Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Berlin wählt und zählt und quält

Hier ein paar plötzliche Wahlzettel, dort hat sich jemand verrechnet, Stadträte und Bürgermeister, die auf die Demokratie pfeifen. Berlin zeigts wieder allen.

Am Tag vor der Wahl war die Poststelle in Lichtenberg geschlossen. Und so konnte die Post 466 Wahlbriefe nicht einliefern, sie blieben halt einfach liegen. Und tauchten dann doch irgendwann auf und machten die SPD um 8 Stimmen reicher. Wow, klarer zweiter Platz vor den Grünen, die nun 113 Stimmen hinter den Sozialdemokraten liegen. Was für ein Triumpf für die Giffey-Partei: 113 Stimmen Vorsprung bei 3,68 Mio Einwohnern, 2,43 Mio Wahlberechtigten und immerhin noch 1,53 Mio Wählern. Aus 115 Stimmen leitet die SPD ihren Führungsanspruch in Berlin ab. Chapeau oder Chuzpe?

Eigentlich ist es einfach und klar – jeder Wahlberechtigte hat die gleiche Stimmenzahl, jede Stimme zählt gleich. Irgendwann wird eine Regierung gebildet, die alte Regierung tritt ab. So weit, so gut. Manchmal dauert es etwas länger, bis eine neue Regierung gebildet ist. So lange bleibt die alte Regierung im Amt, schließlich soll kein Macht-/Verwaltungs-Vakuum entstehen. Auch nachvollziehbar.

Das wird auch irgendwann in Berlin so sein, dass Rote Rathaus wird neu besetzt werden. Kai Wegner, Franziska Giffey oder Bettina Jarasch oder ein ganz anderer Name wird dann auf dem Namensschild des Chef-Büros stehen.

Wie aber sieht es auf der kommunalen Ebene, den Rathäusern der Bezirke aus? Auch hier hat die CDU klar gewonnen und leitet daraus selbstverständlich das Recht ab, in den neugewonnenen Bezirken den Bürgermeister zu stellen. Aber obwohl die CDU gewonnen hat und Mehrheiten organisieren kann, stellen sich einige Bezirksbürgermeister auf einen merkwürdigen Standpunkt. Sie seien doch für 5 Jahre gewählt und zu Wahl-Beamten für die ganze Legislatur-Periode ernannt. Da es sich bei der #Berlinwahl2023 um eine Wiederholungswahl handele, die die Legislatur-Periode weiterlaufen lasse, seien sie nicht abgewählt. Daher würden sie selbstverständlich nicht ihre Posten räumen. Ja, Sie lesen richtig. Diese „Volksvertreter“, die die Wahl im September 2021 so vermurkst hatten, dass jetzt Neuwahlen stattfinden mussten, halten sich nicht für abgewählt, sondern für ernannt.

Dieses „Ich bin ernannt!“ ist nicht nur undemokratisch, es ist auch unwürdig. Es schadet dem Ansehen der Person, es schadet dem Ansehen der Partei – hier SPD und B90/Grüne – und es schadet dem Ansehen der Demokratie

Natürlich sind die (unendlichen) Skandale um die Berlinwahlen nicht vergleichbar mit den Manipulationen der Kommunalwahl in der DDR im Mai 1989. Zur Implosion der DDR haben sie jedoch gewiss beigetragen.

Das Ansehen der Demokratie ist in unserem Land schon beschädigt. Dafür gibt es viele Gründe, die verhunzte Berlinwahl im September 2021 gehört gewiss auch dazu. Statt Verantwortung zu übernehmen, Einsicht und Demut zu zeigen, beharren einige Amtsträger auf vermeintlichen Rechten und Privilegien.

Wie diese Leute den Wahlbürgern bei der nächsten Wahl dann erklären wollen, sie müssten unbedingt zur Wahl gehen und gerade ihre Stimme sei entscheidend, bleibt das Geheimnis der Büro-Besetzer.

P.S. „Du bist wohl ein bisschen Berlin!“ ist das neue adjektivische Schimpfwort, kreiert am Freitag vom Phoenix-Moderator Stephan Kulle.

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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