Demografie in Deutschland: Die wichtigsten Trends der letzten zehn Jahre

Zahlreiche Ereignisse haben in den letzten Jahren die Struktur der Bevölkerung in Deutschland beeinflusst. Ein neuer Bericht des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden fasst die zentralen demografischen Trends der vergangenen Dekade zusammen.

Demnach waren insbesondere fünf Entwicklungen zu beobachten: Der Bevölkerungsrückgang hat sich nicht in der erwarteten Form eingestellt, die Zuwanderung nach Deutschland hat eine andere Dynamik entfaltet, die Geburtenziffer hat sich leicht erhöht, die Alterung der Bevölkerung bliebt demografisch das beständigste Thema und viele demografische Entwicklungen verlaufen regional sehr unterschiedlich. Der Bericht ist Bestandteil des dreiteiligen Demografie-Résumés des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zum Ende der 19. Legislaturperiode.

Daraus geht hervor, dass sich einige demografische Parameter anders entwickelt haben als lange Zeit erwartet. So ist beispielsweise der Rückgang der Bevölkerungsgröße bislang ausgeblieben. Vor allem der starke Zuzug von Arbeitskräften aus den EU-Ländern und Menschen aus Krisenregionen hat dazu geführt, dass heute mehr als 83 Millionen Menschen in Deutschland leben – und damit so viele wie nie zuvor. Der Rückgang der Bevölkerungszahl, der sich aus dem Altersaufbau mit vielen älteren Menschen ergibt, wird nun erst später und vor allem in abgeschwächter Form ablaufen als lange Zeit prognostiziert.

Anstieg bei Geburten und Fertilität

Dazu hat auch die positive Geburtenentwicklung der letzten Jahre beigetragen. Wurden 2010 noch 678.000 Kinder geboren, so kamen 2019 gut 778.000 auf die Welt. Die gute wirtschaftliche Gesamtlage hat den finanziellen Spielraum vergrößert und Familien mehr Planungssicherheit gegeben. Zudem haben weitere Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Zuzug ausländischer Frauen das Fertilitätsniveau in Deutschland begünstigt.

Bemerkenswert ist der anhaltende Trend, dass Frauen immer später Mütter werden. Zur Beschreibung des Geburtengeschehens eignet sich deshalb am besten die Zahl der Kinder, die Frauen im Laufe ihres Lebens bekommen haben: „Wenn man die endgültige Kinderzahl betrachtet, haben die im Jahr 1968 geborenen Frauen mit durchschnittlich 1,49 die wenigsten Kinder aller Jahrgänge bekommen. Frauen aus dem Geburtsjahrgang 1975 weisen mit etwa 1,58 hingegen wieder eine höhere Kinderzahl auf“, erklärt Prof. Dr. Norbert F. Schneider, Direktor des BiB, den Anstieg.

Alterung bleibt der beständige Trend

Die Alterung der Bevölkerung bleibt aus demografischer Sicht der beständige Trend für die kommenden Jahre. Die Zahl der Senioren ist größer geworden und wird in kommenden Jahren durch den Eintritt der Babyboomer in das Rentenalter weiter wachsen. Dadurch ist der ökonomische Altenquotient, der die Zahl der Ruheständler in Relation zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter setzt, über die letzten Jahrzehnte stetig angestiegen. Damit geht aber nicht zwangsläufig ein höherer Anteil der Nichterwerbstätigen einher, wie Prof. Dr. Norbert F. Schneider erklärt: „Wir beobachten seit Jahren einen deutlichen Anstieg der Frauenerwerbsbeteiligung und eine Zunahme der Arbeitsmarktbeteiligung im Alter von 55 Jahren und mehr. Dadurch sind die Auswirkungen der Alterung auf den Arbeitsmarkt bisher geringer ausgefallen als vielfach befürchtet.“

Hinzu kommt, dass sich das Wohlbefinden älterer Menschen verbessert hat. So schätzen Personen im Alter zwischen 65 und 74 Jahren ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand besser ein als gleichaltrige Menschen zehn Jahre zuvor. Weitere wissenschaftliche Befunde deuten darauf hin, dass die Bewältigung des Alterungsprozesses zwar eine vielschichtige, aber in vielen Bereichen gut gestaltbare Aufgabe ist. Wesentlich dringlicher seien hingegen die Herausforderungen bei der Versorgung von Hochbetagten.

Regionale Unterschiede entscheidend

Stärkere Anstrengungen wird die Bevölkerungsentwicklung in regionaler Sicht erfordern. Viele demografische Entwicklungen verlaufen vor Ort in den Städten und Gemeinden sehr heterogen oder bewegen sich sogar gegensätzlich zum nationalen Trend. Während einige Regionen vom demografischen Wandel begünstigt werden, sehen sich andere mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert.

Regionen mit starker Abwanderung oder einer überdurchschnittlichen Bevölkerungsalterung müssen erhebliche Anstrengungen unternehmen, beispielsweise in Bezug auf die Gesundheitsversorgung, die Mobilität oder die Infrastruktur für Familien, Kinderbetreuung und Bildung. „Regionale Unterschiede sind für eine angemessene Gesamtbewertung der demografischen Entwicklung mitentscheidend und verdeutlichen, dass der demografische Wandel nicht nur auf Bundes- oder Landesebene, sondern insbesondere auch vor Ort bewältigt werden muss“, so Prof. Schneider.

Corona langfristig ohne Folgen?

Die Covid-19-Pandemie hat deutlich gezeigt, wie wichtig die wissenschaftliche Analyse von Bevölkerungsstrukturdaten für eine erfolgreiche Krisenbewältigung ist. Im Hinblick auf die langfristigen demografischen Folgen der Corona-Pandemie liegen gegenwärtig noch keine gesicherten Zahlen vor. Erfahrungen aus früheren Krisenzeiten lehren, dass wirtschaftliche Unsicherheiten meist mit einer sinkenden Geburtenhäufigkeit einhergehen. Aufgrund der staatlichen Unterstützung beim Kurzarbeitergeld dürfte sich der Rückgang jedoch in engen Grenzen halten. Auch die Sterbefallzahlen sollten nur wenig über den langjährigen Werten liegen, auch weil die Maßnahmen gegen das Corona-Virus zahlreiche Grippe-Tote verhindert hat.

Einzig die internationale Migration ist durch die geltenden Beschränkungen zunächst deutlich zurückgegangen. „Allerdings dürfte sich die Zuwanderung zu gegebener Zeit wieder dem Stand vor der Krise annähern“, meint Prof. Dr. Norbert F. Schneider vom BiB und fasst zusammen: „Es gibt gegenwärtig keine Hinweise darauf, dass die Pandemie langfristig einen stärkeren Einfluss auf die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben wird.“