Was läuft schief bei der Pflege?

Nie zuvor stand der Pflegeberuf so im Fokus der Öffentlichkeit wie jetzt während der Corona-Pandemie. Deutschland diskutiert die Frage, was gute Pflege kosten darf. Bringt die Corona-Krise die Pflege-Wende?

40 Stunden arbeitet eine Vollzeit-Altenpflegefachkraft pro Woche. Am Ende des Monats bekommt er brutto etwa 2.400 Euro. Das liegt fast 1000 Euro unter dem mittleren Einkommen von Fachkräften in Deutschland. Im Westen sieht es bei der Bezahlung von Altenpflegern zwar etwas besser aus, aber auch dort sind die Gehälter unterdurchschnittlich.

Nie zuvor stand der Pflegeberuf so im Fokus der Öffentlichkeit wie jetzt

“Beifall ist schön, aber mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen wären mir lieber”, so reagierte eine Altenpflegerin bei Facebook auf die gut gemeinte Aktion von Bürgern in der Corona-Krise und erhielt dafür viel Zustimmung von ihren Kollegen. Schon seit über zehn Jahren diskutiere das Land über den Pflegenotstand, doch passiert sei bisher nichts, schlossen sich andere Altenpfleger der Kritik an.

Bringt die Corona-Pandemie eine Wende im Bewußtsein der Öffentlichkeit? Nie zuvor stand der Pflegeberuf so im Fokus der Öffentlichkeit wie gerade jetzt, wo Pflegeheime zu Hotspots der Coronavirus-Pandemie wurden und gerade dort viele Tote zu beklagen sind. Das Land diskutiert intensiver denn je über die Frage, was gute Pflege wert ist, wie sich der Fachkräftemangel in dieser immer wichtiger werdenden Branche beheben lässt und wer das dann alles bezahlen soll.

Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dafür zu sorgen, dass “Tarifverträge in der Altenpflege flächendeckend zur Anwendung kommen”. Die Frage ist, warum erst jetzt. Schließlich reden Insider schon lange von einem Pflegenotstand.

Die Branche ist kleinteilig, stark zersplittert und somit unübersichtlich. Es gibt mehr als 14.000 Heime und 13.000 ambulante Pflegedienste, in denen mehr als 1,1 Millionen Beschäftigte arbeiten. Auf dem Markt arbeiten gemeinnützige Anbieter wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO) oder das Deutsche Rote Kreuz (DRK), kirchliche Träger wie die Caritas oder die Diakonie, kommunale Betriebe und private Unternehmen.

Beschäftigte in der Pflegebranche mit extrem hoher Teilzeitquote

Zu den Besonderheiten der Pflegebranche zählt, dass kaum eine Pflege-Kraft gewerkschaftlich organisiert ist. Experten erklären das unter anderem mit der Einstellung der überwiegend weiblichen Pflegekräfte zu ihrem Beruf: Viele betrachteten das Eintreten für die eigenen Rechte als möglichen Verrat an den Hilfsbedürftigen, die sie betreuen. Hinzu kommt eine extrem hohe Teilzeitquote von rund 70 Prozent. Der niedrige Organisationsgrad führt dazu, dass bisher lediglich ein Fünftel der Beschäftigten tarifvertraglich vereinbarte Arbeits- und Entgeltbedingungen haben. Das sind in der Regel nur jene, die bei kommunalen und gemeinnützigen Heimen und Diensten angestellt sind.

Nach dem Willen der Bundesregierung soll sich das ändern. Bis zu 3.000 Euro Gehalt für eine Vollzeitkraft – das sollte auch in der Altenpflege möglich sein, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bereits im Herbst 2018 formuliert. Die gesetzlichen Grundlagen für flächendeckende Tarifverträge haben Union und SPD 2019 Jahr geschaffen. Muster soll die Bau-Industrie sein: Arbeitgeber und Gewerkschaft verhandeln einen Tarifvertrag für einen Großteil der Beschäftigten, der dann per Beschluss der Regierung auf die gesamte Branche ausgeweitet wird.

