Solange es noch einen Pop-Up-Radweg in Berlin-Mitte gibt, ist Armut in Deutschland inakzeptabel

Die neuen Zahlen des Armutsberichtes sollten jedem Politiker und Unternehmens-Chef die Schamesröte ins Gesicht treiben. Und niemand sollte sich wundern, wenn diese Leute eines Tages vom Hof gejagt werden.

780 Millionen Euro für die Elb-Philharmonie in Hamburg (statt 77 Millionen), 6 Milliarden Euro für den BER in Berlin (statt 2 Milliarden), 9 Milliarden Euro für die Lufthansa… Und, und, und.

Das ist die Glitzerwelt unserer Gesellschaft. Dazu kommt das Jammern über den Urlaub in Corona-Zeiten und die ach so schlimme Einschränkung wirklich wichtiger Bedürfnisse, weil es eben jetzt nicht opportun ist, jeden Tag, jede Stunde Party zu machen.

Es gibt aber auch eine andere Welt bei uns. Und die glitzert nicht. Überhaupt nicht. Laut aktuellem Paritätischen Armutsbericht hat die Armutsquote in Deutschland mit 15,9 Prozent (rechnerisch 13,2 Millionen Menschen) einen neuen traurigen Rekord und den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht.

Wie jeder anhand der Grafik des Statistischen Bundesamts sehen kann, steigt die Armutsgefährdungsquote seit Amtsantritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel (Christlich Demokratische Union) stetig an. Das ist die schmutzige Kehrseite des sogenannten „Jobwunders“, das eben nicht nur statistisch viele „aussteuert“ – vor allem Ältere – sondern auch durch ungehemmte Niedriglöhne, prekäre Arbeitsverhältnisse, gebrochene Erwerbsbiografien, Gender Pay Gap und unbezahlte häusliche Sorgearbeit mittlerweile fast jeden 6. Bürger in unserem Land ARM sein lässt.

Ich kann sie nicht mehr hören, die Antworten von Politikern, die mit derlei Fakten konfrontiert den folgenden Standardsatz abspulen: „In unserem Land muss niemand verhungern.“ Das wäre ja auch noch schöner! Wenn in einem der reichsten Länder der Welt Menschen verhungern müssten. Zwischen Verhungern und einem Leben in Würde gibt es aber noch eine erhebliche Spannbreite. Die Bürger in unserem Land mit einem ungeheuerlichen Maß an durch politische Verblendung gerechtfertigte Verschleuderung von Volksvermögen an der Nase herumzuführen und mit Wohlfahrtsstaatshäppchen abspeisen zu wollen, kann sich grausam an den Wahlurnen rächen.

P.S.: In der Amtszeit Merkel waren folgende Minister, SPD-Vorsitzende und SPD-Kanzler-Kandidaten für die Sozialpolitik zuständig:

Dr. Barley, Katarina – Geschäftsführende Leitung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, SPD, Amtszeit: 28.09.2017 – 14.03.2018

Nahles, Andrea – Bundesministerin für Arbeit und Soziales, SPD, Amtszeit: 17.12.2013 – 28.09.2017

Dr. von der Leyen, Ursula – Bundesministerin für Arbeit und Soziales, CDU, Amtszeit: 30.11.2009 – 17.12.2013

Jung, Franz Josef – Bundesminister für Arbeit und Soziales, CDU, Amtszeit: 28.10.2009 – 30.11.2009

Scholz, Olaf – Bundesminister für Arbeit und Soziales, SPD, Amtszeit: 21.11.2007 – 27.10.2009

Müntefering, Franz – Bundesminister für Arbeit und Soziales, SPD, Amtszeit: 22.11.2005 – 21.11.2007

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus des Bundesverband Initiative 50Plus Austia und des European Competence Center for Demography. Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit genießt man nur die Vorzüge der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden müssen, einfach ignorieren.“

Titelbild: Lucie Gerhardt, pixelio.de