Demografie: Deutschland einig Altersland

Die Lebenserwartung gleicht sich in ganz Deutschland an. Der Osten hat nach der Wiedervereinigung auch in dieser Beziehung aufgeholt. Diese Entwicklung könnte sich aber wieder umkehren.

Innerhalb von 30 Jahren nach der Wiedervereinigung nähert sich die Lebenserwartung in beiden Teilen Deutschlands an. Ostdeutsche Frauen liegen nunmehr sogar leicht im Plus. Bei den Männern sterben Ostdeutsche allerdings durchschnittlich noch etwas über ein Jahr früher als im Westen.

1990 sah das noch ganz anders aus. Dies dokumentiert eine Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB), das dafür mit weiteren demografischen Instituten kooperierte.

Bereits seit Beginn der 1960er Jahre eröffnete der medizinisch-technische Fortschritt neue Perspektiven, zumindest im Westen. Experten sprechen auch von einer „kardiovaskulären Revolution“. Deutlich optimierte Behandlungsmöglichkeiten bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduzierten dauerhaft die kardiovaskuläre Mortalität. Zudem sorgten im Westen eine gesündere Lebensweise und gezielte Krankheitsprävention dafür, dass gerade bei Menschen im höheren Lebensalter ab 60 Jahren ein markanter Sterblichkeitsrückgang verzeichnet wurde. Die DDR konnte mit dieser technologischen Revolution nicht Schritt halten. Ihr fehlten schlicht die Ressourcen, um den Gesundheitssektor entsprechend auszubauen. Ohnehin fokussierte sich die DDR-Gesundheitspolitik gemäß der Doktrin vom sozialistischen Aufbau und Wettbewerb der Gesellschaftssysteme eher auf erwerbsfähige Altersgruppen.

Ältere ostdeutsche Männer sind am stärksten gefährdet

Die größten Ost-West-Unterschiede gibt es heutzutage in der Kohorte der Männer, die zwischen 1950 und 1970 geboren wurden. Sie sind derzeit zwischen 50 und 70 Jahren alt und besitzen in den neuen Bundesländern noch eine vergleichsweise hohe Sterberate. Die Ursache verorten die Demografie-Experten unter anderem beim Rauchen und einem gesteigerten Alkoholkonsum. Das gilt insbesondere für ostdeutsche Männer ab dem 60. Lebensjahr. Hier spielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Herzinfarkt und Schlaganfall eine entscheidende Rolle. Zudem waren Menschen in Ostdeutschland maßgeblich und stärker als im Westen geprägt durch strukturellen Wandel, anhaltende Arbeitslosigkeit und Existenzängste. Auch das Niveau der medizinischen Versorgung im Osten hinkte in den ersten Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung noch hinterher.

Insgesamt holen die Neuen Bundesländer auf

Dennoch konnten ältere Personen, insbesondere Frauen, nach der Wiedervereinigung bei der Lebenserwartung relativ schnell zum Westen aufschließen. So hatten ostdeutsche Frauen 1990 bei Geburt eine Lebenserwartung von 76,3 Jahren. Im Westen waren es mit 79 Jahren durchschnittlich 2,7 Jahre mehr. Bei den Männern betrug die Lebenserwartung im ersten Jahr der deutschen Einheit in Ostdeutschland im Schnitt 69,2 Jahre und in Westdeutschland 72,6 Jahre. Mit 3,4 Jahren fiel die Differenz hier also noch deutlicher aus. Nach dem nun drei Jahrzehnte anhaltenden Angleichungsprozess gibt es für die Lebenserwartung auf Basis der aktuellsten Daten für 2017 bei Frauen nur noch marginale Ost-West-Unterschiede. Ost-Deutschland: 83,32 Jahre, Westdeutschland: 83,28 Jahre. Bei den Männern hingegen besteht immer noch eine Lücke. Hier lauten die entsprechenden Daten im Osten 77,66 Jahre und im Westen 78,81 Jahre. Laut den Demografie-Experten hält eine derartige Differenz bereits seit 2002 an.

Unklare Perspektive: Entsteht ein neues Gefälle?

Doch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten kann nach Auffassung der Experten ein Ost-West-Gefälle in der Lebenserwartung erneut entstehen. Wiederum spielen dabei die Jahre um und kurz nach der Wiedervereinigung eine Rolle. Die in dieser Zeit strukturell hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland werde sich zunehmend in unterschiedlich hohen Renten widerspiegeln. Die niedrigeren Altersbezüge können sich im Vergleich zum Westen negativ auf die Entwicklung der Lebenserwartung im Osten auswirken.

Zudem weisen andere Studien für den Osten bei den jüngeren Frauen eine höhere Raucherinnen-Quote aus. Insofern erscheint es laut den Demografen nicht unwahrscheinlich, dass es in der Zukunft wieder sichtbare Ost-West-Unterschiede bei der Mortalität geben wird. In einer Art Fazit verweisen die Studienautoren allerdings darauf, dass sie heutige und auch absehbare Differenzen in erster Linie nicht (mehr) als direkte Folgen der ehemaligen Teilung Deutschlands, sondern eher als Nachwirkung der ostdeutschen Transformationskrise nach der Wiedervereinigung betrachten.


Quelle: Deutsches Institut für Altersvorsorge