Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Zufallsbekanntschaften

Meine Begegnung mit ganz normalen Menschen – ist das noch normal?

Ich habe das hier ja schon mal angedeutet – ich bin furchtbar schüchtern. Mir würde (fast) nie in den Sinn kommen, eine fremde Person einfach so anzusprechen. Und wenn ich angesprochen werde, gehe ich üblicherweise erstmal in Abwehrhaltung. Vielleicht ist das typisch deutsch…

Vor ein paar Jahren begegnete ich einer Frau. Sie ist selbstbewusst, freundlich – und sagen wir mal – kommunikativ. Seitdem sehen wir uns zufällig immer mal wieder, alle paar Wochen oder Monate für wenige Minuten. Sie erzählt dann aus ihrem Alltag und ich lächle dazu.

Jetzt traf ich sie wieder zufällig. Aber die Stimmung war anders. Zu mir war sie immer noch wie immer. Aber ihr Thema war nicht mehr Ihr Sohn oder das, was sie am Abend vorhabe. Es ging um die gar nicht mehr schleichende Veränderung in unserer Gesellschaft, die zunehmende Aggressivität und Intoleranz. Es ging um hohe Mieten und geringere Kaufkraft. Mehr als deutlich wurde, dass die Frau mit der Politik nicht nur dieser Bundesregierung unzufrieden ist.

Im Zug unterhielten sich zwei Fahrgäste mit dem Ziel Berlin. Offensichtlich wollten sie das erste – bestenfalls das zweite – Mal in die Hauptstadt. Mit ihnen reisten Frauen und Kinder. Und sie verbrachten geschlagene 30 Minuten damit, sich durch den dichten Tarif-Dschungel des ÖPNV Berlins zu kämpfen. Tagesticket, Touristenticket… Warum nur muss in Deutschland ALLES so kompliziert und kleinteilig sein?

Vorher am Tag hatte ich einen Unternehmer gesprochen. Andere in seinem Alter sind längst in Rente. Er kämpft um die Existenz seiner Firma, die er vor 40 Jahren aufgebaut hat, die ein solides Geschäftsmodell hat und am Markt bestens eingeführt ist. Jetzt aber zermürben ihn immer neue staatliche Bürokratie-Hürden, die er für unsinnig hält. Sein Schäfchen hat er längst im Trockenen, aber seiner Tochter will er ein gesundes Unternehmen hinterlassen. Ob er es schafft, trotz der Politik in Berlin?

Er sieht aus wie ein Stammwähler der CSU oder SPD in Bayern. Gut gekleidet, aber nicht fashionable, ist der ältere Herr. Bei sich hat er einen kleinen und niedlichen Hund. Ich frage ihn nach Namen und Rasse. „Das ist ein Asylant. Der kommt aus Rumänien. Ich habe jetzt für den auch Flüchtlingsgeld beantragt, hab aber noch keine Antwort.“. Er lächelt verschmitzt. Es ist aber kein Witz, sondern seine politische Verzweiflung in einen Scherz verpackt. Es geht auch gleich weiter: die Klage über „die da in Berlin“ will nicht enden. Der Mann aus dem Mittelstand hat offensichtlich wirkliche Angst um seine wirtschaftliche Zukunft und um die Gesellschaft, in der er und ich leben. Wir verabschieden uns. Was wird der Herr im Oktober wählen? Was bei der nächsten Bundestagswahl?

Vier Begegnungen in einer Woche. Von ihnen war keiner ein Radikaler, weder Nazi noch Kommunist. Es waren völlig normale Bürger des (gehobenen) Mittelstandes, die still verzweifeln. Sie sind gedanklich weit fortgeschritten auf dem Pfad der (inneren) Emigration. Das Rückgrat unseres erfolgreichen und wohlhabenden Landes – es wackelt und bröckelt. Ihr Politiker in München, in Erfurt, in Mainz, in Berlin – hört die Signale!

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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