Schäm‘ dich was! – Ein Kommentar von Renate Zott

Scham ja, Werte nein? Fragt Topagemodel Renate Zott im Kommentar zum Sonntag.

Ich komme noch aus der Zeit, wo man in der Grundschule kleine Schwatzbasen einfach vor die Tür gestellt hat. Schämen sollten sie sich was, weil man sich im Unterricht eben keine Kassetten voll erzählen darf. Am besten gleich im Erdboden versinken wollte man auch, wenn man ohne Hausaufgaben erwischt wurde oder vorne an der Tafel vor aller Augen eine Aufgabe nicht lösen konnte. Der Kopf rot vor Scham, jeder kennt die Dramaturgie dieser entsetzlich peinlichen Gefühle. Dass wir also schon von klein auf lernen, uns für etwas zu schämen, ist nach meinem Kenntnisstand >menschen-exklusiv<, denn Schamgefühle habe ich bislang noch bei keiner anderen Spezies beobachten können. Scham ist irgendwie ein zutiefst menschliches Regulativ, sich instinktiv Normen und Regeln des Zusammenlebens zu unterwerfen bzw. sich ihnen in diesem Sinne anzupassen – es muss genetisch so programmiert sein, sonst ist das Leben auf Dauer ziemlich schwierig. Insofern finde ich an Scham per se nichts Schlimmes, im Gegenteil, ein Gefühl, das gesellschaftlich bedeutende Relevanz hat und die Gemeinschaft zusammenhält, weil sie eben regelt, was man tut und was nicht.

In gewisser Weise beschämend finde ich allerdings die neue Schamwelle. Flugscham, SUV-Scham, Kreuzfahrt-Scham – also wir kommen neuerdings aus dem Schämen gar nicht mehr raus. Wenn du mehr als einmal die Woche ein Stück Fleisch auf deinem Teller hast, dann schäm dich was und versteck‘ dich schnell unter deinen Teppich-Fransen, wenn das Stück Fleisch womöglich noch abgepackt aus dem Supermarkt kommt und nicht gesund und ökologisch wertvoll von der Weide bei dir um die Ecke.

Während also Herr Draghi mit seiner 0-Zins Politik unentwegt die Konsumfreude peitscht, wartet auf der anderen Seite schon der erhobene Zeigefinger, denn: dein neuer Wagen verbraucht zu viele Rohstoffe. Ja was denn nun? Kaufen und verbrauchen oder die Welt retten? Mir geht das entschieden zu weit und ich stehe auf dem Standpunkt, dass klimatechnisch-global wieder nicht weit genug gedacht wird.

Es ist sicher ein guter Ansatz Mobilität umzuorganisieren und die Innenstädte von den Blechlawinen zu befreien, aber nun zu glauben, dass wir mit all‘ den neuen e-angetriebenen Karossen, Rädern und Rollern der Umwelt nur noch Gutes tun, ist ja vermessen. Denn: bevor wir uns quasi geräuschlos und CO2-neutral auf den Weg machen können werden schon 17 Tonnen Kohlendioxid in die Luft gejagt. Merke: Bis dahin war ein heutiger Mittelklasse-Wagen bereits 100.000 Kilometer unterwegs. Und mehr noch: Wir zerstören etwa doppelt so viel Umwelt für den Bau eines E-Gefährts, als bei der Herstellung eines vergleichbaren Wagens mit Verbrennungsmotor. Grund dafür sind die schlimmen Umweltschäden, die bei der Gewinnung der erforderlichen Rohstoffe, wie Lithium und Kobalt, in den Abbauregionen entstehen. Schämen müssten sich demnach jetzt schon alle Nutzer der neuen schicken E-Roller, deren Batterien nämlich schon nach ca. 1 Jahr schlapp machen und das ganze Teil anschließend Schrott ist. Wo dieser Batterie-Müll landen soll, fragt heute keiner, auch kein Umweltaktivist.

Noch spricht auch keiner über das Brandrisiko, denn das Löschen von Elektrofahrzeugen dauert deutlich länger als das von Vehikeln mit Verbrennungsmotor. Es liegt einfach daran, dass in allen Zellen der Batterie Sauerstoff ist, was es quasi unmöglich macht, den Brand zu ersticken. Tauchen statt löschen hieß es dann in den bisher bekannten Fällen. Tauchen, das heißt, das Fahrzeug in einem Container voll Wasser löschen und 24 Stunden drin lassen; rein vorsorglich. Und nur mal so in die Tüte gesprochen: Soll dann also rein vorsorglich alle 100 Autobahnkilometer ein Container voll Wasser stehen und in jeder Tiefgarage sowieso?! Oder erwarten uns dann neue Schlagzeilen wie:

Hochhaus wegen brennendem E-Auto in Flammen aufgegangen?

Der batteriebetriebene Antrieb ist also ein Problem, auch wenn das gerade keiner hören oder sehen will. Vielleicht ist Argentinien, China oder Südkorea, wo 2 Millionen Liter Wasser für eine Tonne Lithium vertrocknen müssen und giftige Dämpfe das dortige Ökosystem massiv schädigen zum Glück weit weg. Vielleicht sind Umweltsünden auf der anderen Seite des Erdballs nicht so katastrophal, wie die vor der eigenen Haustür. Mir schwant, dass die Teller, auf denen über Herstellung und Entsorgung herumgestochert wird, einfach zu klein. Jedenfalls kann hier keiner mit gutem Gewissen von einem ökologischen Fußabdruck sprechen. Schämt euch!

Die Autorin Renate Zott

Renate Zott wohnt in Frankfurt am Main und ist aktive Kämpferin für ein positives Altersbild. Renate Zott, erst Versicherungs-Maklerin und jetzt Managerin einer Haustechnik-Firma, ist verheiratet und Mutter eines erwachsenen Sohnes.

Renate Zott ist Botschafterin des Bundesverband Initiative 50Plus und Kreis-Geschäftsführerin des BVI50Plus in Frankfurt am Main.

Sie betreibt den Blog www.topagemodel.de. Renate Zott ist auch bei Facebook und Instagram.