Ist Deutschland ein failed State?

Unser föderales System steht am Pranger. Bund gegen Land, Land gegen Kreis und Gemeinde – es quietscht und ächzt an allen Ecken.

„Wer seine Bürger nicht schützt, ist ein failed state.“ Der Umweltrechtler Michael Kloepfer zur Flutkatastrophe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde im Jahr 2000 Vorsitzende der CDU. 2002 verantwortete sie in dieser Stellung den ersten Bundestagswahlkampf – mit dem schlechtesten Ergebnis für die Union seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Seit ihrem Machtantritt ist die einstige Volkspartei auf ein Drittel Wählerzustimmung geschrumpft. Wenn sie nicht aufpasst, wird im Herbst sogar nur noch jeder vierte Wähler sein Kreuz bei der CDU oder CSU machen.

Die SPD hat es noch schlimmer erwischt. Von 38,5 % Wähler-Zustimmung im Jahr 2002 ist sie auf 20,5 % im Jahr 2017 abgerutscht. Wahlprognosen für den Herbst billigen der einstmals stolzen Arbeiter-Partei noch 17 % zu.

Beide ehemalige Volksparteien wirken zerschlissen und matt. Der CDU-Vorsitzende patzt ohne Unterlass und wird von Teilen der CDU und der CSU als Zugpferd abgelehnt. Der SPD-Kanzler-Kandidat hat sowieso keine Chance – würde er aber tatschlich Bundeskanzler, würde er das gleiche Schicksal erleiden, wie einstmals Helmut Schmidt. Denn hinter dem jovialen Norbert Walter-Borjans lauern Kevin Kühnert, Rolf Mützenich und Saskia Esken, die Drei linken Hardliner werden nach der Wahl aus der Kulisse heraustreten, die Macht in der SPD übernehmen und einen Kanzler Scholz vor sich hertreiben.

Über Annalena Baerbock und die anderen Parteien und Kandidaten brauchen wir an dieser Stelle nicht (mehr?) reden.

Das Hickhack der Parteien könnte uns Bürgern egal sein, würde die Parteien-Krise nicht auch noch von einer wirklichen Staatskrise begleitet werden. Immerhin steht der seit 1949 geübte Föderalismus auf dem Spiel. Das nahezu totale Versagen bei der Daseinsvorsorge hat sich durch die Corona-Krise manifestiert und wurde durch ein Wirrwarr der Kompetenzen und mangelnde Verantwortungsübernahmen bei der Flutkatastrophe erneut überdeutlich. Schon in wenigen Wochen, wenn die Urlauber aus den Corona-Hochinzidenzgebieten nach Deutschland heimkehren und die Schulen auch 16 Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie auf nichts vorbereitet sind, wird die Wut der Bürger überkochen, die sich an alle Regeln halten, geimpft sind und dennoch ihre Freiheiten nicht zurückerhalten, weil die Regierungen die Unvernunft und den Egoismus einer Minderheit stets und ständig zur Staatsräson erheben. Eltern werden verzweifeln, weil sie schon wieder in Home-Schooling gezwungen werden.

Dabei geht – auch und besonders in diesem Wahlkampf – völlig unter, dass wir noch vor weiteren, größeren Herausford3rungen stehen. Der Klimaschutz ist längst nicht da, wo er sein sollte. Anders als von Fridays for Future und Annalena Baerbock dargestellt ist aber nicht nur die CDU der selbsternannten Klima-Kanzlerin Angela Merkel an dieser Misere schuld. In vielen Bundesländern verantworten Grüne die Umweltpolitik, auf lokaler Ebene – in Gemeinderäten und Bürger-Initiativen – tun sie zu wenig für oder verhindern gar überregionale Umwelt-Projekte. Die Digitalisierung, vergleichbar mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert, hat Deutschland nahezu komplett ignoriert. Dies gilt auch und besonders für die Chancen und Herausforderungen des demografischen Wandels.

Die Bundeskanzlerin Merkel hinterlässt uns nach 16 Jahren Regierungs-Zeit ein Land, das innerlich zerrissen und wenig vorbereitet auf die Lösung der Aufgaben der Gegenwart und Zukunft ist. Die Kandidaten, die ihr nachfolgen wollen, wirken schwach. Auf der Ebene der Bundesländer haben Ministerpräsidenten die Verantwortung, die allesamt blass, ineffektiv dafür aber medienwirksam sind. Und auf lokaler Ebene kann jeder Bürger froh sein, wenn er einen Rathaus-Chef hat, der zupackt und sich um die wirklichen Bürger-Anliegen kümmert, statt durch trendigen Pseudo-Aktivismus Schlagzeilen in der Lokal-Presse produzieren zu wollen.

Die Hinwendung der Wähler zu den politischen Rändern und Splitter-Gruppen ist ebenso beunruhigend, wie die Tatsache, dass immer mehr – vor allem junge – Wähler sich gar nicht mehr an Wahlen beteiligen.

Verstärkt werden die Unsicherheiten durch – auch soziale – Medien, die statt Orientierung und Meinungsvielfalt immer mehr Hysterie bieten. Das Kreischen der Federn und Stimmen stumpft ab und bringt gar nichts – auch keine Auflagen oder Quoten.

Bei der Stimmabgabe in Wahl-Lokalen soll man sich immer fragen, ‚geht es mir besser als vor vier Jahren?‘ Diese Frage kann jeder Bürger nur für sich allein beantworten…

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“