100 Minuten mit Carla del Ponte

Die Juristin und Diplomatin Carla Del Ponte war Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien und den Völkermord in Ruanda. Eine persönliche Begegnung von Petra Fritz mit der 75jährigen Tessinerin.

Energischen Schrittes strebt sie dem angestrahlten Podium entgegen und kneift beim Platznehmen in einem bequemen Sessel für einen Augenblick die Augen zusammen. Applaus brandet im gut gefüllten Kinosaal von PalaCinema in Locarno auf. Sie – Carla del Ponte hat hier Heimspiel und man braucht sie nicht vorzustellen. Jeder kennt sie – die ehemalige Chefanklägerin des internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag.

Inzwischen ist die in Lugano ansässige Tessinerin seit 2011 pensioniert bzw. war sie noch bis 2017 als Sonderbeauftragte für die UNHCR (Syrien) tätig. Obwohl, von solchen Posten (zuletzt war sie noch Botschafterin in Argentinien) geht man nicht einfach in den Ruhestand. Man verfolgt die aktuelle Szenerie. Will heißen den Ukraine-Krieg. Natürlich habe es eine erhöhte Brisanz, wenn man ein noch amtierendes Staatsoberhaupt anklagt.

Die inzwischen 75-Jährige del Ponte grüßt in ihrer Muttersprache Italienisch freundlich in die Runde und dankt für die Einladung durch die „Eventi letterari Monte Veritá“. Ja entschuldigt sich vorab sogar, jetzt um 17.30 Uhr nicht mehr so „frisch“ zu sein, da sie schon den ganzen Tag Presseinterviews gegeben habe.

Ich sitze ihr fast genau gegenüber, nur knapp vier Meter entfernt und halte für den Notfall meine Kopfhörer mit Simultanübersetzer bereit.

Erörterung der aktuellen Weltlage im Vergleich zu anderen Kriegsverbrechen

Der das Gespräch moderierende Journalist lenkt seine Fragen zunächst auf den Ukraine-Konflikt  und bittet um eine Einschätzung samt Vergleich. Sofort nimmt ihr Temperament Fahrt auf und vor jeder Antwort zeigt ihre Mimik samt kritischem Blick mit leicht gespitztem Mund schon wie es im Gehirn zu brodeln beginnt.

Ja, die Bilder im Fernsehen seien das eine. Aber dabei zu sein, wenn Leichen aus Massengräbern zur Obduktion oder Identifizierung nach Jahre wieder ausgegraben werden, (schon geruchsmäßig) das andere. Auch als taffe Frau stecke man das nicht so einfach weg. Besonders anstrengende Verhandlungs- und Inspektionstage habe sie nur mit regelmäßig 7-8 Stunden Schlaf durchgestanden.

Da sitzt eine Frau, die zu diesem Thema nicht nur höchst kompetent ist, sondern sich auch in vorangegangenen Positionen nie die „Butter vom Brot“ nehmen ließ. Von 1994-1998 war sie bspw. Bundesanwältin der Schweizer Eidgenossenschaft in Bern, was ungefähr dem General-Bundesanwalt in Karlsruhe entspricht. D.h. sie war schon vor ihrer Position in Den Haag die Frau für heikle Prozesse wie z.B. mafiöse Geldwäsche und organisierte Kriminalität. In diesem Zusammenhang sei sie als Unterstützerin des getöteten italienischen Richters Giovanni Falcone mindestens einem Mordanschlag entgangen.

Die einzelnen Stellungnahmen und Kommentare klingen für mich ziemlich erwartungsgemäß, insbesondere als auch sie die UN und USA nicht im besten Licht erscheinen läßt. Einzelheiten und Gründe kann jeder in ihren diversen Büchern nachlesen (teilweise fließen Tantiemen auch in Kinderhilfsprojekte nach Syrien). Als Autorin bezeichnet sie sich als Spätberufene. Sie habe teils nur geschrieben, damit nicht in Vergessenheit gerät, was alles unter ihrer Ägide getan, recherchiert und ermittelt wurde, oft aber nicht gehört werden wollte und vieles trotz hoher „Erfolgsquote“ im Sande verlief.

Im Falle des Jugoslawien-Tribunals waren beispielsweise 11.000 Prozeßtage angesetzt, wurden mehr als 4.000 Zeugen gehört, 2,5 Mio Beweisstücke gesichtet. Letztlich wurden 161 Personen angeklagt und 90 davon verurteilt, zwei Drittel davon Serben. Eines ihrer Bücher trägt den deutschen Titel „Ich bin keine Heldin“. In der Tat begreift sie sich nicht als solche. Sieht sich mit etwas schmunzelndem Understatement heute mindestens ebenso als gute
Großmutter.

Ferner befaßte sie sich mit Kriegsverbrechen in Ruanda und Syrien. Und auch beute würde sie sofort aufstehen und zeitnah im Ukraine-Konflikt tätig werden, nicht erst Jahre später wie in den Serbienprozessen gegen Milosević und Karadžićs (Srebrenica). Dabei macht sie allerdings auch deutlich, dass in der Opposition nicht immer die besseren Menschen sitzen (z.B. habe sie Ruanda nach dem Machtwechsel erst gar nicht mehr zu Untersuchungen der Völkermode an Tutsi und/ oder Huttu ins Land gelassen).

