Exklusiv: dbb-Chef Ulrich Silberbach fordert im DNEWS24-Interview von der Bundesregierung eine demografiesensible Personalpolitik

Der Chef der Vertretung der Beamten in Deutschland, Ulrich Silberbach, sieht das Thema Demografie im öffentlichen Dienst vernachlässigt. Der neuen Bundesregierung wirft er fehlende Absichten vor.

In Deutschland sind etwa 1,7 Millionen Beamte tätig. Davon sind 52,9 % älter als 45 Jahre, jeder zehnte ist älter als 60 Jahre. Was bedeutet der demografische Wandel für die Leistungsfähigkeit unseres Staates? Der Präsident des dbb und der Tarifunion hat dazu eine klare Meinung und fordert die Bundesregierung zum Handeln auf.

DNEWS24: Der demografische Wandel kommt jetzt im Bewusstsein des Öffentlichen Dienstes an. Wie ist die demografische Lage konkret?

Ulrich Silberbach: Deutschlands öffentlicher Dienst ist überaltert. Von den derzeit rund 5 Millionen Beschäftigten – Beamtinnen, Beamte und Arbeitnehmende – sind rund 1,3 Millionen über 55 Jahre. Das heißt, sie werden in den kommenden 10 Jahren altersbedingt ausscheiden. Betrachtet man den Zeitraum der kommenden 20 Jahre, verdoppelt sich diese Zahl fast auf über 2,5 Millionen zu erwartende Ruhestandseintritte. Parallel zu dieser demografischen Herausforderung kämpft der öffentliche Dienst bereits heute mit einem strukturellen Personaldefizit von mehr als 300.000 Beschäftigten, die schon heute zur Erledigung der übertragenen Aufgaben fehlen.

DNEWS24: Welche Bereiche sehen Sie in ihrer Funktionsfähigkeit durch die Auswirkungen des demografischen Wandels bedroht?

Ulrich Silberbach: In Anbetracht dieser Größenordnungen reden wir über die Funktionsfähigkeit sämtlicher Bereiche des öffentlichen Dienstes – von Betreuung und Bildung über Sicherheit inklusive IT-Sicherheit und Bürgerdienste bis hin zu Infrastruktur, Finanz- und Allgemeinverwaltung werden alle Sektoren unmittelbar betroffen sein, wenn wir nicht gegensteuern. Hinzu kommen natürlich die mittelbaren Defizite, die ein nicht aufgabenentsprechend ausgestatteter öffentlicher Dienst zur Folge hat: Als wichtiger Standortfaktor ist der Public Sector schließlich auch entscheidend für Fachkräfteausbildung, Konjunktur und sozialen Zusammenhalt, weswegen es auch hier zu Verwerfungen und Fehlentwicklungen kommen dürfte. Wir erleben das ja streckenweise bereits heute, wenn sich der Unmut der Menschen über einen nicht funktionierenden Staat gegenüber den Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staats entlädt. Immer häufiger werden die Bediensteten Opfer von verbalen und physischen Attacken…

DNEWS24: Die Demografie ist wahrlich kein neues Thema. Welche Versäumnisse sehen Sie in der Personal-Politik?

Ulrich Silberbach: Der Personal-Politik von Arbeit- und Dienstgebenden beim Staat fehlt seit Jahren die Weitsicht. Geschuldet ist das möglicherweise der Tatsache, dass es sich bei ihnen überwiegend um Politikerinnen und Politiker handelt, die eben qua Amt auch Personalverantwortliche für den öffentlichen Dienst sind. Politik wiederum denkt in Legislaturperioden und Haushaltsjahren – das konterkariert natürlich jede nachhaltige Personalpolitik. Eine Entschuldigung ist dies gleichwohl nicht, denn wenn die Begeisterung für schwarze Nullen dazu führt, dass der öffentliche Dienst durch Stellenabbau, Befristungen, überbordende Bürokratie und schleppende Digitalisierung an die Grenze der Funktionsfähigkeit gebracht wird, ist das ein massives Politikversagen mit gravierenden Folgen für das Land und die Menschen, die hier leben. Seit Jahrzehnten appellieren wir an die Entscheidenden bei Bund, Ländern und Kommunen, dass sie ihre Personalpolitik demografiefest gestalten müssen. Wenn ein Unternehmer weiß, dass in naher Zukunft rund ein Drittel seiner Belegschaft mitsamt Knowhow und Erfahrungsschatz geht, sorge ich beizeiten mit strategischen Neueinstellungen vor, damit ich am Ende personell nicht in schweres Fahrwasser gerate. Der Staat aber zögert hier und hat keine nachhaltigen Antworten auf den Demografiewandel, wenn es um das eigene Personal geht.