Auf Seiten der Arbeitgeber fehlte zunächst ein Verhandlungspartner für einen Tarifvertrag. Die Arbeitgeber der privaten Einrichtungen fallen aus, da sie Tarifverträge strikt ablehnen. Die kirchlichen Träger, die ein weiteres Drittel aller Einrichtungen betreiben, schließen grundsätzlich keine Tarifverträge ab, weil die Kirchen nicht dem normalen Arbeitsrecht unterliegen, sondern den sogenannten dritten Weg praktizieren. Er sieht kein Streikrecht vor und kennt auch keine unabhängige Schlichtung.

Nach langwierigen Verhandlungen gelang es einen neuen Arbeitgeberverband zu gründen, der Pflegeanbieter und Wohlfahrtsorganisation wie den Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB), die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Volkssolidarität und den Paritätischen Gesamtverband vertritt. Caritas und Diakonie sind über ein spezielles Konsultationsverfahren auch mit einbezogen.

Der Verband verhandelt nun seit Herbst 2019 mit der Gewerkschaft Verdi über einen bundesweiten Tarifvertrag. Bisher gab es vier Runden, ein Abschluss soll bis zum Sommer 2020 erreicht werden. Die Krux: Ein Tarifvertrag muss nicht nur von den Kirchen mitgetragen werden. Er braucht auch die Unterstützung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), weil er den Tarifvertrag dann für allgemeinverbindlich erklären kann. Die privaten Arbeitgeber haben bereits angekündigt, gegen eine Ausweitung auf die gesamte Branche bis vor das Verfassungsgericht zu ziehen.

Ende Januar stimmten die privaten Arbeitgeber in der paritätisch besetzten Pflegekommission neuen Mindestlöhnen zu. Danach steigt nicht nur die Lohnuntergrenze für ungelernte Pflegekräfte kräftig an. Erstmals gibt es auch für ausgebildete Fachkräfte einen Mindestlohn, der bis 2022 auf einheitlich 15,40 Euro steigt – das entspricht bei einer 40-Stunden-Woche einem Monatsbrutto von 2.678 Euro.

Der Maßstab für Verdi ist aber weiterhin der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst. Er sieht für Fachkräfte ein Einstiegsgehalt von 2.830 Euro vor. Auch die Bundesminister Heil und Spahn halten einen Tarifvertrag weiterhin für nötig.

Eigenanteile der Heimbewohner schon heute bei fast 2.000 Euro im Monat

Unstrittig ist, dass die angestrebten flächendeckenden Tarifverträge und ein besserer Personalschlüssel in den Heimen die Pflege-Kosten stark nach oben treiben werden. Experten schätzen den Mehraufwand auf bis zu zehn Milliarden Euro jährlich.

Bliebe es bei der bisherigen Kostenverteilung, würden die bereits jetzt hohen Eigenanteile der Heimbewohner weiter massiv nach oben gehen. Im Durchschnitt liegen sie schon heute bei fast 2.000 Euro im Monat. SPD, Linkspartei und Grüne halten eine weitere Steigerung für unvertretbar. Dies scheint nachvollziehbar, ist die Höhe der durchschnittlichen Rente in Deutschland mit 1.095 Euro Brutto pro Monat doch deutlich unter den genannten Eigenanteil-Kosten für einen Pflege-Platz. Auch die rechtzeitige finanzielle Vorsorge durch den Abschluss einer privaten Pflegeversicherung ist für viele Arbeitnehmer nicht so leicht. Denn bei einem durchschnittlichen Netto-Einkommen von 1.890 Euro gibt es für zusätzliche Aufwendungen wenig finanziellen Spielraum.

Diskutiert wird ein Modell, bei dem neben einem Beitragsanstieg in der Pflegeversicherung auch eine Finanzierung über allgemeine Steuergelder nötig sind. Dabei soll die Lastenverteilung umgekehrt werden. Bisher zahlt die Pflegeversicherung einen festen Betrag und der Versicherte den (ungedeckelten) Rest. Die Reihenfolge soll getauscht werden: Der Versicherte zahlt einen fixen Betrag, während die Pflegeversicherung alle übrigen Kosten übernimmt. Jens Spahn dagegen will eher gezielt diejenigen entlasten, die sehr lange gepflegt werden müssen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte geplant, das Pflege-Thema im Frühjahr 2020 auf die politische Agenda zu setzen und bis Sommer diesen Jahres einen Vorschlag vorzulegen. Die Coronavirus-Pandemie hat aber alle Kräfte absorbiert und die Prioritäten anders gesetzt.

Mal sehen, wie’s weitergeht…


Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)

Eine nette Überschrift