Es ist unfassbar. Und es bleibt unfassbar – auch nach der hervorragend editierten Lektüre des Dienstkalenders von Heinrich Himmler aus den Jahren 1943 bis 1945. Unfassbar bleibt das unermessliche Leid, dass der Reichsführer SS über den jüdischen Teil der Bevölkerung Europas, das von der Wehrmacht besetzt war, brachte. Und natürlich über die Juden in Österreich und Deutschland.

Wer war Heinrich Himmler? Geboren 1900 in einem bildungs-affinen gutbürgerichen Milieu war 33 Jahre alt, als er – nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten – zunächst Polizeipräsident in München und bis 1936 dann Chef aller Polizeien im Reich wurde. Die Geheime Staatspolizei, die Hermann Göring als Innenminister in Preussen aus der Politischen Polizei der Weimarer Republik geformt hatte, ging schon 1934 in seine Verfügung über. Ebenso wie das System der Konzentrations-Lager, in denen politisch unliebsame oder homosexuelle Bürger gesperrt wurden.

Ende der 1930iger Jahre begann Himmler, eine „Verfügungs-Truppe“ aufzubauen, die eine dem Heer ähnliche, oft aber besser ausgerüstete Kampfgruppe war, die gemäß „Führererlass“ vom August 1940 der Kern dessen bilden sollte, was später, nach dem Endsieg, eine dem Führer direkt unterstehende, elitäre Staatspolizei zur nachhaltigen Unterdrückung der Bevölkerungs-Gruppen dienen sollte, die weder Reichs- noch Volksdeutsche waren. Diese nur nach innen wirkende Einheit hatte damit eine ähnliche Stellung, wie die Nationalgarden der Bundesstaaten der USA, die staatspolizeiliche Aufgaben im Auftag des jeweiligen Gouverneurs übernehmen.

Ebenfalls Ende der 1930iger Jahre begann die gezielte und systematische Vernichtung von Leben. Das Euthanasie-Programm T4 -benannt nach der Adresse des zuständigen Amtes in der Tiergartenstrasse 4 in Berlin – erfasste und tötete sogenanntes unwertes Leben. Aufgrund des anschwellenden Protestes der Bevölkerung gegen diese Massnahmen, wurde das Programm recht schnell wieder eingestellt. Weniger oder gar keinen Protest gab es gegen die massenhafte Abschiebung von deutschen und österreichischen Juden in neugeschaffene Lager auf dem Gebiet vornehmlich Polens, die dann ab 1942 zu Todesfabriken um- und ausgebaut wurden. Exekutiv waren hier Leute wie Berger, Pohl, Wolff und viele andere führend beteiligt. Es bleibt sehr erstaunlich, dass längst nicht alle, nicht mal die meisten dieser Männer, nach dem Krieg verurteilt oder gar hingerichtet wurden…

Ab 1943 war Himmler dann auch zum Innenminister des Deutschen Reiches berufen worden. Seine Polizei- und Ordnungskräfte erfassten das gesamte Gebiet des von der Wehrmacht besetzten Europa, da hinter der Frontlinie die SS für die Herstellung und Garantie von Ruhe und Ordnung zuständig war. Banden- und Partisanen-Bekämpfung – oder das, was dafür ausgegeben wurde – erfolgte mit großer oder gar größter Brutalität, immer wieder angefeuert von Himmler.

Ab Sommer 1944 war Himmler schließlich zum Befehlshaber des 2 Millionen Soldaten umfassenden Ersatz-Heeres der Wehrmacht ernannt worden. Seine Karriere als Befehlshaber von Heeres-Gruppen im Elsaß oder Warthegau verlief hingegen erfolglos und unrühmlich; sie dauerte daher auch nur wenige Wochen.

In den letzten Monaten des 2. Weltkrieges tolerierte Himmler Kontaktversuche seines Intimus Wolff mit den US-Streitkräften zur Übergabe Italiens an die Alliierten. Er selbst verhandelte mit dem Roten Kreuz über die Entlassung von jüdischen Häftlingen aus Konzentrations-Lagern. Angeblich soll er auch Verhandlungen zu einem Waffenstillstand gegenüber den USA und Großbritannien gewollt oder geführt haben mit dem Ziel, gemeinsam mit den Westalliierten und der Wehrmacht die Rote Armee zurückzudrängen. Hitler jedenfalls glaubte in seiner abgeschotteten Bunker-Welt diesen Meldungen und entliess Himmler, drei Tage vor seinem Selbstmord und 10 Tage vor der Kapitulation der Wehrmacht, aus allen Ämtern.

Auf das Konto von Himmler – egal, welchen Befehl Adolf Hitler gab oder nicht gab – gehen 6 Millionen fabrikmäßig ermordete Juden in Europa. Viele Tausend Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle, Sinti, Roma oder einfach nur solche, die im Verdacht standen, „missliebig“ zu sein. An Tausenden von Menschen wurden durch Josef Mengele und viele andere Ärzte der SS medizinische Versuche durchgeführt, Hunderttausende wurden umgesiedelt oder zur Arbeit in bestimmten Betrieben oder Ländern gezwungen. Mit dem „Lebensborn“ wurde eine humane Zuchtanstalt etabliert, riesige Vermögenswerte wurden verschoben.

Dienstkalender

Das vorliegende Buch basiert auf Quellen, die erst jüngst in geheimen russischen Archiven aufgespürt wurden. Die oft dürren Notizen werden von den Herausgebern aufgefüllt mit Hintergrund- und Verlaufs-Informationen, die die Notizen oft erst verständlich machen. Ein Interview zu dieser Arbeit mit dem Historiker Dieter Pohl können Sie hier nachlesen: https://www.deutschlandfunk.de/himmlers-dienstkalender-eines-der-wichtigsten-dokumente-zur.694.de.html?dram:article_id=474330.

DNEWS24-Podcast zum Buch „Dienstkalender“

Details zum Buch

• Herausgegeben von: Martin Holler, Jean-Luc Leleu, Dieter Pohl, Thomas Pruschwitz, Matthias Uhl
• Verlag: Piper
• Seiten: 1.152
• EAN 978-3-492-05896-4
• Preis: 48,00 Euro