Schluss mit der Zwangspensionierung

Fachkräftemangel allerorten, in allen Branchen. Schluss mit der Zwangspensionierung fordert daher Helmut Muthers (Babyboomer).

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und gehört heute zu den größten Herausforderungen der Unternehmen aller Branchen. Mehr als sechs von zehn Betrieben nannten ihn in der Herbstumfrage 2018 des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) als Geschäftsrisiko.

Der Personalnot könnte dadurch begegnet werden, dass die älteren Arbeitnehmer länger arbeiten – über das heutige Renteneintrittsalter hinaus. Würde nämlich in der Gruppe der 60- bis 69-Jährigen genauso lange gearbeitet wie bei den heute 55- bis 59-Jährigen, könnte der durch die dramatisch alternde Gesellschaft bedingte Mangel an Beschäftigten mehr als kompensiert werden.

Diese Möglichkeit käme vielen älteren Menschen durchaus entgegen. Zwei von drei Befragten einer Umfrage begründen ihren Wunsch nach längerer Arbeitszeit mit dem Bedürfnis nach Teilhabe und persönlichen Kontakten sowie dem Bestreben, geistig wie körperlich fit zu bleiben. Tatsächlich würden viele Menschen gerne über die Pensionierung hinaus arbeiten.

Ein wichtiger Grund dafür, dass viele Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter lieber früher als später freisetzen, sind vor allem kaum zu beseitigende Klischees – insbesondere über deren Leistungsfähigkeit. Dabei gibt es weltweit keine einzige Studie, die beweisen würde, dass die älteren Mitarbeiter unproduktiver sind als jüngeren. Es existieren allerdings viele Studien, die das genaue Gegenteil beweisen.

Ein früherer Finanzberater bei einer Bank ist heute 65, gesund und topfit. Er war sein gesamtes berufliches Leben in dieser Position tätig und dabei sehr erfolgreich. Mit 62 wurde er von seinem Vorgesetzten „für zu alt befunden“ und in den „wohlverdienten“ Ruhestand verabschiedet. Schon nach wenigen Monaten wurde es ihm zu langweilig, er suchte und fand eine neue Beschäftigung als freier Vermögensberater bei einem Finanzunternehmen. Inzwischen lassen sich viele seiner früheren Kunden von ihm beraten. Für einen Unternehmer managt er die Finanzierung und den Bau eines großen Mehrfamilienhauses. Er ist mittlerweile Vorsitzender eines großen Sportvereins und engagiert sich als Stadtratsmitglied in der Kommunalpolitik. Für seinen früheren Arbeitgeber ist er ein sehr ernstzunehmender Wettbewerber geworden.

Für viele Menschen kommt die Pensionierung schlicht zu früh. Wer sich mit 65 zehn Jahre jünger fühlt und fit ist, ist keineswegs reif für den Ruhestand. Ob und wann ein Mitarbeiter in Rente gehen will, sollte er für sich selbst entscheiden. Er kann das sicher besser als irgendjemand anderer für ihn. Warum kann nicht der einzelne Beschäftigte mit seiner Führungskraft, natürlich unter Berücksichtigung betrieblicher Interessen, das Ende seiner Tätigkeit im Unternehmen vereinbaren?

Der Aufstand gegen die bisherige Form der Zwangspensionierung hat doch bereits begonnen. Schon 2011 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) nach einer Klage von drei Piloten der Lufthansa, dass Fluggesellschaften ihre Piloten nicht mehr zwangsweise mit 60 in den Ruhestand schicken dürfen. Die bei der Lufthansa gültige Altersgrenze sei eine Diskriminierung und verstoße gegen europäisches Recht.

Der an das Alter geknüpfte Zwang zum Aufhören ist heute nicht mehr zeitgemäß. Vor wenigen Jahrzehnten arbeiteten die Menschen bis 65 und starben mit durchschnittlich 67 Jahren. Die wenigen Jahre im Ruhestand waren wirklich verdient, als die Wochenarbeitszeit noch deutlich länger, die Urlaubszeit wesentlich kürzer und die Arbeitsbelastung bei den meisten Beschäftigten ungleich höher war als heute.