Wenn sie je etwas bedauert oder geärgert habe, dann war dies der Suizid von Milosević 2006 im Gefängnis. Alle Beweise hätten vorgelegen, tausende Seiten – und dann kam durch sein Ableben kaum mehr etwas davon zum Tragen; erfährt die Weltöffentlichkeit nur wenige grausame Details.

Die Rolle von UN und USA

Kritisch äußert sie sich zu Fragen über den tatsächlichen Stellenwert von UN und den USA, wobei letzte Nation alles dominiere. Die UN gehöre in ihren Strukturen gründlich modernisiert, wenn sie nicht zum Papiertiger verkommen will. Zwar haben beispielsweise die USA, Rußland und China das sog. Römische Statut unterzeichnet, aber eben nicht ratifiziert; d.h. nicht in ihren jeweiligen Ländern angenommen, so daß letztlich keine Verpflichtung entsteht. In Deutschland haben Bundestag und Bundesrat von von herein verpflichtend zugestimmt. Beim UN-Sicherheitsrat mit fünf ständigen und zehn flexiblen Mitgliedern, verhindert schon ein einzelnes Vetorecht jegliches Handeln. Etc.

Del Ponte umschreibt die UN-Situation an einer Stelle nett, aber nicht minder zynisch in etwa so: „Da sitzen in New York“ 4.000 Leute, sie kommen um 08.00 Uhr und um 09.00 Uhr ist schon wieder Kaffeepause. Viele haben nichts zu tun, etc.“

Im Fortgang antwortet sie dezidiert auf die Fragen des sich selbst sehr zurücknehmenden Moderators. Manchmal vergewissert sie sich durch Nachfrage, ob die gegebene Antwort der Frage entsprach. Da ist sie ganz Staatsanwältin. Messerscharf. Kurz und knapp geht es um gezielte Statements. Keine Zeit verschwenden.

Einige Male aber bringt sie den Saal auch mit kuriosen Momenten zum Schmunzeln. Dann ist sie mehr Privatperson und läßt persönliche Einblicke zu.

So berichtet sie u.a. von einem Inspektionsflug in Kolumbien, wo ihr Hubschrauber beschossen wurde und der Bodygard wie paralysiert erstarrte. Auf ihre Aufforderung hin doch endlich zur Verteidigung zurückzuschießen, stotterte dieser nur „was soll ich denn dann in den Bericht schreiben?“. Darauf sie zum Publikum: da bleibt einem doch gar keine Zeit mehr Angst zu haben, oder? Sie bringt es wie immer auf den Punkt.

„Mit der Zeit wird die Grausamkeit zum Alltag. Das ist, so traurig es klingt, eine notwendige Voraussetzung für die Arbeit in der Anklagebehörde. Es stand stets ein Psychologe für Zeugen und Mitarbeiter ihrer Abteilung parat; in welchem Maße diese Hilfe angenommen wurde, wisse sie allerdings nicht.

Der Abend endet mit „Standing Ovations“ bzw. Respektbekundung in jeglicher Hinsicht für das „Lebenswerk“ einer starken Frau. Ihre Bücher lesen sich gut und sind für jedermann verständlich formuliert. Ihr ganzer Werdegang liest sich wie ein Krimi und hält viele Hintergrundinformationen parat (https://de.wikipedia.org/wiki/Carla_Del_Ponte).

Sie hat viel erreicht und dennoch zeigt sich tief in ihr ein wunder Punkt, eine gewisse Resignation, wenn sie sagt: „Es wäre viel mehr möglich, die Politik müßte es nur wollen“.

Als mein Mann (ebenfalls Jurist) sie bei der Signierung abschließend um den Eintrag „Für die Gerechtigkeit bzw. per la giustitzia“ bittet, entgegnet die Vielsprachige del Ponte: „in Italienisch werde sie dieses nicht schreiben“. Ein jeder mag seine eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Petra Fritz

Die Autorin ist von Beruf Dipl-Kfm (Uni Mannheim), Jahrgang 1960, verheiratet, wohnhaft in Speyer am Rhein. Sie war 4 Jahre Personalleiterin bei den US- Streitkräften (AAFES) in Stuttgart und Heidelberg, in Folge 12 Jahre tätig im Pharma-Management von BASF (Auslandsvertrieb), davon 18 Monate bei der Tochtergesellschaft Quimica Knoll in Mexico.

Seit 2002 ist Petra Fritz selbständige rechtliche Berufsbetreuerin (Vormund) und Verfahrenspflegerin für die Amtsgerichte Speyer, Ludwigshafen und Germersheim (teils ehrenamtliche Fallberatung).

Privat war Petra Fritz Leistungssportlerin im Eis- und Rollkunstlauf (u.a. Profi-WM 1978 und 1979), später 14 Jahre lang Vize-Präsidentin des Rheinland-pfälzischen Eis- und Rollsportverbandes sowie Repräsentantin „Frau im Sport“. Heute ist sie in der Freizeit gerne auf dem Wasser und auf Ski unterwegs. Ansonsten vielseitig interessiert und seit 2012 auch wieder semi-professional als Bestager-Model, Darstellerin, Moderatorin und Bloggerin für „Topagemodel.de“ tätig.

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