Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Die aktuelle Kamera berichtet aus dem Schein-Parlament

Die Bürger in Frankfurt am Main haben es den Berlinern gezeigt. Demokratie geht anders als in Mitte und Neukölln.

Als gebürtiger und bekennender West-Berliner habe ich mir in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das gelegentliche Vergnügen gegönnt, um 19.30 Uhr die Aktuelle Kamera zu schauen, das Oststück zu Tagesschau und Heute. Die allermeisten Ausgaben waren sterbenslangweilig, dass sie total verlogen waren, ahnte ich, wusste es aber nicht genau. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich eine Sendung gesehen habe, die aus der Volkskammer berichtete, dem Schein-Parlament der DDR, dessen Zusammensetzung in angeblichen Wahlen bestimmt wurde.

Am Donnerstag gab es eine historische Parallele. Da berichtete Phoenix stundenlang aus dem Abgeordneten-Haus in Berlin, dem Landes-Parlament der Hauptstadt. Das schöne Gebäude beherbergte bis 1918 das preußische Herrenhaus und liegt gar nicht weit entfernt vom vormaligen Palast der Republik, in dem die DDR-Volkskammer ihre Sitzungen zelebrierte. Es redeten die Regierende Bürgermeisterin, der Oppositions-Führer und dann Vertreter aller Parteien, die im Abgeordneten-Haus sitzen, Diäten kassieren, Pensions-Ansprüche aufbauen und – ach ja – das Leben der fast vier Millionen Berliner und derjenigen bestimmen, die dort einpendeln und arbeiten. Nur leider haben die Abgeordneten und die, die ihnen zujubelten oder sie beschimpften gar kein Recht, dort zu sitzen, zu entscheiden und zu kassieren. Denn die Wahlen zum Abgeordneten-Haus waren nicht demokratisch, sind null und nichtig und müssen im Februar 2023 wiederholt werden. Das hat das Verfassungsgericht des Landes Berlin verfügt.

Franziska Giffey, die die Regierende Bürgermeisterin mimt sagt, sie hätte damit nichts zu tun. Das Wahl-Desaster sei vor ihrer Zeit passiert. Das ist fadenscheinig und falsch passt aber in das Bild einer Politikerin, die noch nie freiwillig Verantwortung für ihre Fehler übernommen hat. Der damals zuständige Senator Geisel behauptet, auch er hätte mit dem Wahl-Desaster nichts zu tun. Fragt sich, wofür wird der Mann bezahlt, wenn er doch mit seinem Amt und dessen Aufgaben nichts zu tun hat. Anne Helm, die Chefin der Partei Die Linke, im Senat vertreten, behauptet, mit der Linken in der Bundesregierung würde es den Bürgern in Deutschland besser gehen. Den Beweis dafür will niemand sehen und die Behauptung kann sowieso nur als Real-Satire gemeint sein. Denn die Linke hätte im Bundestag gar keine Fraktion, wenn nicht drei Linke-Kandidaten direkt zum MdB gewählt worden wären – in Berlin, wo die Wahlen eben nicht demokratisch und damit ungültig waren.

Bleibt die größte Oppositions-Partei, die CDU. Sie stellte in ihren goldenen Jahren mit Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen jahrelang die Senats-Führung, bevor der CDU-geführte Senat in einer unappetitlichen Raffke-Affäre versank. Seitdem ist die CDU nie wieder richtig auf die Beine gekommen und dümpelt bei 20% im Nirgendwo – Volkspartei geht anders. Heute ist ihr Chef ein älterer Herr mit schleppender und uninspirierter Rhetorik, der sich offenbar bei jüngeren Wählern dadurch anbiedern will, dass er trotz schlechtsitzenden Hemdes auf eine Krawatte verzichtet. Ob das für den Wählerfang reicht?

Liebe Berliner, fragen Sie doch mal Ihren Abgeordneten(-Kandidaten) ob er auf seine Diäten oder gar Pensions-Ansprüche verzichtet hat, die ihm nicht zustehen?

Das KaDeWe hat mit einer Schampus-Sause gefeiert, dass ein Umbau nach sechs Jahren abgeschlossen wurde. Nur wenige hundert Meter vom KaDeWe entfernt beginnt eine Berliner Elendszone mit (alters)armen Menschen, Obdachlosen, Junkies und was weiss ich noch. Die Armutsquote in Berlin liegt bei 19,6 Prozent. 27.000 Berliner sind obdachlos. Die Zahl der Tafel-Kunden hat sich verdoppelt. Davon völlig unberührt feierten C- und D-Promis ungeniert zur Mucke vom als DJ auftretenden Lars Eidinger, der sich ja sonst gern als gesellschaftskritischer Anti-Bürger inszeniert. Übrigens gehört das KaDeWe einer thailändischen Investmentgesellschaft mit steuersparendem Europa-Sitz in Luxemburg und der SIGNA Retail Luxury Holding GmbH des René Benko, der GaleriaKaufhof wohl endgültig an die Wand gefahren hat aber schnell noch ein paar weitere Staatsstütze-Milliarden kassieren will.

„Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“, rief Ernst Reuter am 9. September 1948. Wen würde Reuter wohl heute um Hilfe für eine Stadt anflehen, die ganz offenkundig kurz davor ist, eine failed City zu sein?

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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