DIW-Chef Fratzscher warnt vor einem Kollaps der gesetzlichen Rente

Reform-Versäumnisse und der demografische Wandel gefährden die Stabilität der Rente, sagt Marcel Fratzscher in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz – der vielleicht nächste Bundeskanzler – will das Rentenniveau bei 48 % lassen und die Lebensarbeitszeit soll bei gleichbleibenden Rentenbeiträgen stabil bleiben. Dabei gibt es immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler. Die umlagefinanzierte Rente wackelt immer stärker. Der Chef des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher sieht in diesem System eine Gerechtigkeitsfrage.

Fratzscher glaubt nicht, dass das Rentenniveau von 48 % auf Dauer zu halten sei, so der DIW-Chef in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Dabei reiche das Rentenniveau gerade für Geringverdiener, die keine zusätzliche Private Altersvorsorge aufbauen können, angesichts steigender Lebenshaltungs-Kosten und Mieten kaum zum Leben aus. Mit Sorge sieht der DIW-Chef, dass in den nächsten Jahren vor allem weibliche Geringverdiener mit gebrochenen Erwerbs-Biografie .in Rente gehen und dann von Altersarmut gefährdet seien.

Das Beitragsniveau von derzeit 19 % sieht Marcel Fratzscher als Hemmschuh im internationalen Konkurrenz-Kampf. Sowohl auf Seiten der Unternehmen und ihrer Personal-Kosten als auch derjenigen, die mit dem Gedanken spielen nach Deutschland zu kommen, um zu arbeiten und bei denjenigen, die sich sowieso schon mit Plänen zur Auswanderung tragen.

Der Bundeszuschuss von 100 Mrd. Jahren zur Finanzierung der gesetzlichen Rente entspräche derzeit etwa 25 % des Bundeshaushaltes. Dieser Bundeszuschuss wird sich bei unveränderten Bedingungen binnen der kommenden 20 Jahre nach Einschätzung des Wirtschafts-Experten verdoppeln, nicht auf 200 Mrd, sondern auf 50 % des Bundeshaushaltes.

Fratzscher fordert mehr Flexibilität beim Renteneintrittsalter, um denen, die wollen und können, auch die Möglichkeit zu geben, ihre Lebensarbeitszeit der gestiegenen Lebenserwartung anzupassen. Gleichzeitig sieht der DIW-Chef aber in einer längeren Lebensarbeitszeit kein generelles Mittel zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente, da vor allem Geringverdiener häufig gar nicht in der Lage seien, überhaupt das aktuell gültige Renteneintrittsalter von 67 Jahren zu erreichen.

Der Ökonom weist darauf hin, dass altersarme Menschen auch eine verkürzte Lebenserwartung haben. Fratzscher sieht einen deutlichen Zusammenhang zwischen (Alters-)Einkommen und Lebenserwartung.

Der Schlüssel für eine Stabilisierung des Rentensystems ist für Fratzscher eine Erhöhung der Zahl derjenigen, die Renten-Beiträge zahlen vor allem aber ein höheres Lohn-Niveau. Nur wer Vollzeit arbeite und gut verdiene, könne im Alter eine auskömmliche Rente erwarten. Aktuell arbeitet jeder fünfte Arbeitnehmer im Bereich des Mindestlohnes, so Marcel Fratzscher im Interview mit dem Deutschlandfunk.