Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Ist Berlin Weimar?

Wiederholt sich die Geschichte? Die DDR ist schon lange weg, folgt ihr jetzt die Bonner Republik? Ist unser System am Ende?

Weimar ist eine kleine, schöne Stadt in Thüringen. Dort tagte ab dem 6. Februar 1919 die aus den Wahlen vom 19. Januar hervorgegangene Nationalversammlung, die eine Verfassung für die deutsche Republik nach der Hohenzollern-Monarchie ausarbeitete. So wurde die Republik zur Weimarer Republik.

In diesen Tagen jährt sich zum 90. Mal der Tag der sogenannten „Machtergreifung“. Am 30. Januar 1933 gegen 11.00 Uhr wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.

Ende Januar 1933 war die Ablehnung des „Systems“ parteiübergreifend und in weitesten Schichten der Gesellschaft Konsens. Der von einer Mehrheit der Deutschen als ungerecht empfundene Friedensvertrag von Versailles und der propagandistische Erfolg der Dolchstoß-Legende, die Verarmung des Mittelstandes durch die Hyperinflation 1923 in Folge der Ruhrbesetzung durch Franzosen und Belgier und die Folgen der Weltwirtschaftskrise seit 1929 ließen Millionen Schüler, Studenten, Arbeiter, Angestellte, Selbständige und Unternehmer ohne Perspektive zurück. Die Kluft des Elends zwischen dem glitzernden Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre und der Verelendung zum Beispiel der Bauern in Ostpreußen und Schleswig-Holstein war himmelschreiend. Mit diesen Entwicklungen kontrastierte eine scheinbare Abgehobenheit der Parteienvertreter, die in einer immer größer werdenden Zersplitterung schon seit 1930 keine parlamentarische Regierungs-Mehrheit im Reichstag mehr zustande brachten. Die Reichskanzler seit Hermann Müller regierten mit Notverordnungen nach Artikel 48 der Weimarer Verfassung.

In dieser Situation schien der Führer der Nationalsozialisten vielen als Heilsbringer. Versprach er doch Besserung der Lage und Einheit statt Zank. Dass Hitler verschwieg, wie er seine Ziele erreichen wollte, nahmen viele Wähler nicht zur Kenntnis. So kam es, dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte, obwohl auch er von einer parlamentarischen Mehrheit weit entfernt war. Und innerhalb von nur 3 Monaten war die Weimarer Republik implodiert. Die demokratischen Parteien waren verboten oder hatten sich und ihre Vorfeldorganisationen selbst aufgelöst. Die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände waren in der Deutschen Arbeitsfront aufgegangen. Und selbst die christlichen Kirchen hatten sich dem Dritten Reich angebiedert.

Die Folgen der nächsten 12 Jahre der Herrschaft der Nationalsozialosten sind bekannt.

Weimar und Berlin

Sie kennen mich.

Angela Merkel im Bundestagswahlkampf 2017.

Nicht mit Inhalten, sondern mit dem Amtsbonus der Kanzlerschaft haben CDU und CSU 16 Jahre lang Wahlen zum Deutschen Bundestag gewonnen. Es gelang ihnen dies trotz Banken-Krise, EURO-Krise, Flüchtlings-Krise. Oder doch eher wegen dieser Krisen? Die Bürger hatten wohl die Hoffnung, Merkel sei eine Kanzlerin, die Krise könne und Deutschland bei ihr in guten Händen. Schon während der Corona-Krise kamen Zweifel an dem Mythos der „Mutti“ auf. Nach dem Regierungswechsel im Dezember 2022 wird vielen Bürgern immer klarer, in welch desolater Verfassung unser Staat und unsere Gesellschaft sind.

Es geht nicht allein um den offensichtlich beklagenswerten Ausrüstungsstand der Bundeswehr. Es geht um eine werteverlorene Außenpolitik. Es geht auch um eine veraltete und zum Teil marode Infrastruktur – Schulen, Straßen, Schienennetz – und ein lahmes Internet. Der fehlende Fortschritt beim Ersatz der überstürzt und planlos abgeschalteten Atomkraft, die Ignoranz der Folgen des demografischen Wandels – der Arbeitskräftemangel in Wirtschaft und Gesundheitssystem ist für jeden Bürger schon heute spürbar – und ein Rentensystem, das finanziell vor dem Kollaps steht. Es geht um Wohnungsnot, Geldentwertung und Staatsverschuldung… Die Liste der Versäumnisse und Verfehlungen der Politik in Berlin ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Und nun? Jetzt haben wir einen Bundeskanzler Olaf Scholz, der einer selbsternannten Fortschritts-Koalition präsidiert, sich und seine Politik nicht erklären kann oder will, dafür aber von den Bürgern fordert

Vertrauen Sie mir!

Olaf Scholz im Bundestag.

Etwas viel verlangt – oder?

Auch in Berlin sind die extremistischen Ränder stark. Sie sind aber längst nicht so stark, wie am Ende der Weimarer Republik. Die AfD ist nicht so radikal wie die NSDAP, die Linke ist nicht so radikal wie die KPD war. Und noch sind die demokratischen Parteien – jedenfalls im Bundestag – ausreichend stark.

Zu denken sollte geben, dass inzwischen eine Mehrheit des deutschen Wahlvolkes nicht mehr davon überzeugt ist, dass die Demokratie die beste aller Regierungsformen sei. Die Verantwortlichen in Berlin befeuern diese Kritik, indem sie eigenes Versagen damit erklären, Brüssel sei schuld oder die Gesetze oder die Gerichte. Allerdings ändern sie nicht, was sie leicht ändern könnten. Und so geht der Schlendrian weiter, es wird laut geschwurbelt und hinterhältig diffamiert.

Berlin ist nicht Weimar. Bis es den Wählern an der Urne einmal reicht. Und dann könnte Berlin doch noch Weimar werden. Das darf niemals geschehen.

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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