Experte: Die Bundesverwaltung steht vor großen demografischen Herausforderungen

Im exklusiven Interview mit DNEWS24 erklärt Dr. Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, vor welchen demografischen Herausforderungen die Politik in dieser Legislaturperiode steht.

DNEWS24: Woran liegt es nach Ihrer Meinung, dass der demografische Wandel als gesellschaftliches Mega-Thema im öffentlichen Diskurs nur eine Nebenrolle spielt?

Dr. Sebastian Klüsener: Ich würde aus meiner Erfahrung heraus nicht sagen, dass der demografische Wandel im öffentlichen Diskurs eine Nebenrolle spielt. Dafür sind Bevölkerungsprozesse zu wichtig. Diese Prozesse gehen auch weit über die Alterung der Gesellschaft hinaus, auf welche der demografische Wandel in der Vergangenheit häufig reduziert wurde. Die Zahl der geborenen Kinder ist zum Beispiel von hoher Bedeutung für die Steuerung des Bildungsangebots für Kinder und Jugendliche. Internationale Wanderungsprozesse tragen dazu bei, neue Impulse nach Deutschland zu bringen, stellen uns aber auch vor Herausforderungen bei der Integration von zuwandernden Personen. Interne Wanderungen haben Einfluss auf die Altersstruktur regionaler Bevölkerungen und die Bevölkerungsverteilung, was auch Rückwirkungen auf den Wohnungsmarkt hat. Die Alterung der Gesellschaft, welche noch einige Zeit anhalten wird, stellt unsere sozialen Sicherungssysteme vor große Herausforderungen.

Für zahlreiche Bundesministerien sind Themen des demografischen Wandels von zentraler Bedeutung. Hierzu zählt nicht nur das Bundesministerium des Innern und für Heimat, sondern etwa auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Bundesministerium für Gesundheit oder das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Insofern ist es nicht überraschend, dass die Expertise von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung in vielen Ministerien gefragt ist.

Ich stimme Ihnen aber zu, dass die Alterung der Gesellschaft aktuell etwas weniger im öffentlichen Fokus steht, als dies noch vor 10 bis 15 Jahren der Fall war. Damals entdeckte die Gesellschaft dieses Thema. Es gab Themenwochen im Fernsehen und die damalige Kanzlerin Angela Merkel erklärte die Alterung zur Chefinnensache. Es wäre aber falsch, daraus den Rückschluss zu ziehen, dass dieses Thema heute eine Nebenrolle spielen würde. Es ist eher so, dass die Folgen der alternden Gesellschaft heute differenzierter diskutiert werden.

Paradoxerweise rächt sich jetzt auch ein bisschen, dass die Thematik von der Politik sehr früh und vorausschauend angegangen wurde. Dies hat dazu geführt, dass diese Herausforderung schon lange diskutiert wird, ohne dass wir bisher auf der nationalen Ebene große Folgen gespürt haben. Dies erschwert es der Bevölkerungswissenschaft, Gesellschaft und Politik aktuell dafür zu sensibilisieren, dass gerade die nächsten Jahre sehr entscheidend für die Frage sind, ob wir die Alterung der Gesellschaft erfolgreich gestalten werden. Dies klarzumachen, ist aktuell ein Hauptanliegen meines Instituts.

DNEWS24: Vor welchen Herausforderungen steht Deutschland in dieser Legislaturperiode?

Dr. Sebastian Klüsener: Wir leben in einer sehr dynamischen Welt. Insofern sind die Herausforderungen, vor denen Deutschland steht, sehr vielfältig. Hinsichtlich der Alterung der Gesellschaft ist eine Herausforderung, als Land weiterhin dynamisch zu bleiben. Angesichts der Alterung der Babyboomer stehen wir auch in der öffentlichen Verwaltung in den nächsten Jahren vor einer großen Ruhestandseintrittswelle. Diese eröffnet Chancen für eine zügigere moderne Umgestaltung der Verwaltung. Gleichzeitig müssen wir aber auch Sorge tragen, dass die älteren Beschäftigten in der Lage sind, ihr Wissen und ihre Erfahrung an Jüngere weitergeben zu können, um in dieser wichtigen Phase der Alterung der Gesellschaft Wissensverluste zu vermeiden. Hierzu gibt es in der Verwaltung schon sehr viele ausgereifte Angebote.

Durch die Alterung der Gesellschaft ist auch mit einer Verstärkung des Fachkräftemangels und Herausforderungen für das Rentensystem zu rechnen. Um diese gut bewältigen zu können, kann die Ausweitung der Erwerbsbeteiligung von Älteren und Frauen einen wichtigen Beitrag leisten. Mit der Flexi-Rente besteht dabei für Ältere schon ein gutes Anreizsystem. Dieses wird aber bisher noch relativ wenig genutzt. Daneben plant die neue Regierung noch einen Ausbau von Präventionsmaßnahmen, um ein längeres gesünderes Arbeiten zu ermöglichen. Dies kann ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten, gesundheitsbedingte frühzeitige Renteneintritte zu reduzieren.

Prävention spielt auch eine wichtige Rolle, um die Herausforderungen durch die Alterung im Gesundheitssystem besser bewältigen zu können. Deutschland liegt bei der Gesundheitsprävention im internationalen Vergleich zurück. Viele kostspielige Erkrankungen könnten verhindert werden, wenn Deutschland diesbezüglich zu den Spitzenreitern aufschließt. Dies würde nicht nur Kosten senken, sondern auch allgemein zu einer höheren Lebenszufriedenheit beitragen. Insofern freut es mich, dass der Koalitionsvertrag der neuen Regierung zahlreiche Maßnahmen enthält, mit welchen die Gesundheitsprävention in Deutschland ausgebaut werden soll.

DNEWS24: Welche Forderungen haben Sie an die Politik?

Dr. Sebastian Klüsener: Als Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung begrüße ich es sehr, dass die neue Regierung die Modernisierung der Bundesverwaltung vorantreiben will. Herausforderungen wie die Alterung der Gesellschaft, die Corona-Krise oder der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine verdeutlichen, wie wichtig eine leistungsfähige Verwaltung ist, um im Zusammenspiel mit Wirtschaft und Gesellschaft heutige und zukünftige Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Auch zeigt, sich, wie wichtig der schnelle Zugang zu belastbaren Daten für gutes Verwaltungshandeln ist. Diesbezüglich gehört Deutschland im internationalen Vergleich leider nicht zu den Spitzenreitern. Auch wir als Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung sehen uns hier in der Verantwortung, und leisten im Rahmen dieser Modernisierung und beim Streben nach einem schnelleren Zugang zu belastbaren Daten unseren Beitrag.

Dr. Sebastian Klüsener ist Forschungsdirektor des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) untersucht die Ursachen und Folgen des demografischen Wandels und hat die Aufgabe, die Bundesregierung und Bundesministerien auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung zu beraten. Dazu gehört auch die Unterstützung der Bundesregierung bei der internationalen Zusammenarbeit in Bevölkerungsfragen im Rahmen der Vereinten Nationen. Die Information der Öffentlichkeit über den demografischen Wandel und die Forschungsergebnisse ist eine weitere wichtige Aufgabe.

Das BiB wurde 1973 gegründet und hat seinen Sitz in Wiesbaden.

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