Schweiz: Volks-Initiative will Pflegenotstand mildern

Der Pflegenotstand ist längst Realität. Aktuell sind über 11.000 Pflegestellen in der Schweiz unbesetzt, davon 6.200 Pflegefachpersonen. Die Pflegenden sind chronisch überlastet, erschöpft und frustriert. Viele gut ausgebildete Pflegende verlassen den Beruf nach wenigen Jahren.

Der Pflegenotstand in der Schweiz ist keine Drohung, er ist längst Realität. Der Blick in den aktuellen Job Radar zeigt, dass im 3. Quartal 2021 11.717 Stellen für Pflegepersonen offen waren. Mit 6.266 belegen die Pflegefachpersonen den ersten Rang an offenen Stellen von allen Berufsgruppen. Über 40 Prozent der Pflegenden verlassen den Beruf frühzeitig, ein Drittel von ihnen ist jünger als 35 Jahre.

«Pflege ist ein Beruf, in dem das Fachwissen und die Beziehungspflege mit den Patientinnen und Patienten enorm wichtig ist», betont Gillian Harkness. Sie ist Pflegefachfrau mit Spezialisierung in Onkologie. «Wir können nicht so pflegen, wie wir es gelernt haben. Fehler passieren, die eigentlich vermeidbar wären, wenn man genügend Zeit für die Pflege hätte», sagt Liridona Dizdari. Sie ist diplomierte Pflegefachfrau und Stationsleiterin in einer Rehabilitationseinrichtung. Beide Pflegefachfrauen betonen, dass diese Unterbesetzung von Pflegenden zu einem belastenden Dauerzustand geworden ist.

«Die Pflegenden arbeiten schon lange bis zum Rand der Erschöpfung, sie sind ausgelaugt und verlassen den Beruf, weil sie keine Perspektiven auf Besserung sehen. Corona hat die Arbeitslast vieler Pflegenden nochmals erhöht», sagt Sophie Ley, Präsidentin des Berufsverbandes der Pflegefachpersonen SBK-ASI und Mitglied des Initiativkomitees. Dadurch steigt die Gefahr von Fehlern, die bei genügender Personalausstattung vermieden werden können. Mit der heutigen Situation ist es fast unmöglich, die erforderliche Pflegequalität zu halten.

Die Tessiner SP Ständerätin Marina Carobbio, die Mitglied im Initiativkomitee ist, betont wie wichtig es ist, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, damit die Pflegenden länger im Beruf bleiben. «Die Ausbildungsoffensive des Parlaments genügt nicht, denn wir wissen, dass rund ein Drittel der Pflegefachpersonen bereits kurz nach dem Abschluss im Alter zwischen 20 bis 24 Jahren aus dem Beruf aussteigt. Es braucht eine frühzeitige und verbindliche Bekanntgabe der Dienstpläne, berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, familienfreundliche Strukturen und Möglichkeiten zu Lohnerhöhungen, führt Carobbio aus.

Die Pflegeinitiative sorgt dafür, dass es genügend Pflegefachpersonen auf allen Schichten gibt. «Eine Pflegefachperson darf abhängig von ihrem Bereich nur für eine maximale Anzahl an Patienten zuständig sein. Dies garantiert die Qualität, die Patientensicherheit, einen effizienten Mitteleinsatz und erhöht die Arbeitszufriedenheit und damit die Berufsverweildauer», betont der Thurgauer Nationalrat der Mitte, Christian Lohr, der Mitglied im Initiativkomitee ist.

Beim indirekten Gegenvorschlag des Parlaments ist die Ausbildungsoffensive die zentrale Massnahme, bei der Pflegeinitiative ist sie ein Element eines Massnahmenpakets. Die Ausbildungsoffensive des Parlaments hat Schwächen. Die Bundesmittel werden nur dann gesprochen, wenn die Kantonsparlamente die gleiche Summe sprechen. «In allen Kantonen, die das Budget einmalig oder jährlich wiederkehrend ablehnen, bleibt das Bundesgesetz toter Buchstabe», sagt Yvonne Ribi, die Geschäftsführerin des Pflegefachverbands SBK-ASI und Mitglied des Initiativkomitees.

Eine Ausbildungsoffensive als Einzelmassnahme reicht nicht, um die Pflegenden im Beruf zu halten. Es braucht ein Ja zur Pflegeinitiative, damit genügend Pflegende ausgebildet, die Pflegenden länger im Beruf bleiben und die Pflegequalität gesichert werden kann.