Demografie und Politik in DNEWS24

Bundesfinanzministerium: Der Sozialstaat ist nicht mehr zu finanzieren

Experten warnen schon lange: die Sozialstaatsausgaben sind für die nachfolgenden Generationen nicht mehr zu finanzieren. Jetzt schlägt auch das Bundesfinanzministerium Alarm. Die Zahlen im Tragfähigkeitsbericht 2024 sind dramatisch.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat dem Bundeskabinett heute den Sechsten Bericht zur Tragfähigkeit der Öffentlichen Finanzen vorgelegt. Damit informiert das BMF einmal pro Legislaturperiode über die langfristige Entwicklung der öffentlichen Finanzen. Die Projektionen schreiben die demografiebedingten Ausgaben des gesamtstaatlichen Haushalts unter verschiedenen Annahmen fort. Der Sechste Bericht zeigt: Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen ist gefährdet.

In Deutschland setzt sich der demografische Alterungsprozess weiter fort. Den jüngeren Jahrgängen steht eine sehr große Babyboomer-Generation gegenüber. Bedingt durch den altersbedingten Austritt der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt zeigt sich schon heute, dass der Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter mit einem Anstieg der Bevölkerung im Ruhestand einhergeht. Tendenz steigend.

Die Ergebnisse des Sechsten Tragfähigkeitsberichts zeigen deutlich, dass der demografische Wandel unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen nicht mehr gewährleistet.

Die alterungsbedingten öffentlichen Ausgaben könnten bis zum Jahr 2070 unter ungünstigen Bedingungen von 27,3 % des BIP in 2022 auf 36,1 % in 2070 steigen. Unter günstigen Bedingungen erreichen sie bis zum Jahr 2070 30,8 % des BIP. Die steigenden Ausgaben werden zu einem Anstieg der gesamtstaatlichen Finanzierungsdefizite führen. Unter günstigen Annahmen könnte der Schuldenstand nach den Projektionen bis zum Jahr 2070 auf rund 140 % des BIP steigen, unter ungünstigen Annahmen auf sogar rund 365 % des BIP. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Projektionen die verfassungsrechtliche Schuldenregel unberücksichtigt lassen.

Die fiskalische Tragfähigkeit hat sich damit im Vergleich zum vorangegangenen Tragfähigkeitsbericht aus dem Jahr 2020 trotz günstigerer Bevölkerungsvorausberechnung dramatisch verschlechtert. Die Tragfähigkeitsrisiken konzentrieren sich dabei vor allem auf die Bundesebene. Das ergibt sich sowohl aus der Verantwortung des Bundes für die Liquidität der Sozialversicherungen als auch durch direkte Effekte für den Bundeshaushalt. Die Finanzen der Länder und Gemeinden sind hingegen insgesamt weniger stark von der demografischen Alterung betroffen.

Die Verschlechterung der Tragfähigkeit im Vergleich zum letzten Bericht ist unter anderem die Folge einer verschlechterten Ausgangslage der deutschen Wirtschaft und der öffentlichen Finanzen infolge der jüngsten Krisen sowie verschleppter Reformen der Sozialsysteme.

Christian Lindner fordert Strukturreformen

Der sechste Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sei ein Beleg dafür, dass strukturelle Reformen unabdingbar sind, um die Zukunftsfestigkeit der öffentlichen Finanzen zu sichern. Die Berechnungen senden ein deutliches Signal für strukturelle Veränderungen in allen relevanten Politikbereichen, so das Bundesfinanzministerium

Kurz- und mittelfristig müssten mit einer konjunkturgerechten Haushaltskonsolidierung fiskalische Puffer wiederaufgebaut werden, um künftige Krisen überwinden und Spielräume für die Finanzierung von Zukunftsaufgaben erarbeiten zu können. Daneben sei es Aufgabe einer effizienten und vorausschauenden Finanzpolitik, die Qualität der öffentlichen Finanzen durch einen effizienten staatlichen Mitteleinsatz zu verbessern und so zur Dynamisierung der wirtschaftlichen Entwicklung und Stärkung der Tragfähigkeit beizutragen.

Zur Sicherung der Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen seien Strukturreformen erforderlich, die der alterungsbedingten Ausgabenentwicklung entgegenwirken und die gesetzlichen Sozialversicherungen zukunftsfest machen: Zum einen durch eine stärkere Ausschöpfung des inländischen Erwerbstätigenpotenzials, indem Anreize für einen längeren Verbleib im Arbeitsleben und für eine weiter steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen verbessert werden. Zum anderen durch eine erleichterte Zuwanderung für qualifizierte Fachkräfte und schnelle Integration in den Arbeitsmarkt.

Im Bereich der Altersvorsorge bedürfe es darüber hinaus gezielter Reformen. Das BMF leite mit dem Generationenkapital dafür einen ersten wichtigen Schritt ein. Erstmals wird die Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung um eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt. So werde ein von der demografischen Entwicklung in Deutschland weitestgehend unabhängiger, langfristiger Finanzierungsbaustein aufgebaut. Weitere Schritte und Verbesserungen, etwa bei der privaten Vorsorge, bleiben notwendig. Unerwähnt bleibt, dass das Generationenkapital selbst schuldenfinanziert ist und so die Bürde für die nachfolgenden Generationen sogar noch anwächst.

Auch im Bereich Gesundheit und Pflege sei mit Blick auf die langfristige Tragfähigkeit künftig noch stärker darauf zu achten, den demografisch bedingten Anstieg der Gesundheitsausgaben, insbesondere über das Heben von Effizienzpotenzialen zu begrenzen.

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel fordere die Regierung fortlaufend auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den aus dem demografischen Wandel resultierenden steigenden Ausgaben zu begrenzen.

DNEWS24 stellt den sechsten Bericht zur Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zum Download zur Verfügung.


Bild: Jason Dent unsplash

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