Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Liz Truss to go

Die Tories streiten verbissen um die Macht. Die Bürger leiden. Gedankenmacher in DNEWS24.

Liz Truss ist nach 45 Tagen als Prime Minister des Vereinigten Königreiches zurückgetreten. Sie war am 6. September 2022 von Queen Elizabeth II. als deren letzte öffentliche Amtshandlung ernannt worden. Vorausgegangen war ein monatelanger Tory-interner Wahlkampf – zunächst in der Tory-Fraktion im Unterhaus des Parlamentes, danach entschieden die Mitglieder der Konservativen Partei.

Die Vorauswahl trafen also ein paar Hundert Abgeordnete, die endgültige Wahl entschied Liz Truss durch das Votum von ein paar zehntausend Mitgliedern der Konservativen Partei für sich. Das Volk, Millionen von Wahlbürgern, wurde nicht gefragt.

Es scheint ein Traumjob zu sein. Hohes und vor allem sicheres Einkommen, ein Dienstwagen der Jaguar-Klasse, die Dienstwohnung in bester Lage der teuersten Stadt in West-Europa und ein schönes Wochenendhaus, bei dem der Begriff „Datscha“ eine ganz große Dimension bekommt. Ist das der Grund, warum in den letzten sechs Jahren gleich vier PMs sich die Klinke in die Hand gaben?

Oder liegt die Personal-Fluktuation daran, dass die Konservative Partei in Großbritannien abgewirtschaftet hat? Ist es die Erkenntnis, dass der Brexit, der mit unhaltbaren Argumenten beim Wahlvolk durchgedrückt wurde, ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Fiasko ist?

Wie auch immer. Die vielfach hochgelobte Demokratie in England, Wales, Schottland und Nordirland ist bestenfalls ein Old-Fashion-Modell, im schlechtesten Fall gescheitert.  Damit sind nicht Skandale, Vergehen und Ungeschicklichkeiten gemeint. Gemeint ist die Suspendierung des Parlamentes durch Boris Johnson, weil er fürchtete, in Westminster die Mehrheit zu verlieren. In einer solchen Lage die Abgeordneten in den Zwangsurlaub zu schicken, ist schon einzigartig – undemokratisch. Vergleichbare Vorgänge sind aus der Endphase der Weimarer Republik bekannt. Die Folgen kennt jeder Interessierte. Das Primat der Regierung über das Parlament ist es, was das britische Herrschafts-System eigentümlich macht.

Liz Truss is not a Fighter; she is a Quitter. Wer kommt nun? Der Kampf um die Macht in Downing Street 10 hat begonnen. Wieder entscheiden die Tories allein, dieses Mal wohl nur die 365 konservativen Unterhaus-Abgeordneten. Rishi Sunak – den weder eine Mehrheit der Tory-Abgeordneten im Sommer wollte noch die Mehrheit der Partei-Mitglieder? Er war Finanzminister unter Boris Johnson und trug zu dessen Sturz im Frühjahr bei. Oder wird es Boris Johnson selbst? Er wollte zwar zunächst einmal „etwas Geld machen“, (bezahlte) Reden halten, ein Buch schreiben. Nun könnte er sich aber veranlasst fühlen, dem Ruf der Abgeordneten zu folgen. 100 Tory-MPs hat er wohl schon hinter sich – darunter den ideologischen Brexit-Einpeitscher Jacob Rees-Mogg – und damit deutlich mehr als alle anderen möglichen Kandidaten.

Derweil behauptet der Oppositionsführer, der Labour-Chef Keir Starmer, seine Partei sei bereit, die Regierung zu übernehmen. Mag sein, eine Mehrheit hat Labour, eine Partei der Antisemitismus und MeToo-Gehabe vorgeworfen wird, aber im Unterhaus bei weitem nicht. Neuwahlen wären nötig und fällig. Gut möglich, dass in solchen Wahlen Labour gewinnen könnte und die Konservativen 100 oder mehr Sitze verlieren würden. Eine Stärkung der schottischen Nationalisten wäre ebenso wahrscheinlich, wie ein Zuwachs für die LibDems, die Liberal-Demokraten. Eine für UK unübliche Koalitions-Regierung könnte notwendig werden. Nur: ob und wann gewählt wird, entscheiden die Tories und die werden sich wohl hüten, Neuwahlen zuzustimmen, wo sie doch in allen Umfragen mit 30 Prozentpunkten hinter Labour dümpeln.

Ob auf diese Weise die so dringend benötigte politische Stabilität erreichbar wird, ist mehr als zweifelhaft. Eine der größten Wirtschaftsmächte der Welt, die Atom-Macht Großbritannien taumelt führungslos durch die Inflations- und Ukrainekrieg-Krise.

Der Einwand, dass es uns nicht interessieren muss, was auf der kleinen Insel jenseits von Calais passiert, greift zu kurz. Das vor wenigen Tagen noch undenkbare und jetzt doch mögliche Comeback des Skandal-Clowns Boris Johnson offenbart die atemlos-hektische Fragilität unseres Systems. Dieser wieder denkbare Einzug des gnadenlosen Populisten in die Downing Street geschieht zu einer Zeit, in der in Schweden die sogenannten Schwedendemokraten an der Regierung beteiligt werden und Giorgia Meloni, die Leitschwester der Brüder Italiens von Präsident Sergio Mattarella zur Ministerpräsidentin der 68. Regierung nach dem Ende des Mussolini-Faschismus ernannt wurde. In Frankreich haben die Rechten der Marine Le Pen und Linken des Jean-Luc Mélenchon die rechnerische Mehrheit. Santiago Abascal, der Vorsitzende von Spaniens Vox-Partei, führt im Parlament in Madrid die drittstärkste Fraktion. In dem Zusammenhang sind auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sowie sein polnischer Amtskollege Mateusz Morawiecki zu nennen. Und nicht zu vergessen Donald Trump, der vor einem unglaublichen Comeback in den USA steht.

Im Osten Deutschlands ist die AfD stärkste Macht – mancherorts in Tateinheit mit den Linken sogar in der absoluten Mehrheit. Nun denkt die populistisch-polemische Sahra Wagenknecht – bisher Die Linke – darüber nach, eine sozialistische und nationale neue Partei zu gründen. Und das 73 Jahre nach Start der Sozialen Marktwirtschaft und 65 Jahre nach der Gründung der EWG, jetzt EU. Dieser neuen Alternative zur AfD und Linken werden bis zu 30 % Potential zugeschrieben.

Soll in unserem politischen und gesellschaftlichen Wertesystem nicht alles kollabieren und Wladimir der Schreckliche sich nicht ins blutverschmierte Fäustchen lachen, müssen sich die Demokraten und demokratischen Parteien am Riemen reißen und Vernunft walten lassen. So, wie bisher, kann es jedenfalls nicht weitergehen.

DNEWS24-Podcast Gedankenmacher – überall, wo es gute Podcasts zu hören gibt. #Gedankenmacher

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

DNEWS24 auf Twitter folgen