Die westliche Blockade der Zentralbank quält Russland

Nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine haben sich die EU-Mitgliedstaaten und die USA am vergangenen Wochenende auf tiefgreifende Restriktionen im Finanzsektor verständigt. Die Schweiz hat sich diesen Sanktionen inzwischen angeschlossen. Die gegen die russische Zentralbank ergriffenen Maßnahmen zielen darauf ab, deren Handlungsspielräume durch Einfrieren ihrer Devisenreserven deutlich zu beschränken. Dies ist ein äußerst wirksames Instrument, das in der Geschichte erstmals gegenüber einer großen Volkswirtschaft verhängt wurde und zur Folge hat, dass die russische Zentralbank keinen Zugriff mehr auf einen Großteil ihrer knapp 600 Milliarden US-Dollar umfassenden Währungsreserven hat. Daraus resultiert der Absturz des Rubels am 28. Februar, dem die russische Zentralbank noch am gleichen Tag mit einer starken Erhöhung ihres Leitzinses begegnete. Diese Zinserhöhung trifft eine ohnehin schon wachstumsschwache Volkswirtschaft, die es bislang versäumt hat, ihre starke Abhängigkeit von der Produktion fossiler Energieträger zu reduzieren.

Die internationalen Reserven Russlands beliefen sich zum Ende des Jahres 2021 auf 630 Milliarden US-Dollar (Abbildung 1). Rein rechnerisch (das heißt ohne jegliche Preisbereinigung) könnte das Land damit seine Importe für etwa zwei Jahre decken. Die hohen Reserven hätte der russische Präsident Putin nutzen können, um seine (Kriegs-)Wirtschaft zu finanzieren und Sanktionen auszusitzen. Jedoch wird dieses Kalkül angesichts der Restriktionen gegen die russische Zentralbank nicht aufgehen.

Die USA, die Europäische Union, Großbritannien (zusätzlich zum teilweisen Ausschluss wichtiger russischer Banken aus SWIFT) und die Schweiz haben beschlossen, die Möglichkeiten der russischen Zentralbank, die Devisenreserven einzusetzen, einzuschränken. Devisenbestände, die sich auf Konten in diesen Ländern befinden, wurden eingefroren und dem Zugriff der russischen Zentralbank entzogen. Damit werden Devisenmarktinterventionen der russischen Zentralbank zur Stützung des Rubel – wie sie direkt nach dem Einmarsch in die Ukraine erfolgt sind – grundsätzlich begrenzt. Nachdem die Restriktionen über Nacht in Kraft gesetzt wurden, fiel der Kurs des Rubel gegenüber dem US-Dollar am Montag, den 28. Februar 2022, auf 118 Rubel/Dollar und damit um rund 30 Prozent.

Die russische Zentralbank hat zum Stand 30. Juni 2021 aufschlussreiche Angaben zur Zusammensetzung ihrer Reserven veröffentlicht, die damals 585,3 Milliarden Dollar umfassten. Etwa ein Fünftel hiervon sind Goldreserven. Die Devisenreserven sind vorwiegend in Euro, US-Dollar, britischem Pfund und weiteren westlichen Währungen nominiert. Aber auch die Position des chinesischen Renminbi wurde ausgebaut (Abbildung 2a).

Die geographische Verteilung zeigt ein hohes Gewicht europäischer Länder (Abbildung 2b). Seit Mitte letzten Jahres sind die internationalen Reserven nochmals deutlich gestiegen; es wurden wahrscheinlich weitere Umschichtungen vorgenommen. Dennoch dürften aktuell unter Einschluss der europäischen Länder, der USA, Kanadas und Japans wohl ein Großteil der Devisenreserven dem Zugriff der russischen Zentralbank entzogen sein. Zudem wird diskutiert Russland daran zu hindern, die Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds einzulösen. Auf die chinesischen Bestände hingegen dürfte die russische Zentralbank weiterhin zugreifen können. Zudem verfügt sie über Goldreserven in Höhe von 132 Milliarden US-Dollar, die sie aber kaum kurzfristig und in hohem Volumen auf internationalen Märkten veräußern kann. Der Handlungsspielraum der russischen Zentralbank ist insgesamt deutlich enger geworden.

Die Restriktionen gegen die Zentralbank werden weitreichende Folgen für die russische Wirtschaft haben. Mit der Schwächung des Rubels verteuern sich grundsätzlich die Importe. Dies kann zu Preissteigerungen führen und die Inflation weiter antreiben. Bereits vor dem Einmarsch in die Ukraine war Russland – wie auch andere Volkswirtschaften – mit einer erhöhten Teuerungsrate konfrontiert. Die Zentralbank hatte daher bereits in mehreren Schritten den Leitzins auf zuletzt 9,5 Prozent heraufgesetzt. Nach Einführung der Restriktionen hat die Zentralbank noch am 28. Februar 2022 die Leitzinsen drastisch auf 20 Prozent erhöht. Dies wird unter anderem Folgen für die Kreditvergabe und damit die Investitionen haben.

