Es gab schon schlimmere Jahre – ein persönlicher Rückblick auf 2020

2020 war das ungewöhnlichste und wichtigste Jahr unseres Lebens. Größer wird es nicht.

Ich genieße die Gnade der späten Geburt in Deutschland. Ich habe sie nicht erlebt. Zeiten wie den Hungerwinter 1946/1947, als in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg Hunderttausende Menschen verhungerten und erfroren. 1932, als 7 Millionen Arbeitslose nicht wussten, wovon sie ihre Familien ernähren sollten. Oder 1923 das Jahr der Hyperinflation, als der deutsche Mittelstand all seine Ersparnisse verlor.

Die Ereignis-Kette ließe sich – fast beliebig lang – fortsetzen. Das 20. Jahrhundert war voll von Katastrophen. Nicht nur in Deutschland. Erinnert seien an den Holocaust – die Ermordung von 6 Millionen Juden in Europa – und den Holodomor, die von der Kollektivierungs-Politik der KPdSU Stalins verursachte schwere Hungersnot in der Ukraine in den Jahren 1932 und 1933, der zwischen drei und vierzehn Millionen Menschen zum Opfer fielen. Die „Große Chinesische Hungersnot“ – ausgelöst durch den „Großen Sprung“, den die kommunistische Partei unter Mao Zedong angeordnet hatte – ereignete sich 1959–61 in der Volksrepublik China. Die Schätzungen der Toten reichen von 15 bis 55 Millionen Menschen. Sie wird allgemein als die größte Hungersnot in der Geschichte der Menschheit sowie als eine der größten von Menschen verursachten Katastrophen angesehen. Die Spanische Grippe war eine Influenza-Pandemie, die sich zwischen 1918 – gegen Ende des Ersten Weltkriegs – und 1920 in drei Wellen verbreitete und bei einer Weltbevölkerung von damals etwa 1,8 Milliarden laut WHO zwischen 20 Millionen und 50 Millionen Menschenleben forderte, andere Schätzungen reichen bis zu 100 Millionen.

Nein, so schlimm ist die Not, die durch die Coronavirus-Pandemie bei uns ausgelöst wurde, nicht. Noch nicht?

Nicht nur ich weiß von solchen Tragödien, wie die oben genannten, nur aus den Geschichtsbüchern. Die meisten von uns sind nach 1945 aufgewachsen und kennen nur das Leben in Frieden und behaglichem Wohlstand in unserem schönen Land. Klar, es gibt Fernsehbilder aus Biafra, Vietnam, Kambodscha, dem Libanon, der Ost-Ukraine oder Syrien. Im Zweifel ist das aber alles weit weg. Und selbst Urlauber in Ägypten genießen heute den All-Inclusive-Service der Luxus-Resorts und sehen nicht das schreiende Elend der Menschen und die restriktive Diktatur der Oligarchie. Putin ist ein „lupenreiner Demokrat“, wenn man dem Zeugnis eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers a.D folgen mag, Tschetschenien-Krieg, Krieg in Georgien, Annektion der Krim, Krieg in der Ost-Ukraine, Gift-Anschläge auf Oppositionelle hin oder her. Und unsere Noch-Bundeskanzlerin schwärmt vom totalen Überwachungs-Staat China und sonnt sich fast zeitgleich im charismatischen Glanz des tibetischen Dalai Lama.

Krieg, Not, Hunger, Elend, Heuchelei sind überall.

Das war leider schon immer so und ist auch 2020 so geblieben.

Dennoch wird uns das Jahr 2020 besonders in Erinnerung bleiben. Es haftet im kollektiven Gedächtnis als ein Jahr, das die Wahrnehmung der Welt grundlegend veränderte. Die Coronavirus-Pandemie ist so epochal wie die Erfindung des Buchdrucks und damit die Demokratisierung der Bildung. Oder die Erfindung des Automobils in Verbindung mit dessen Massen-Produktion, die zu einer Demokratisierung der Mobilität führte. Die Pandemie zeigt auf, dass viele Menschen den Common Sense einer bürgerlichen Gesellschaft verloren haben. Auch wenn es (noch?) stimmt, dass eine knappe Mehrheit der Bürger die Einschränkungen, die ihnen die Bundesregierung auferlegt, akzeptiert, so wird doch der Kreis der Menschen, die den Sinn der Maßnahmen nicht begreifen und offen oder heimlich dagegen rebellieren, immer größer. Nur zur Einordnung: Teile dieser Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie sind so radikale Einschränkungen der fundamentalen Freiheits-Rechte, wie wir sie seit Jahrhunderten in unserem Land nicht mehr gesehen haben: temporäre Berufsverbote, Verbote von Gottesdiensten, Ausgangsbeschränkungen, Einschränkungen der Freizügigkeit (Reisen), Aufhebung der Schulpflicht…

Schlimmer noch: Presse und Experten suhlen sich in einer Kakophonie der Begrifflichkeiten und Befindlichkeiten. Glaubt man der veröffentlichten Meinung, sind wir ein Volk von Covidioten, meinungsschwankenden und telegeilen Wissenschaftlern und völlig unfähigen Verantwortlichen an den Schalthebeln der politischen Macht. Da hilft es auch wenig, wenn die wöchentlich oder monatlich veröffentlichen Demoskopie-Zahlen Zustimmungswerte für die CDU/CSU belegen, dass die Mehrheit der Bürger genau das will, was gerade in unserem Land geschieht, um die Coronavirus-Pandemie zu bekämpfen. Nein, die Medien wissen es besser und machen ja sowieso keine Fehler. Und sie tragen ja auch keine Verantwortung, außer für Auflagen und Quoten…

Es fällt unglaublich schwer, in dieser Situation den Kompass des Richtigen und Wahrhaften zu bewahren.

