Die verlorene Unschuld der Annalena B.

Einkommen vergessen zu deklarieren – kann passieren? Vielleicht. Darf aber nicht passieren, wenn man immer mit der moralischen Keule auf Andere zeigt.

Sie stellen sich gern als (moralisch) überlegen dar. Annalena Baerbock und Franziska Giffey werden nun von ihrer Realität eingeholt.

Frau Baerbock hat „vergessen“, Zahlungen ihrer Partei Bündnis90/Die Grünen an sich gegenüber dem Bundestag zu deklarieren. Sie hat das nun nachgeholt, aber nicht nachvollziehbar erklärt („Blödes Versäumnis.“), warum sie diese Meldung nicht fristgerecht und ordnungsgemäß vorgenommen hat. Vielleicht ist ein Grund, dass das Einkommen von Frau Baerbock als Mitglied des Deutschen Bundestages und Bundesvorsitzende der Partei Bündnis90/Die Grünen schon sehr hoch ist: Abgeordnetenentschädigung monatlich 10.083,47 Euro, steuerfreie Pauschale von 4.497 Euro monatlich als Teil der Amtsausstattung, für Handys, Laptops, Faxgeräte oder Büromaterial stehen den Abgeordneten jährlich noch mal eine Kostenpauschale von bis zu 12.000 Euro zu. Monatlich 22.201 Euro (Arbeitnehmer-Brutto) stehen Frau Baerbock für die Beschäftigung von Mitarbeitern zur Verfügung. Daneben stehen Frau Baerbock folgende Leistungen bereit: Flüge im Rahmen der Abgeordnetentätigkeit (innerhalb Deutschlands), Netzkarte der Deutschen Bahn (BahnCard 100, 1. Klasse im Wert von 6.500 Euro p.a., auch privat nutzbar), Nutzung der Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestages in Berlin, Monatskarte der Berliner Verkehrsbetriebe. Hinzu kommt noch eine Altersentschädigung, für die Abgeordnete keinen Eigenanteil zahlen. Frau Baerbock erhält darüber hinaus in diesem Jahr 30.000 Euro Buch-Honorar. Von der Bundes-Geschäftsstelle Bündnis90/Die Grünen hat Frau Baerbock 25.220 Euro ausgezahlt bekommen. So hoch ist der Gesamtbetrag, den Annalena Baerbock in den Jahren 2018 bis 2020 aus der Kasse der Bundespartei der Grünen erhalten hatte. Explizit handelt es sich um drei Beträge in Höhe von 6788,60 Euro (Weihnachtsgeld, 2018), 9295,97 Euro (Weihnachtsgeld und Bonus für das sehr gute Ergebnis bei der Europawahl, 2019) und 7635,71 Euro (Weihnachtsgeld und „coronabedingte Sonderzahlung“, 2020). Weihnachtsgeld in Höhe von rund 7.000 Euro? Da würde sich jede Pflegerin, jeder Facharbeiter, jede alleinerziehende Mutter in Teilzeit, jeder Vater in Corona-Kurzarbeit, jeder altersarme Rentner freuen, wenn er so ein Weihnachtsgeld bekäme. Ganz schön abgehoben von der sozialen Realität in unserem Land, diese Grünen… Boni für „erfolgreiche“ Wahlkämpfe – auch ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen.

Ãœbrigens sind die Zahlungen der Partei-Zentrale an die Bundesvorsitzende rechtlich strittig. Die Corona-Sonderzahlung ist für „Corona-Helden“ gedacht und für Beschäftigte als Zusatz zum Arbeitslohn vorgesehen. Laut Bundesfinanzministerium ist Voraussetzung für steuerfreie Zulagen, dass diese „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden“. Aber: Die Finanz- und Ehrenordnung der Grünen sieht für Baerbock kein Gehalt von ihrer Partei vor – weil sie zugleich Abgeordnete ist und Diäten bezieht. Frau Baerbock hat nun angekündigt, ihre Corona-Zulage nachversteuern zu wollen.

Auch das Verhalten von Franziska G. hat ein Gschmäckle

Frau Giffey hat, das steht außer Frage, ihre Doktorarbeit – mit der sie sich immer gern geschmückt hat – nicht korrekt erstellt. Nach monatelangem Zögern hat sie nun ihren Rücktritt als Bundesministerin erklärt, will aber weiterhin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters in Berlin kandidieren. Dass die SPD – Olaf Scholz, Norbert Walter-Borjans, Raed Saleh – Giffey loben, mag parteitaktisch notwendig sein, will die SPD in der Hauptstadt nicht endgültig den Total-Absturz programmieren. Warum allerdings die amtierende Bundeskanzlerin den Rücktritt von Frau Giffey bedauert und nicht für nötig hält, erschließt sich nicht. Offenbar hat Angela Merkel ihren politischen  Instinkt verloren und ihren moralischen Kompass verlegt.

Ãœbrigens ist der Rücktritt von Frau Giffey kein schlechtes Geschäft für sie. Zwar büßt sie Dienstwagen, Dienstzimmer und einen großen persönlichen Mitarbeiter-Stab ein. Aber: das Ãœbergangs-Geld für die ehemalige Bundesministerin ist großzügig bemessen und erlaubt Frau Giffey einen Lebensstil, der sich doch sehr von den Millionen Bürgern in Deutschland abhebt, die zur Wähler-Klientel der SPD gehörten. Laut Bundesministergesetz stehen ihr für zwei Jahre maximal 221.751 Euro Ãœbergangsgeld zu…

Raffkes

Frau B. und Frau G. nehmen das Geld, wo sie es kriegen können. Sie finden nichts dabei und zeigen so lange mit dem Moral-Finger auf andere Raffkes, bis sie von der Wirklichkeit eingeholt werden. Der Wähler wird es ihnen danken…

Uwe-Matthias Müller ist Gründer des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und des European Center of Competence for Demography.

Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.