Rückblende: Ölexporte, Nationaler Wohlstandfonds und Rubel-Kurs

Generiert wurden die hohen russischen Devisenreserven vor allem durch den Export fossiler Energieträger. Lange Zeit waren das Exportvolumen auf hohem Niveau und die Ölpreise sicherten hohe Erlöse. Kurz vor Beginn der Corona-Pandemie war der Ölpreis auf den internationalen Märkten stark gesunken; im April 2020 hatte die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) Förderbegrenzungen beschlossen, die im weiteren Verlauf sukzessive etwas zurückgenommen wurden. Dies sowie die gesunkene Nachfrage während der ersten Welle der Pandemie hatten die russischen Erlöse im Jahr 2020 vorübergehend geschmälert. Mit den stark anziehenden Rohölpreisen im Jahr 2021 stiegen zuletzt auch die russischen Exporterlöse wieder kräftig.

Damit Schwankungen des Ölpreises nicht zu stark auf die inländische Wirtschaft durchschlagen, hat Russland bereits 2004 einen Staatsfonds aufgelegt, der – nach mehreren Umstrukturierungen – heute als „Nationaler Wohlstandsfonds“ bezeichnet wird. In diesen werden die Rohölexporterlöse teilweise eingespeist. Auch die Einlagen in diesem Fonds sind noch vor der Corona-Pandemie deutlich erhöht worden.

Der Kurs des russischen Rubels war in der Vergangenheit phasenweise eng mit der Ölpreisentwicklung verknüpft. Eine Steigerung des Ölpreises führte dann tendenziell zu einer Aufwertung des Rubel. Dies war bis etwa Mitte 2017 der Fall; dann kam es zeitweise zu einer Entkoppelung. Nach dem starken Rückgang des Ölpreises im März 2020 und einer nur langsam voranschreitenden Erholung blieb allerdings auch der Rubel auf moderatem Niveau. Mit der Verschärfung der Ukraine-Krise, also bereits vor dem Einmarsch in die Ukraine, hatte sich die Entwicklung von Rubel und Ölpreis entkoppelt. Der Rubel stabilisierte sich dabei zunächst bei 75 bis 78 US-Dollar und wertete dann im Zuge der Zuspitzung des Ukraine-Konflikts ab.

Russland hat Chance zur Umstrukturierung der Wirtschaft versäumt

Trotz hoher internationaler Reserven und Profite aus den Energieexporten entwickelte sich die russische Wirtschaft wenig dynamisch. Vor der Corona-Pandemie wurden jährliche Wachstumsraten realisiert, die unter denen anderer aufstrebender Volkswirtschaften lagen. Der ersten Welle der Corona-Pandemie wurde mit einem Lockdown begegnet. In den weiteren Wellen waren die Eindämmungsmaßnahmen weitaus weniger restriktiv als in anderen Volkswirtschaften. Dies hat zwar dazu beigetragen, dass das russische Bruttosozialprodukt während der Pandemie weniger stark als in anderen Ländern zurückging, dafür aber eine hohe Sterblichkeit zu beklagen ist; die russische Statistik ist hierzu allerdings nur bedingt aussagekräftig.

In der längerfristigen Perspektive zeigt sich eine deutliche Wachstumsschwäche der russischen Wirtschaft. Trotz hoher Exporterlöse ist es nicht gelungen, die Wirtschaft in der Breite zu modernisieren. Dabei ginge es insbesondere darum, den dringend notwendigen Strukturwandel endlich einzuleiten – weg von der Rohstoffproduktion und hin zu Hoch- und Schlüsseltechnologien. Damit bleibt die russische Wirtschaft im internationalen Vergleich wenig wettbewerbsfähig. Eine Modernisierung aus eigener Kraft wird kaum gelingen.

Fazit: Sanktionen gegenüber Zentralbank treffen russische Wirtschaft hart

Russland ist es in der Vergangenheit nicht gelungen, seine Wirtschaft in der Breite zu modernisieren, trotz hoher Erlöse aus dem Export fossiler Energien. Diese Rückständigkeit wird das Land stark spüren, wenn die beschlossenen Sanktionen im Warenverkehr und im Finanzsektor greifen und Russland weiter isolieren. Dabei haben die Restriktionen gegen die russische Zentralbank unmittelbar eine starke Abwertung des Rubel verursacht. Als Reaktion hat die russische Zentralbank den Leitzins massiv auf 20 Prozent erhöht. Der Handel an der Moskauer Börse wurde ausgesetzt. Um die Kapitalflucht einzudämmen, wurde zudem am 2. März 2022 die Ausfuhr von ausländischem Bargeld auf umgerechnet 10 000 US-Dollar begrenzt. Dies sind wohl nur die ersten Reaktionen. Es dürften unter anderem weitere Kapitalverkehrskontrollen folgen. Insgesamt werden die Restriktionen im Finanzsektor, gemeinsam mit den Sanktionen im Handelsverkehr und gegenüber russischen Personen, wohl weitreichende und langfristige Konsequenzen für die russische Wirtschaft haben.

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