Salonwagen von Compiègne – Umgang mit Geschichte

Die Geschichte liebt es, sich zuweilen an einem Ort zu manifestieren. So 1918 und 1940 im Salonwagen des Marschall Foch im Wald von Compiègne. Was ist aus dem Salonwagen geworden?

Im August 1914 wurde der Eisenbahn-Wagen mit der Nummer 2419D als einer von insgesamt 21 baugleichen Speisewagen der französischen Eisenbahn vom Hersteller übergeben und in Betrieb genommen. Im Ersten Weltkrieg diente er nach seinem Umbau zum Salonwagen Marschall Ferdinand Foch von 1918 bis 1919 als Stabswagen. Und als solcher wurde in ihm dann der Waffenstillstand 1918 verhandelt und unterzeichnet.

Danach hieß der Salonwagen nur noch „Wagen von Compiègne“ und wurde erst in Paris und dann im eigens erbauten Museum in Compiègne ausgestellt.

ARTE-Dokumentation Waffenstillstand November 1918

Die ARTE-Dokumentation aus der Reihe „Karambolage“ zeigt den Verlauf der Waffenstillstands-Verhandlungen zwischen der deutschen Delegation, angeführt vom Abgeordneten Matthias Erzberger, und Vertretern der französischen Republik.

Nach der Niederlage Frankreichs zu Beginn des 2. Weltkrieges wurde der Salonwagen eigens für die Unterzeichnung der französischen Kapitulation auf ausdrückliche Anweisung Hitlers aus dem Museum geholt und im Wald von Compiègne an gleicher Stelle wie 1918 positioniert.

Wochenschau-Bilder „British Pathé“

Unveröffentlichte Bild-Dokumente der Unterzeichnungs-Zeremonie des deutsch-französichen Waffenstillstandes vom 25. Juni 1940.

In der Folgezeit wurde der fahruntüchtige Salonwagen mit einem Schwertransport nach Berlin geschafft und dort ausgestellt. Im Zuge der massiven Bombenangriffe auf Berlin wurde der Wagen mit anderen musealen Wertgegenständen ausgelagert und nach Thüringen verbracht, wo er in Crawinkel, nahe dem Jonastal, wo ein Führerhauptquartier entstand, abgestellt wurde. Es ist anzunehmen, dass man daran dachte, den Salonwagen in der Stollenanlage einzulagern, die im Jonastal in den Berg getrieben wurde. In der Anlage, deren Eingänge 1945 gesprengt wurden und deren genaue Lage bis heute unklar ist, werden seit 1945 umfangreiche Einlagerungen von Kunstgegenständen vermutet. Es könnte aber auch angedacht gewesen sein, dass der Salonwagen dem Oberkommando der Wehrmacht als Stabswagen dienen sollte, da die Region Gotha-Ohrdruf als Ausweichquartier für das OKW vorgesehen war. Letztlich wurde der in Crawinkel abgestellte „Wagen von Compiègne“ im Zuge der Annährung der 89. US-Infanteriedivision vermutlich von der SS angezündet. Andere Zeugen sprechen von Zivilisten als Tätern oder auch von marodierenden Zwangsarbeitern aus dem Arbeitslager Ohrdruf, die im Jonastal Zwangsarbeit leisten mussten. In den Nachkriegswirren versuchten französische Suchtrupps den Wagen zwar zu finden, doch die sich rapide verschlechternde politische Lage innerhalb der alliierten Siegermächte machte ein Aufspüren innerhalb der von Stalin beherrschten Ostzone (später DDR) unmöglich. Der „Wagen von Compiègne“ blieb verschollen und wurde offiziell abgeschrieben.

Da der ausgebrannte Wagen in Crawinkel für Reparationsforderungen der Sowjets uninteressant war – und als der historische „Wagen von Compiègne“ auch unerkannt blieb – richtete die DDR-Reichsbahn ihn als Werkswagen wieder her. Der beschädigte Aufbau wurde repariert bzw. erneuert und so diente der Wagen der Reichsbahn bis in die 70er. Danach wurde der Aufbau entfernt und der Wagen als „Flachwagen Nummer 17“ bis 1986 im Weichenwerk Gotha genutzt. Aufgrund der sehr weichen Federung als ursprünglicher Speisewagen hatte er bei den Arbeitern des Werkes den Spitznamen „Kanapee“ bekommen.

Eine polnische Gruppe hat ihn noch vor seinem letzten Umbau in Gotha besichtigen können. Das damals entstandene Video ist HIER zu sehen. Nach der Wende tauchten Bilder auf, in denen Teile der Bronzebeschläge in einer Kleingartenanlage zu sehen waren. Die damalige Reportage konnte sie als Teile des „Wagens von Compiègne“ verifizieren. Alle so wiederentdeckten Teile sind nun wieder in Frankreich und werden dort in Vitrinen ausgestellt. Gleich neben dem letzten der ursprünglichen 21 Speisewagen der Serie, der nun mit der Nummer 2419D versehen und zum Salonwagen umgebaut den Besuchern gezeigt wird.

Vielleicht sollte einmal ein Gipfel der EU-Regierungschefs in der Replik des Salonwagens in Compiègne stattfinden. Als Erinnerung an den Wahnsinn zweier Weltkriege und das gigantische Versöhnungswerk von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, von Francois Mitterrand und Helmut Kohl. Vielleicht kommt den beteiligten Verantwortlichen der heutigen EU dann die Vision eines geeinten und in friedlichem Streben nach Freiheit fokussierten Europa wieder in den Sinn. Es wäre zu wünschen, denn ein 1918 oder 1940 darf sich nie wiederholen.