Neulich in Berlin: 30 Jahre nach dem Mauerfall kommt die Verklärung. Ein Kommentar von Uwe-Matthias Müller

Feierlichkeiten in Berlin. Aber zum feiern scheint niemand der Sinn zu stehen. Hängende Gesichter, Trauerarbeit. Steht die Mauer (wieder)?

Das fängt gut an. Gestern in der Hauptstadt angekommen, nahm ich gleich an einer Diskussion über das vor 30 Jahren Erlebte teil. Und siehe da: es war von BRD die Rede, einer kriminellen Treuhand, einem Karsten Rohwedder, der aus nachvollziehbaren Gründen ermordet wurde. Unverständnis herrschte darüber, das die ach so tolle Industrie der DDR von den gierigen und zweitklassigen Wessis nicht erhalten wurde. Und, na klar; auch am Aufstieg der AfD ist der Fall der Mauer, die Treuhand, Helmut Kohl und überhaupt alles und jeder, der nicht zwischen Plauen und Warnemünde geboren wurde ,schuld.

Erst dachte ich, ich höre vielleicht nicht richtig. Aber ich hatte mich leider nicht getäuscht. Die allgemeine Verklärung – oder besser Verblendung – war den Gesichtern der überwiegend Älteren, aus dem goldenen Westen stammenden Gutmenschen-Bildungsbürger deutlich abzulesen. Ich überlegte kurz, ob ich den gestern erschienenen Artikel in der „WELT“ (hier) zitieren sollte und – tat es nicht. Die Jungs und Mädels hätten das als typische Springer-Presse-Fake-News abgetan. Auch den Schürer-Bericht zitierte ich nicht; die dort vom Politbüro-Mitglied der SED und Planungs-Chef der DDR aufgezählten Fakten und Bankrott-Erklärungen hätten das Weltbild der Träumer ins Wanken bringen können.

Dabei stellt sich doch eigentlich nur die Frage, ob die DDR wirtschaftlich oder moralisch verkommener war. Schießbefehl, Waffenhandel, Unterstützung von Terroristen, Menschen-Handel – so sah das schöne Gesicht des real existierenden Sozialismus wirklich aus.

A propos schönes Gesicht: heute geht es weiter mit einer Diskussion in der ehemaligen Stasi-Zentrale in Lichtenberg, Das Thema: Wem gehört die Friedliche Revolution. Ein Gast : Katja Kipping, Vorsitzende der Linke (vormals PDS, vormals SED). Schön, dass Frau Kipping mal die Stasi besucht und ironisch, dass gerade sie über die einzigartigen und heldenhaften Taten der Bürgerrechtler urteilen darf. Man darf gespannt sein…

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus. Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

Mit „Neulich in Berlin…“ erzählt „UMM“ Erlebnisse und Eindrücke aus der Stadt, die sich selbst als arm aber sexy beschreibt und der Gesellschaft, die dem demografischen Wandel unterliegt.