Erschwert wird das Leben durch die Quengelei der Sprachpolizei, die das Setzen des Gendersternchens für die höchste moralische Stufe der Evolution hält. Oder die Berichterstattung über Donald Trump, über dessen Nicht-Wiederwahl sich so viele Medien unisono freuen, ohne zu hinterfragen, wieso dieser als so völlig verblödete Narziss und Hochstapler dargestellte TV-Star 71 Millionen US-Wähler von sich und seinen Botschaften überzeugen konnte. Der Obama-Klon Joe Biden hat eben keinen Erdrutschsieg errungen und da muss man sich schon mal fragen, was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der Social Media des Silicon Valley so fundamental schiefläuft. Oder schauen wir auf linke „Gutmenschen“, die während der Pandemie zu Tausenden gegen die rassistische Polizei der USA demonstrieren, weil ein Polizist einen Bürger dunkler Hautfarbe zu Tode gebracht hat. Gleichzeitig nehmen diese selbsternannten Moralapologeten es aber lautlos und klaglos hin, wenn Tausende von Kindern – ja Babys – in ihrer Nachbarschaft erniedrigt, geschlagen, vergewaltigt und ermordet werden.

Betrachten wir das Verhalten von Frau Ute Teichert. Sie ist Vorstandsvorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e.V. (BVÖGD) und forderte, Gottesdienste zu Weihnachten zu verbieten, da sich bei Gottesdiensten so viele Menschen mit Covid-19 infizieren. Ach ja? In welchem katholischen Dom, in welcher evangelischen Pfarr-Kirche kam es denn zu Superspreader-Geschehen? Vielleicht hat Frau Teichert ihre Forderung aber auch noch schnell formuliert, bevor sie sich mit zehntausenden anderen am Flughafen in die Warteschlange einreihte, um dann in einer staatlich mit 9 (!) Milliarden Euro subventionierten Flug-Röhre der Lufthansa in den Weihnachts-Urlaub zu fliegen… Dann stört sie wenigstens der Lärm der Fax-Geräte in den Gesundheitsämtern nicht. Oder das Rufen nach Papa und Mama der Kinder, deren Eltern fast rund um die Uhr schuften, um Impfdosen zu verabreichen, die es nicht genügend gibt.

„Ick kann janich so viel fressen, wie ick kotzen möchte!“ (Max Liebermann).

2020 war das Jahr der Wahrheit. Jeder der sehen und hören konnte hat mitbekommen, wie schlecht wir auf eine Gesundheits-Katastrophe dieses Ausmaßes organisatorisch vorbereitet waren – und immer noch sind. Jeder weiß nun, wie stark die Modernisierung unserer Infrastruktur – Stichwort Digitalisierung – versäumt wurde. Jeder weiß nun, dass völlig übertriebener Datenschutz nicht nur Täterschutz ist, sondern real Leben kostet – siehe die famose und kastrierte Corona-Warn-App, die so wie sie ist, kaum nützlich ist. Jeder kann sich ausmalen, welche Verteilungs- und Generationen-Kämpfe im demografischen Wandel uns noch blühen, wenn ein „Grüner Dorf-Schulze“ wie der Tübinger OB Boris Palmer Alte während der Coronavirus-Pandemie lieber sterben lassen will, weil die eben alt sind und ihre Lebenserwartung bald abläuft. Ist das eine moderne Form der Euthanasie?

Die Rechnung all der Hilfs-Maßnahmen, die die Regierungen im Bund und in den Ländern beschlossen haben, wird meine Generation nicht bezahlen. Das müssen meine Töchter tun und die werden sich dafür bedanken, wenn sie auch noch die Renten und die stark steigenden Gesundheits-Kosten bezahlen dürfen, weil die Lebenserwartung der Bürger immer mehr anwächst.

2021 wird das Jahr der Hoffnung und Gemeinschaft, der gelebten Solidarität. Wenn alles gut geht. Nehmen wir uns vor, unseren Anteil zum Gelingen beizutragen. Dann können WIR das schaffen.

Wir können sehen: die Gesellschaft teilt sich in Vernünftige und Unvernünftige. Auf der Straße genauso wie in den Parlamenten. Wissenschaftler sind zu großartigsten Leistungen fähig, können sie doch binnen Monaten Impfstoffe entwickeln, die die Menschheit von einer Geißel befreien werden. Wir wissen jetzt, welche Lücken und Mängel unsere Gesellschaft hat. Mit Solidarität und Mut können wir die nächsten Jahre zu den „Goldenen Zwanzigern“ machen. Für alle Menschen und jeden Bürger in unserem Land. Wir können es. Werden wir es auch tun?

Der Autor

Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.

Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“