Demografie ist mehr als Alterung

Der demografische Wandel verändert Deutschland

Die Bevölkerung in Deutschland ist seit der Wiedervereinigung älter, bunter und individueller geworden. Das zeigt sich generationsübergreifend und in allen lebensnahen Bereichen – etwa bei Familie, Bildung, Arbeit und Mobilität. In einer neuen Veröffentlichung bietet das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) bislang unbekannte Perspektiven auf den Demografischen Wandel zwischen 1991 und 2021.

Familien- und Lebensformen sind individueller geworden

Das familiäre Zusammenleben hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten auf verschiedene Weisen verändert.

Zum Beispiel verschob sich die Phase der Familiengründung in ein höheres Alter – Eltern sind bei der Geburt ihrer Kinder heute rund 2,5 Jahre älter als noch vor 25 Jahren.

Dabei wurde das traditionelle Modell der Vater-Mutter-Kind-Familie vielfach von anderen Lebensformen abgelöst: Lebten 1996 noch rund 40 Prozent der 30-jährigen Männer in einer Partnerschaft und mit Kindern in einem Haushalt, sind es heute nur noch 24 Prozent. Bei Frauen sank der Anteil im gleichen Zeitraum von 53 auf 37 Prozent.

Gleichzeitig haben Lebensformen ohne einen Partner beziehungsweise eine Partnerin zugenommen. Fast jeder vierte Mann im Alter von 40 bis 44 Jahren lebte 2021 partnerlos und ohne Kind in einem Haushalt, 1996 waren es noch 16 Prozent dieser Altersgruppe. Bei Frauen gab es vor allem Veränderungen im höheren Alter. 1996 waren etwa 80 Prozent von ihnen im Alter von 80 Jahren alleinstehend, mittlerweile trifft dies nur noch auf jede zweite Frau.
Insgesamt zeigt sich eine zunehmende und weniger strikt am Alter orientierte Vielfalt im Lebensverlauf. „Die Lebens- und Familienkonstellationen sind individueller und vielfältiger geworden.“ fasst Harun Sulak die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zusammen. Mit Folgen für die Zukunft: „Beispielsweise gibt es immer mehr Kinderlose, für die sich im Alter auch die Frage nach einer außerfamiliären Betreuung stellt.“

Die Migration hat die Bevölkerungsalterung verlangsamt

Auch Zuwanderung aus dem Ausland kann die Dynamik des Arbeitsmarkts beeinflussen. Da es zu einem großen Teil jüngere Menschen sind, die nach Deutschland ziehen, erhöht Zuwanderung das Arbeitskräftepotenzial und schwächt demografische Alterungsprozesse tendenziell ab. „Zuzüge aus dem Ausland haben erheblich dazu beigetragen, dass die Bevölkerung heute auf einem breiteren Sockel steht als Mitte der 2000er Jahre“, befindet Prof. Dr. C. Katharina Spieß, Direktorin des BiB. Die Integration der nach Deutschland gekommenen Menschen ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels deshalb eine zentrale Aufgabe. „Hierbei geht es auch um die Eingliederung in das Bildungswesen“, so Spieß, was schon bei Kindern mit einer frühen Kita-Nutzung beginnen sollte, um beispielsweise den Spracherwerb zu erleichtern: „Es ist nie zu früh, in Bildung zu investieren. Und auch nie zu spät.“

Angleichung bei Frauen und Männern erkennbar: Pyramiden sind symmetrischer geworden

Viele Bevölkerungspyramiden sind hinsichtlich der Muster bei Männern und Frauen symmetrischer geworden. Dies deutet auf Fortschritte im Bereich der Gleichberechtigung hin. Sie zeigen sich etwa bei der Bildung und – etwas abgeschwächt – auch bei den Themen Erwerbsleben und Rentenbezug. Im höheren Alter sind Angleichungen zwischen den Geschlechtern vor allem im Hinblick auf die Lebensformen bemerkenswert.

Steigende Erwerbsbeteiligung bei Frauen und Älteren

Was tun, wenn in Zukunft immer weniger Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werden? Eine Möglichkeit ist, jene Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die bislang nicht erwerbstätig sind.