DNEWS24: Gibt es demografische Komponenten in den Tarifvereinbarungen?

Ulrich Silberbach: Aktuell eher wenige und wenn, dann leider nur punktuell in einzelnen Branchen oder auf regionaler Ebene. Ideal wäre, neben dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit der Bestandsbeschäftigten, dass man eine Art Drehtür-Effekt fördert, also attraktive Altersteilzeitmodelle für ruhestandsnahe Kolleginnen und Kollegen anbietet und mit den finanziellen Ressourcen, die dadurch freigesetzt werden, Berufsnachwuchs zu ebenfalls attraktiven Konditionen einstellt. Grundsätzlich müssen wir aber feststellen, dass es flächendeckend oft noch immer am Problembewusstsein für den demografischen Effekt mangelt, in dem öffentlichen Dienst jetzt schon mittendrin steckt. Viele Behörden und Verwaltungen wissen noch immer überhaupt nicht konkret, in welchem Umfang sie in den nächsten Jahren von Altersabgängen betroffen sein werden. Eine solide Datenlage ist natürlich Dreh- und Angelpunkt für eine nachhaltige und demografiefeste Personalstrategie. Wir fordern das auch seit Jahren von den Arbeit- und Dienstgebenden, aber der große Wurf ist da leider noch nicht in Sicht, weder im Arbeitnehmenden- noch im Beamtenbereich.

DNEWS24: Die qualifizierte Ausbildung neuer Kräfte nimmt Zeit in Anspruch, zum Teil fehlt es massiv an Nachwuchs. Wie wollen Sie die demografische Fachkräftelücke schließen?

Ulrich Silberbach: Der Staat muss jetzt aktiv um Nachwuchs werben – denn der Arbeitsmarkt ist denkbar knapp: Zahlreiche Arbeitgebende konkurrieren insbesondere um die jungen Menschen und Fachkräfte, gerade im Bereich IT ist der Wettbewerb ums Personal enorm. Um motivierten Nachwuchs und Fachkräfte für sich zu gewinnen, muss der Staat als Arbeitgeber seine Attraktivitätsmerkmale sichtbarer machen und dort, wo erforderlich, auch stärken. Das fängt bei Bezahlung und modernen Arbeitsbedingungen mit Karriereperspektiven an und hört bei dem Argument, dass es sich um eine sinnstiftende Tätigkeit handelt, noch lange nicht auf. Wir müssen auch über Vereinbarkeitsaspekte und gegebenenfalls Zulagen für besonders gefragte Berufe reden.

DNEWS24: Welche Forderung haben Sie an die neue Bundesregierung?

Ulrich Silberbach: Die neue Bundesregierung will in ihrer Legislatur „Mehr Fortschritt wagen“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Sie will einen ermöglichenden, lernenden und digitalen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet, das Leben einfacher und staatliches Handeln schneller und effektiver macht. Diese Zielrichtungen unterstützt der dbb in jeglicher Hinsicht, und wir nehmen die Bundesregierung beim Wort: Sie muss dafür sorgen, dass der öffentliche Dienst personell und materiell für die großen Zukunftsaufgaben gewappnet ist. Dazu gehört auch eine demografiesensible Personalpolitik.

DNEWS24: Herr Silberbach, vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch.

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