Die Lebensumstände haben sich aber seitdem massiv verändert. Die heutigen älteren Generationen sind so aktiv, mobil und produktiv wie keine Generation jemals vor ihnen. Und sie sind erwachsene Menschen, die in der Lage sind, selbst zu entscheiden, was für sie das Beste ist. Manche wollen auch mit 70 oder länger arbeiten, weil sie keine Lust haben, sich zuhause zu langweilen. Andere brauchen vielleicht das Geld und wieder anderen macht es einfach nur Spaß.

Ein Leben als Rentner ist ganz schön öde, dachte sich ein 89 Jahre alter Brite und machte sich per Zeitungsanzeige auf Jobsuche. Er bekam gleich mehrere Angebote. 20 Stunden pro Woche oder ein bisschen mehr könne er arbeiten, nicht zu anstrengend sollte es sein, die Branche sei egal. Zweimal ließ Joe Bartley seine Suchanzeige in der Lokalzeitung veröffentlichen: „Retten Sie mich davor, vor Langeweile zu sterben“, schrieb er. Und wurde fündig: Ein Bistro stellte ihn als Kellner ein. „Egal, wie alt du bist oder welchen Hintergrund du hast – du verdienst eine Chance“, sagt die Bistro-Besitzerin. „Viele Leute kommen zu uns, um nicht nur Kaffee zu trinken, sondern auch, um sich zu unterhalten“, erklärt sie: „Deshalb ist Joe der perfekte Mitarbeiter.“ Genug zu erzählen hat der Weltkriegsveteran. „Old soldier, airborne forces“ – alter Soldat, Luftwaffe – steht in seiner Anzeige, die ihn nun zu einer Berühmtheit gemacht hat. Er sei erstaunt darüber: „Ich kann das gar nicht richtig glauben, es fühlt sich großartig an!“

Die wenigsten Menschen wollen im Alter auf der faulen Haut liegen. Sie wollen etwas tun, sie wollen gebraucht werden. Warum wird ihnen das immer noch erschwert. Es gibt kaum eine Branche, in der die soziale Kompetenz einer älteren Führungskraft, eines Beraters oder Verkäufers im Umgang mit älteren Kunden heute nicht gebraucht wird.

Helmut Muthers in DNEWS24TV

Der Autor Helmut Muthers

Seit mehr als 17 Jahren fokussiert sich Helmut Muthers auf die Chancen der gesellschaftlichen Alterung und den Unternehmenserfolg bei älteren Kunden und Mitarbeitern. Er gehört zur älteren Generation und kennt die Folgen der demografischen Veränderungen aus exakt dieser Perspektive.

Mit mehr als 1.600 Auftritten gehört Helmut Muthers zu den gefragtesten Rednern mit Themen wie „Sie brauchen keine neuen Kunden. Nehmen Sie die Alten.“ und „Die Mitarbeiter werden grau! Na und? Abschied vom Jugendwahn in der Personalpolitik.“

Helmut Muthers ist Betriebswirt, war Bankvorstand und Sanierer mittelständischer Banken. 1994 gründete er das MUTHERS INSTITUT für Strategisches Chancen-Management. Er ist Landes-Geschäftsführer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz des Bundesverbandes Initiative 50Plus e.V. und Expert-Member des Club 55 (europäische Gemeinschaft von Marketing- und Verkaufsexperten).

Helmut Muthers ist Autor, Mitautor und Herausgeber von 24 Fach- und Hörbüchern, unter anderem „Ab 50 ist man alt… genug, um zu wissen, was man kann und will“, „30 Minuten Marketing 50+“, „Wettlauf um die Alten“.

Er ist Herausgeber des renommierten Coaching-Briefes „Monatliche Praxistipps für die Finanzwirtschaft“ (www.monatlichepraxistipps.com).