  • Gerade bei Frauen im Alter zwischen 15 und 65 gab es erhebliche Veränderungen: Während 1991 nur etwa 57 Prozent aller Frauen einer bezahlten Tätigkeit nachgingen, sind es heute 72 Prozent. Besonders dynamisch haben sich dabei Beschäftigtenverhältnisse fernab der 40-Stunden-Woche entwickelt. So arbeitet mittlerweile mehr als jede zweite Frau ab Mitte 30 in Teilzeit, was vor allem mit steigender Müttererwerbstätigkeit zusammenhängt.
  • Ältere Menschen stehen heute länger im Job als vor 30 Jahren. Bei den 60- bis unter 65-Jährigen üben 66 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen eine Tätigkeit aus. Auch im Alter darüber gab es deutliche Anstiege, wenn auch ausgehend von einem niedrigeren Niveau.

Ruhestand

Die Erwerbstätigkeit hat bei den über 60-Jährigen in den vergangenen 30 Jahren deutlich zugenommen. Gründe hierfür finden sich vor allem in weitreichenden Reformen des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme – zum Beispiel in Zugangsregeln zu den verschiedenen Rentenarten der gesetzlichen Rentenversicherung. Positiv wirken sich auch eine gute wirtschaftliche Lage und der Umstand aus, dass mehr Menschen den Ruhestand in einem guten Gesundheitszustand erreichen. Hierdurch hat sich der Beginn des Bezugs von öffentlichen Renten und Pensionen bei vielen Personen in höhere Alter verschoben.

1991 gaben noch gut 40 Prozent der Männer und mehr als die Hälfte der Frauen im Alter von 60 Jahren an, eine öffentliche Rente zu beziehen. 2019 sind die entsprechenden Anteile auf 14 und 18 Prozent gesunken. Betrachtet man die Entwicklung der Gruppe der 60- bis unter 65-Jährigen insgesamt, so hat sich hier der Anteil der Rentenempfängerinnen und -empfänger in den vergangenen 30 Jahren von gut 60 Prozent auf 30 Prozent halbiert. Weiter fällt auf, dass sich die Anteile der Personen, die in einem bestimmten Alter eine Rente oder Pension erhalten, über die Zeit zwischen Männern und Frauen nahezu angeglichen haben. Heutzutage empfangen fast alle Frauen über 65 Jahre eine Rente. Was in der Abbildung nicht ersichtlich ist, sich jedoch ebenfalls über die Zeit verändert hat: In den letzten Jahrzehnten stieg der Anteil derjenigen, die im Ruhestand einer Erwerbstätigkeit nachgehen – und das nicht nur aus finanziellen Motiven.

Höhere Bildung als Schlüsselelement

Um den Herausforderungen von Alterung und Bevölkerungsrückgang zu begegnen, gilt Bildung als Schlüsselelement. Die sogenannte „Bildungsexpansion“ mit einem starken Ausbau des Bildungswesens hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass heute mehr Menschen als jemals zuvor höhere Schul- und berufliche Bildungsabschlüsse besitzen.

  • So hatten 1991 in der Altersgruppe der 40-Jährigen rund 20 Prozent aller Männer und 13 Prozent aller Frauen Abitur. Mittlerweile sind die Vergleichswerte auf 45 Prozent beziehungsweise sogar auf 48 Prozent angestiegen.
  • Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich bei der beruflichen Bildung mit einem starken Zuwachs akademischer Abschlüsse. Hier kletterten die Anteile in der gleichen Altersgruppe von 18 auf 26 Prozent bei Männern und von 10 auf 28 Prozent bei Frauen.

Dies hat weitreichende Konsequenzen für den Arbeitsmarkt – auch langfristige, denn mit den geburtenstarken Babyboom-Jahrgängen der 1950er und 1960er Jahre werden in den kommenden Jahren altersbedingt deutlich mehr Personen aus dem Erwerbsleben ausscheiden als im jüngeren Alter eintreten. „Der altersbedingte Rückgang der Erwerbspersonenzahl kann zumindest teilweise durch ein steigendes Bildungsniveau ausgeglichen werden, da mit einem höheren Bildungsniveau tendenziell eine höhere Pro-Kopf-Produktivität einhergeht“, erklärt Dr. Elke Loichinger, Forschungsgruppenleiterin am BiB.

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