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Da fliegen die Orangen und der Jecke wundert sich. Von Petra Fritz

Mag sein, daß der bekannteste (italienische) Karneval in Venedig stattfindet. Wer aber etwas Besonderes erleben will, sollte nach Ivrea reisen. Diese Kleinstadt im Piemont liegt in der Nähe von Turin und hat knapp 25.000 Einwohner. Zur Karnevalszeit herrscht dort – ähnlich Mainz, Köln oder Düsseldorf – Ausnahmezustand. Was es für das Spektakel braucht? Tonnenweise Orangen!! Sie sind die Hauptdarsteller und dienen als knallharte Wurfgeschosse. Unter den Anfeuerungsrufen tausender Zuschauer bewerfen sich hunderte Karnevalisten dabei gegenseitig mit den Früchten. Der Ursprung dieser Tradition geht zurück auf das frühe 19. Jahrhundert und soll an den Befreiungskampf gegen die napoleonischen Besatzer erinnern.

Bereits im Vorfeld sollte man also an unempfindliche Kleidung in rot oder orange (und eventuell das Tragen einer phrygischen Kappe, als Zeichen der Verbundenheit und Freiheit) denken oder einen sonstigen Kopfschutz tragen. Denn der Spaß kann auch mal schmerzhaft sein. Der absolute Höhepunkt des Carnevale d´Ivrea ist nämlich die „BATTAGLIA DELLE ARANCE“ bei der sich mehrere Teams von Wagen herab gegenseitig mit reifen Orangen bewerfen. Tausende von Apfelsinen werden dafür extra aus Kalabrien und Sizilien geliefert. Und diese Orangen sind wirklich spitze, sie sind saftig, aromatisch und von hohem Zuckergehalt. Wird man am Kopf getroffen und die Orange zerplatzt, braucht man für lange Zeit keinen Haarlack mehr. Innerhalb weniger Minuten fühlen sich die Haare wie ein Zuckerhelm an und riechen stundenlang köstlich nach Orangen.

Als Zuschauer kann man sich zwar hinter diverse Netze flüchten, aber mittendrin macht es einfach mehr Spaß. Allein beim Ortswechsel der Schlachtwagen von einer Piazza zur anderen muß man eben ein paar Querschläger in Kauf nehmen – wupps, trotz Wegduckens hat mich prompt eine an der Schläfe, eine andere am Oberarm getroffen.

An der Orangenschlacht selbst nehmen fantasievoll geschmückte Wagen teil, deren Lenker die Soldaten des damaligen Herrschers symbolisieren. Sie werden von den Orangenwerfern, die für das aufständische Volk stehen, gnadenlos unter Beschuss genommen. Wie gesagt: Trotz der Helmen der Apfelsinenkrieger und den Schutznetzen für die Zuschauer sollte man stets aufmerksam sein und genau beobachten, wo gerade die Post abgeht bzw. die Orangen los sind.

Der seltsame Brauch stammt aus dem Mittelalter, als ein Tyrann – ein gewisser Marchese del Monferrato – die Bewohner der Stadt mit Gewaltherrschaft und individuellen Misshandlungen quälte; er sich u.a. das „Recht der ersten Nacht“ nahm. Angeführt von einer Betroffenen („Violetta, die Tochter des Müllers) kommt es schließlich zum Aufstand und die Bewohner der Stadt vertreiben den grausamen Feudalherren durch diverse Wurfgeschosse. Zur Erinnerung an ihren Sieg und Symbol der Freiheits-Revolte werden deshalb zur Karnevalszeit heute noch die vorbeiziehenden Wagen attackiert. Im Mittelalter wurden jedoch Bohnen statt Orangen benutzt. Tatsächlich erhielten arme Familien zweimal im Jahr einen Topf Bohnen als Geschenk vom Feudalherrn. Eine Geste, die nicht allzu sehr geschätzt wurde, denn als Zeichen der Verachtung warfen sie diese Bohnen auf die Straße oder verwendeten sie schließlich im Karneval als „Kugeln“ zur Attacke auf die vermeintlichen Gegner.

Aber zurück zu den Orangen: Die Schlacht wie sie heute inszeniert wird, geht ins neunzehnte Jahrhundert zurück, als vorzugsweise Mädchen sie während des Karnevalsumzugs von den Balkonen zusammen mit Konfetti, gezuckerten Mandeln, Lupinen und Blumen zu werfen pflegten. Der Grund? Die Aufmerksamkeit der jungen männlichen Umzugsteilnehmer auf sich zu ziehen! So wurde aus der Spaß-Geste ein scherzhafter Zweikampf. Zwar gab es immer wieder Versuche diese Balkon-Duelle und das Kopf-an-Kopf-Rennen zu unterbinden, jedoch gelang es erst nach dem zweiten Weltkrieg mit der Gründung der ersten „Orangenwerfer-Mannschaften“ den „Kampf“ nach den heutigen Regeln gesittet ablaufen zu lassen. Ursprünglich waren es die Abbà, die Oberhäupter, der einzelnen fünf Stadtteile, die bis 1808 fünf verschiedenen Karnevals organisierten. Als Erkennungszeichen trug jede von ihnen ein Schwert mit einer Orange am Ende, die an den abgetrennten Kopf des Tyrannen erinnern sollten oder ein Brot, das auf einem Spieß steckte. Eine weitere sehr wichtige historische Figur des Karnevals ist die des „Generals“, der besagte Violetta im historischen Umzug begleitet, gekleidet in ihrer napoleonischen Armeeuniform und Symbol der städtischen Autorität. Wie auch immer: Die Siegermannschaft wird am Faschingsdienstag geehrt und am Aschermittwoch findet abschließend ein traditionelles Essen mit Fisch und Polenta statt.

Das Treiben und die Stimmung kann man nicht beschreiben, das muss man erlebt haben !

Der Carnevale d´Ivrea findet jährlich über sechs Tage hinweg statt; das nächste Mal wieder vom unsinnigen Donnerstag bis Faschingsdienstag (08. bis 13.02.24). Höhepunkte werden auch dann wieder die berühmten Orangenschlachten, die „Battaglie delle Arance“ sein, welche am Faschingssonntag beginnen und über drei Tage hinweg mit wechselnden Attraktionen andauern.

Eine ähnliche Veranstaltung findet seit Sommer 1945 in bzw. nahe Valencia in Spanien statt, und zwar stets am letzten August-Wochenende. Bei der sog. „TOMATINA“ fliegen statt der Orangen dann tausende von Tomaten.

Eine persönliche Anmerkung: Wer Bedenken hat, die genannten Lebensmittel als Gaudielemente einzusetzen, der sollte diesen Brauchtumsveranstaltungen ganz einfach fernbleiben. Besserwisserisches Geschwätz darüber was, wann, wo heute opportun oder politisch korrekt ist, braucht dort keiner. Und erst recht keinen Fingerzeig von Ausländern.

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer und Locarno. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US-Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg und in Folge 12 Jahre im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb) tätig, davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Von 2002 bis 2022 war Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für verschiedene Amtsgerichte in der Vorderpfalz. Seitdem widmet sie sich verstärkt ihrer Coaching- und Autorentätigkeit.

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Teilnehmerin bei der Profi-WM 1978 und Top 10 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten agiert sie seit 2012 auch als semi-professional Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“.

Petra Fritz hat das Buch „Mittendrin statt nur dabei“ veröffentlicht.

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