„Bonjour Nachbar“ – Corona-Grenzerfahrungen und Lockerungs-Übungen

In dieser Woche wollen die Bundesregierung und die EU-Kommission über das aktuelle Corona-Grenzregime beraten. Wie es aktuell an der deutsch-französischen Grenze aussieht berichtet Petra Fritz.

Seit 1985 galt in vielen Ländern der EU Reisefreiheit für die Bürger. Seit März 2020 wurden wegen der COVID-19-Pandemie zahlreiche Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen. Es ist Anfang Mai 2020 und ich möchte einmal persönlich hören, wie die Menschen, die tägliche Grenzgänger sind, mit der Situation umgehen.

Wer mich kennt weiß, daß ich nicht so schnell aufgebe. Warum nicht trotz Grenzschließung hinfahren, ein wenig das regionale Flair genießen und Solidarität mit dem Elsaß zeigen, das im Süden bei Mulhouse überdurchschnittlich stark von der Coronavirus-Pandemie betroffen ist. Zudem gilt hier nach wie vor noch im Rahmen der Ausgangsbeschränkung in Frankreich die Zeitregel von einer Stunde täglich für Spaziergänge und Erledigungen im Radius von nur einem Kilometer um die eigene Wohnung; ansonsten droht ein Bußgeld von mindestens 135,00 EUR.

Spontan entscheiden wir uns für DEN deutsch-französischen Doppelort überhaupt: das zusammen nur 1.500 Einwohner zählende Scheibenhard/t (nahe Landau bzw. Karlsruhe). Konkret heißt das: ein Dorf – zwei Nationalitäten, nur durch das Flüsschen Lauter getrennt. Seit 1993 gab es hier keine Grenze mehr, d.h. die Schranke ist offen festgenietet und die Einwohner verstehen sich als unerschütterliche Gemeinschaft.

Was sich so tut, kann man regelmäßig im gemeinsamen Ortsmagazin lesen. Dabei leben hier keine Hinterwäldler, sondern z.B. ein Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und eine olympische Hochspringerin. Mehr Informationen: http://www.scheibenhardt.de/index.php/scheiweda-blaettel)

Bei unserer Ankunft sehen wir schon von weitem das rot-weiße Sperrgitter samt Durchfahrtsverbot-Schild. Flatterbänder und Plastikketten rechts und links schließen die Lücken. Polizei – wie im drei Kilometer entfernten Lauterbourg – ist jedoch nicht in Sicht. Beim näher kommen bemerken wir dennoch drei Personen hinter der Grenzsperrung auf der französischen Seite der Brücke. Einer davon ist Francis Joerger, der elsässische Bürgermeister, der etwas resigniert ein Interview gibt und sich dabei bereitwillig fotografieren läßt. Wir kommen kurz in’s Gespräch.

Seine Wut auf das hässliche Sperr-Ding in der Mitte des Ortes ist offensichtlich und er bereut, es bei Nacht nicht schon längst zusammen mit den Bürgern (aus Protest) in’s Wasser geworfen zu haben. Selbst wenn das alles Mal vorbei sein sollte, sieht er keinen Anlaß für ein (Freunde-)Fest. Der Frust sitzt tief und es handelt sich mittlerweile doch eher um eine multiple Depression. Irgendwie symptomatisch, denn auch die sonst mit Pflanzen geschmückten Blumenkästen der „Ville Fleurie“ am Brückengeländer sind leer und das Ambiente sieht trotz Sonnenschein traurig aus.

Er sagt weiterhin: Immerhin könnten so nun auch mal die jüngeren Leute erleben, was Grenzen bedeuten und wie das Leben vor „Schengen“ war. Am  Mai-Feiertag habe man in Zusammenarbeit mit der „Pamina“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Eurodistrikt_PAMINA) eine kleine Protestaktion organisiert, aber … er zuckt die Schultern, wendet sich ab. Auch das deutsch-französische Brückenfest, das dieses Jahr zum 25. Mal zum Ende seiner Amtszeit stattfinden sollte, ist bereits abgesagt und die ist Stimmung miserabel.

