Arbeit und Demografie in DNEWS24

Die Rente mit 63 zerstört den Generationenpakt – Bundeskanzler will die Deutschen länger arbeiten lassen

Sie sind gut ausgebildet und erfahren. Sie sind gesund und könnten länger arbeiten. Aber immer mehr Babyboomer gehen immer früher in Rente. So werden der Fachkräftemangel und die Finanzierungslücken im Rentensystem immer größer.

Statt einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit – die Ausweitung der Erwerbstätigkeit im höheren Alter stagniert bei den Babyboomern

Die vom BiB ausgewerteten Mikrozensus-Daten zur Entwicklung der Erwerbsbeteiligung zeigen, dass die Erwerbstätigenquote im höheren Alter zwischen 2000 und 2015 stark zugenommen hat: Bei 60- bis 64-jährigen Männern hat sich die Erwerbstätigenquote mehr als verdoppelt, bei Frauen im gleichen Alter gab es sogar eine Vervierfachung. Dieser Trend wurde von den zwischen 1940 und 1950 geborenen Personen bestimmt, die länger erwerbstätig waren als die Geburtsjahrgänge vor ihnen. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei: „Zum einen gab es politische Reformen, die den längeren Verbleib im Arbeitsmarkt gefördert haben. Gleichzeitig können heute im Vergleich zu früher mehr Tätigkeiten auch noch im höheren Alter ausgeführt werden. Außerdem sind ältere Personen im Durchschnitt gesünder im Vergleich zu früheren Generationen“, erklärt Harun Sulak, wissenschaftlicher Mitarbeiter am BiB.

Bei den stark besetzten Babyboomer-Jahrgängen, die aktuell auf den Ruhestand zugehen, lassen sich in den letzten Jahren hingegen kaum noch Anstiege bei der Erwerbstätigenquote verzeichnen. Aktuell scheiden viele bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsmarkt aus und damit deutlich vor der Regelaltersgrenze. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die seit 2014 bestehende Möglichkeit des frühzeitigen Rentenbezugs ohne Abschläge für besonders langjährig Versicherte, die sogenannte „Rente mit 63“. Im Jahr 2021 erfolgte fast jeder dritte Zugang zur Altersrente über diesen Weg. Darüber hinaus zeigen aktuelle Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, dass in den letzten Jahren vermehrt Personen vor der Regelaltersgrenze in den Ruhestand gehen und hierfür Abschläge bei der Rentenhöhe in Kauf nehmen. Diese Gruppe machte unter allen, die 2021 erstmals eine Altersrente bezogen, etwa ein Viertel aus – im Mittel erfolgte der Rentenzugang bei ihnen knapp 28 Monate vor der Regelaltersgrenze.

Der Generationenpakt bröckelt – die Entwicklung gibt aus finanz- und arbeitsmarktpolitischer Sicht immer mehr Anlass zur Sorge

Die Stagnation des Anstiegs ist angesichts der Größe der Babyboomer-Jahrgänge von hoher Bedeutung. Der vorzeitige Austritt aus dem Erwerbsleben wirkt bei dieser Generation besonders stark auf das volkswirtschaftliche Arbeitsangebot und verstärkt den Mangel an erfahrenen, qualifizierten Arbeitskräften. Noch offen ist die Entwicklung bei den jüngeren nach 1960 geborenen Babyboomern, die momentan auf den Renteneintritt zugehen. Zum einen steigen die Altersgrenzen auch für besonders langjährig Versicherte dynamisch an. Hierdurch müssen nachfolgende Geburtsjahrgänge für diesen Rentenzugang etwas länger arbeiten als vorherige. Zum anderen lässt sich schwer einschätzen, in welchem Umfang auch weiterhin Abschläge zur Regelaltersrente für einen vorgezogenen Ruhestand in Kauf genommen werden. Die Corona-Pandemie könnte teilweise zu früheren Austritten aus dem Erwerbsleben geführt haben, ein Effekt, der zukünftig weniger bedeutsam sein sollte. Ein weiter zunehmender Fachkräftemangel könnte dahingegen dazu führen, dass durch geeignete Rahmenbedingungen Anreize für längere Erwerbsleben geschaffen werden. „Die stagnierenden Zahlen zeigen, dass die Ausweitung der Erwerbstätigkeit in höhere Alter kein Selbstläufer ist“, resümiert Dr. Elke Loichinger, Forschungsgruppenleiterin am BiB. Um Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten, müssen Anreize deutlich vor dem Eintritt in den Ruhestand erfolgen. “Wenn der Ruhestand erst einmal erfolgt ist, kommen nur wenige ins Erwerbsleben zurück.“

Bundeskanzler Scholz will Babyboomer länger arbeiten lassen – Widerstand aus SPD und Gewerkschaften droht

Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, die angesichts der gestiegenen Lebenserwartung von Wissenschaftlern und Arbeitsmarkt-Experten seit längerem diskutiert wird, lehnen die im Bundestag vertretenen Parteien und die Gewerkschaften bisher ab. Die Ampel-Regierung will laut Koalitionsvertrag das Streitthema höheres Renteneintrittsalter nicht anfassen. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte der Süddeutschen Zeitung Ende November gesagt: „Eine generelle Erhöhung des Renteneintrittsalters über 67 hinaus wird es mit mir nicht geben.“

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in einem Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe an diesem Wochenende immerhin erklärt, er wolle erreichen, dass weniger Menschen vor Erreichen der Regelaltersgrenze in Rente gehen. „Es gilt, den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können. Das fällt vielen heute schwer“, so der SPD-Politiker. Wie er das konkret erreichen wolle, sagte Scholz nicht.

Gewerkschaften und Linke gegen Rente mit 70

Einen Vorstoß des Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf für eine grundsätzlich längere Lebensarbeitszeit und eine Rente mit 70 hatten im August 2022 Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und der Gewerkschaften IG Bau und IG Metall widersprochen. DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel erklärte, der Vorstoß sei „nichts anderes als eine Rentenkürzung mit Ansage“. Viele Beschäftigte würden es schon heute nicht mehr schaffen, „gesund bis zur Rente durchzuhalten“, sagte sie. „Für diejenigen, die in der Pflege, auf dem Bau oder in Fabriken arbeiten, ist längeres Arbeiten keine Option.“ Vertreter der Union und der Grünen argumentieren ähnlich.

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