmut Kohl wurde fast beschämt zu Grabe getragen.

Gerhard Schröder, der durch mutige aber wenig SPD-lastige und von Kohl nicht zu Ende gebrachten Strukturreformen die Grundlage für Merkels volle Kassen und damit unsere fast zehnjährigen Aufschwung legte, wird medial und politisch verhöhnt.

Es stellt sich die Frage, was von Merkel bleiben wird. Am Schluss ihrer absehbar bald endenden Kanzlerschaft. Was wird unsere Demokratie von ihr sagen? Bei all den demographisch ungelösten Fragen, die sogar verschlimmert wurden? Erkennbar kollabierenden Rentensystemen. Taumelnder Schlüssel-Branchen unserer Wirtschaft. Wie werden künftige Generationen ihre Kanzlerschaft bewerten?

Diese Frage ist durchaus wichtig. Denn sie wird dann rückblickend das ausmachen, was unsere Zukunft sein wird. Hoffentlich nicht so alternativlos, wie gern dargestellt.