Plötzlich bemerken wir einen älteren Radfahrer, der aus Frankreich kommend, einfach unter dem Absperrband durchschlüpft und dann ganz selbstverständlich auf deutscher Seite weiterfährt. Für einen Moment schauen wir etwas verdutzt, hatten so etwas aber fast schon erwartet. Ein gewisser Widerstand ist aufgrund der politischen Wirren der letzten 100 Jahre einfach typisch für diese Region und es ist eher erschreckend, wie schnell man sich an die „befremdliche Normalität“ gewöhnt. Nach einigen Minuten folgen weitere Radler. Bravo, es gibt die deutsch-französische Freundschaft und Unbefangenheit also noch! Es sei aber angemerkt, daß zwei jüngere deutsche Radfahrer angesichts des Schildes (brav) unvermittelt kehrt machten.

Mittlerweile ist eine Kleinfamilie aus dem französischen Ortsteil dazugekommen. Man unterhält sich in drei Sprachen, denn die Mutter ist Deutsche (pendelt zur Arbeit bei DM täglich auf die deutsche Seite, ist aber gerade in Mutterschutz), die Tochter Französin, der Vater ursprünglich Portugiese.

Im Gespräch stellt man schnell fest, daß es zwar das gleiche Virus ist, die Schutz- und Entschädigungsmaßnahmen etc. aber überall anders behandelt werden. Was bleibt ist gemeinsames Kopfschütteln, weil Vieles der Polit-Akteure zwar Bemühungen erkennen läßt, letztlich aber für die Bürger nur wenig Sinn macht. Immerhin kennt diese Familie überhaupt jemanden, der gesundheitlich von Corona betroffen ist/war. Angeblich hätte sich der besagte Bekannte, der in Baden-Württemberg auf deutscher Seite arbeite, dort infiziert. Nun denn …

Es stellt sich heraus, daß der mehrsprachige, anwesende Journalist zwar in Paris lebt, aber eigentlich Spanier ist und für „El Pais“ arbeitet. Zusammen mit seinem Fotografen Bruno Arbesu ist er entlang der französischen Grenze unterwegs, um an den Schlagbäumen den Problemen der Menschen nachzuspüren bzw. deren „Corona-Geschichten“ zu hören und darüber zu schreiben. Beim Abschied notiert er in seinem kleinen Notizbuch noch schnell unsere Namen und reicht spontan seine Visitenkarte rüber. Auch wir lächeln noch einmal in die Kamera. Es war es ein denkwürdiges Zusammentreffen.

Als ich zu Hause seinen Namen „Marc Bassets“ im Netz recherchiere, folgt die eigentliche Überraschung: denn unser angenehmer Gesprächspartner ist ein international renommierter Reporter, der schon von den „Hotspots“ dieser Welt berichtete und so manchen Prominenten einschließlich den französischen Präsidenten Macron interviewte. U. a. war er Chef-Korrespondent in Brüssel, New York und Washington. Davon abgesehen ist er in vielen Genres zu Hause und überdies auch Buchautor („Otoño Americano“).

Fazit: Licht und Schatten

Mag sein, daß die „Corona-Pandemie“ an der deutsch-französischen Freundschaft nagt, erliegen aber wird sie ihr – so wie wir die Stunde in Scheibenhard/t erlebt haben – mit Sicherheit nicht. Kopf hoch, Monsieur Le Maire !

ALLERDINGS: Natürlich hatten wir auch gehofft, in „Deutsch-Scheibenhardt“ mal wieder ein original französisches Baguette oder Galette kaufen zu können. Erstaunt mußten wir jedoch feststellen, daß die auf deutscher Seite gelegene französische Bäckerei „La Minzbrueck“ geschlossen hatte. Auf Nachfrage erklärte man uns: der Bäcker und Inhaber Jean-Luc M. sei Franzose und verkaufe französische Ware (zubereitet mit französischen Basisprodukten). ÄH …? Egal was sich unsere (Landes)-Regierung von einer solchen Maßnahme verspricht (?), ich persönlich bezeichne es nicht nur als fragwürdig inkonsequent, sondern auch als individuelle Ausgrenzung !!! Die besagte Bäckerei gibt es seit Jahren und sie liegt keine 100 Meter von der Grenze bzw. dem „reißenden Grenzbach Lauter“ entfernt, der kaum vier Meter breit und einen halben Meter tief – offensichtlich aber doch gefährlich – ist.

Ich wundere mich in vielerlei Hinsicht über gar nichts mehr.