Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.

Gedankenmacher: Berlin – die ges(ch)ichtslose Stadt

Aus der Geschichte lernen kann nur, wer die Geschichte kennt. Geschichte löschen, löst keine Probleme.

Berlin ist eine relativ junge Hauptstadt. Lieber als im – jetzt wieder aufgebauten Stadtschloss – hielten sich die Könige von Preußen in Potsdam auf. Als 1871 Berlin zur Hauptstadt des deutschen Kaiserreiches wurde, hielt es niemand für nötig, der Stadt ein repräsentatives Gesicht zu geben – anders als in Wien oder Paris geschehen. Berlin wuchs vor sich hin, das Stadtbild war durch wirtschaftliche Interessen geprägt. Das starke Wachstum der Stadt und die Eingemeindungen umliegender Städte – wie Charlottenburg und Reinickendorf – veranlassten den Stadtplaner James Hobrecht, den nach ihm benannten Hobrecht-Plan zu entwickeln. Dieser sah ein Straßensystem vor, das die verschiedenen alten und neuen Stadtteile Berlins großzügig miteinander verband. Später kam dann noch eine Baupolizeiordnung hinzu. Die schrieb innerhalb der recht großen Blöcke vor, dass die Bebauung maximal sechs Vollgeschosse bei einer Traufhöhe von 20 Metern umfassen durfte. Innenhöfe mussten eine Mindestfläche von 5,34 Meter im Quadrat haben, damit die Feuerwehrspritze wenden konnte. Das war’s auch schon mit den Vorgaben zur Stadtgestaltung.

In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickele Albert Speer im Auftrag der Nationalsozialisten den Plan, die Innenstadt Berlins repräsentativ umzugestalten. Germania sollte geprägt werden von einer sechs Kilometer langen und 120 Meter breiten Nord-Süd-Achse, die vom jetzigen Hauptbahnhof bis nach Tempelhof (Bahnhof Südkreuz) reichen sollte. An der neuen Prachtstraße waren Ministerien und Konzern-Zentralen sowie Museen und Gedenkstätten geplant. Der Plan wurde kriegsbedingt nicht umgesetzt, allerdings haben stadtplanerische Ideen der Verkehrsleitung Einzug in die Stadtplanung des Wiederaufbaus der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten.

Ein repräsentatives Gebäude für die Reichsbank allerdings wurde vom Reichbankbaudirektor Heinrich Wolff entworfen und unter seiner Leitung bis 1940 gebaut. Das Gebäude überstand den Bombenkrieg und die Schlacht um Berlin relativ unversehrt und wurde – nach einigen Zwischennutzungen – ab 1958 als Sitz des SED-Zentralkomitees genutzt. Nach der Friedlichen Revolution wurde es ab 1990 Haus der Parlamentarier. Beim Umbau 1996 bis 2000 zum Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland (Architekt war Hans Kollhoff) wurden die erhaltenen Reste der Innenausstattung der 1930er Jahre (Tresorkeller, Eingangsbereiche, Ehrenhalle, Verbindungsbrücken, Treppenhäuser) sowie typische Um- und Ausbaupartien der DDR-Zeit (Plenarsaal des Zentralkomitees mit Foyer und Garderoben, Sitzungssaal des Politbüros) bewahrt. Dieser Sitzungssaal des SED-Politbüros wurde bis vor kurzem als „Bismarck-Saal“ für Konferenzen genutzt. Nun wurde der Saal umbenannt in Saal der Deutschen Einheit. Nichts, wirklich nichts gegen die Deutsche Einheit. Aber ist es klug und nachhaltig, den Namen Bismarck aus der Geschichte löschen zu wollen? Man muss nicht mit allen Aspekten des politischen Handelns des preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzlers konform gehen – dass Otto von Bismarck einer der bedeutendsten Politiker der deutschen und europäischen Geschichte war und insbesondere dem stürmischen Imperialismusdrang des jungen Kaisers Wilhelm II. wirksam Einhalt gebot, wird ja wohl kein vernünftiger und gebildeter Mensch bestreiten können. Umso unverständlicher, dass Annalena Baerbock nichts Besseres und Wichtigeres zu tun hat, als der Bilderstürmerei ihrer Mitarbeiter Vorschub zu leisten.

Mit der willfährigen Namenslöschung werden weder die Geschichte noch die Welt besser. Vielmehr werden Erinnerung und Bewusstsein gelöscht, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird getilgt – ohne Grund, ohne Sinn, ohne Verstand.

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Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“

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